„Auf Sondergerichte sollte man verzichten“
US-Ökonom Dani Rodrik kritisiert den Schutz von Investitionen im Freihandelsabkommen Europa - USA
24. Jan. 2014 –
Hannes Koch: Das Weltwirtschaftsforum in Davos fordert mehr Freihandel. Viele EU-Bürger machen sie dagegen Sorgen über die entsprechenden Verhandlungen zwischen den USA und Europa. Man will kein US-Hühnerfleisch, das mit Chlor behandelt ist, und auch kein Fracking zur Erdgassuche. Teilen Sie die Befürchtungen?
Dani Rodrik: Die Auswirkungen solcher Abkommen werden oft überschätzt. Aber Skepsis ist angebracht – besonders angesichts der Tendenz, dass die Interessen der Wirtschaft nicht selten eine größere Rolle spielen als die der Gesellschaft insgesamt.
Koch: Würden Sie den Europäern raten weiterzuverhandeln?
Rodrik: Ja. Wenn zwei Staaten oder Staatengruppen ein vernünftiges Abkommen schließen können, dann sind es die USA und Europa. Sie verhandeln auf Augenhöhe.
Koch: Finden die US-Bürger die Idee gut, den wirtschaftlichen Austausch mit Europa zu erleichtern?
Rodrik: Im Allgemeinen sind die Amerikaner Freunde des Freihandels. Internationalen Verträgen jedoch stehen sowohl Rechte, als auch Linke skeptisch gegenüber. Letztere sorgen sich um die sozialen Konsequenzen. Sie befürchten, dass die einheimischen Arbeitsstandards und Löhne durch den Druck der ausländischen Konurrenz sinken. Die Rechten und Libertären sehen die geplante Transatlantische Handels- und Investment-Partnerschaft (TTIP) eher als Versuch der US-Regierung, zusätzliche regulatorische Kompetenzen in Anspruch zu nehmen. Das lehnt diese Seite grundsätzlich ab.
Koch: Was halten Ihre Mitbürger von den gegenwärtigen Geheimverhandlungen zwischen den USA und Europa?
Rodrik: Die Intransparenz löst Kritik aus. Deshalb sollten die Verhandler mehr Informationen über den Verlauf der Gespräche preisgeben und die Zivilgesellschaft besser einbeziehen. Das gilt gerade angesichts der Tatsache, dass ein internationales Investitionsabkommen vor Jahren unter anderem am Protest gescheitert ist.
Koch: Die USA und Europa sind entwickelte Wirtschaftsmächte. Ihre Leistungskraft unterscheidet sich kaum. Trotzdem befürchten die Kritiker, dass TTIP zu Verwerfungen führen könnte. Eine berechtigte Sorge?
Rodrik: Der verstärkte Handel zwischen diesen beiden Giganten wird die Verteilung der Einkommen nicht verschlechtern. Die Löhne in den USA und der EU liegen ja auf ähnlichem Niveau. Deshalb müssen weder die Europäer, noch die US-Bürger befürchten, dass mehr billige Arbeitskräfte zu ihnen kommen. Durch TTIP geraten also die Löhne nicht unter Druck.
Koch: Eine wesentliche Kritik in Europa lautet, dass Qualitätsstandards für Lebensmittel und Umweltgesetze auf der Strecke bleiben könnten, weil die US-Industrie es so wolle.
Rodrik: Hier kommt es auf die Details der Verhandlungen an. Grundsätzlich bin ich optimistisch, dass sich beide Seiten auf einen tragbaren Kompromiss einigen. Die EU ist durchsetzungsfähiger als ein Schwellenland wie Mexiko.
Koch: Angeblich wird auch darüber geredet, Klauseln zum Schutz von Auslandsinvestments in den Vertrag aufzunehmen. US-Firmen könnten dann beispielsweise die Bundesregierung vor speziellen Gerichten verklagen, wenn sie ihre Investitionen in der EU durch neue Gesetze bedroht sähen. Was hält der Ökonom davon?
Rodrik: Auf solche Sondergerichte oder Schlichtungstellen sollte man verzichten. Denn damit eröffnete sich ein Parallelweg außerhalb der Jurisdiktion des demokratischen Rechtsstaates. In Entwicklungsländern mit unzuverlässigem Rechtssystem mag ein solches Interesse der Investoren verständlich erscheinen. In fortgeschrittenen Gesellschaften jedoch ist der Wunsch, einen zusätzlichen Rechtsweg für Investoren zu etablieren, nicht akzeptabel.
Koch: Vor 20 Jahren gründeten die USA, Kanada und Mexiko die Freihandelszone Nafta. Haben die beiden nordamerikanischen Länder davon profitiert?
Rodrik: Für einige Branchen wie die US-Autoindustrie war das Abkommen eine gute Sache. Mexiko hat ebenfalls einige Vorteile. Dort gab es aber auch Enttäuschungen. Investitionen und Wachstum sind langsamer gestiegen, als erhofft. Die Nafta ist ein Beispiel dafür, dass Handelsverträge eine gute Wirtschaftspolitik nicht ersetzen können. Dies sollten die Europäer bedenken. Das Freihandelsabkommen mit den USA ist keine Antwort auf die europäische Krise. Freihandel bringt nur dann Vorteile, wenn die ökonomische Lage insgesamt stabil ist.
Koch: Hollywood-Filme wie „Savages“ oder „The Counselor“ präsentieren Mexiko als Drogen-Ökonomie. Verzeichnete das Land in den vergangenen Jahrzehnten dennoch soziale und wirtschaftliche Fortschritte?
Rodrik: Die Nafta hat Mexiko durchaus geholfen, eine starke Exportindustrie aufzubauen, unter anderem für Fahrzeuge und Flugzeugteile. Diese Entwicklung brachte natürlich auch Arbeitsplätze, Einkommen und Wachstum. Solche Befunde über ein Schwellenland haben allerdings nur eine begrenzte Aussagekraft dafür, was ein Freihandelsabkommen zwischen den USA und Europa bedeuten würde. Schließlich haben wir es hier mit zwei Wirtschaftsmächten zu tun, die auf dem selben Entwicklungsniveau stehen.
Koch: Güter und Kapital können die Grenze am Rio Grande problemlos überschreiten. Gegen die Einwanderer aus dem Süden haben die USA aber eine massive Grenzbefestigung errichtet. Ein grundsätzliches Indiz für soziale Probleme, die Freihandel mit sich bringen kann?
Rodrik: Freiheit für die Wirtschaft, nicht für die Menschen – das ist eine der auffälligsten Asymmetrien der Weltwirtschaft. Und ein großes Problem. Wenn sich die Menschen und Arbeitskräfte frei bewegen können, dient das eigentlich einer guten Entwicklung. Leider trifft Migration in den Einwanderungsländern jedoch auf große Vorbehalte.
Koch: Ist es nötig, Freihandelsabkommen durch Vereinbarungen zu ergänzen, die die Lage und Lebensqualität der Menschen verbessern?
Rodrik: Ja, die Arbeitskräfte müssen in solchen Abkommen stärker berücksichtigt werden. Man sollte Handelsverträge immer einer menschenrechtlichen Überprüfung unterziehen.
Koch: Trotz aller Probleme sind die Ergebnisse von 30 Jahren Globalisierung und Liberalisierung eindrucksvoll. Weltweit stiegen hunderte Millionen Menschen in die Mittelklasse auf - in Ländern wie China, Indien, Brasilien oder der Türkei. Bedeutet Freihandel automatisch mehr Wohlstand?
Rodrik: Nein, das Ergebnis hängt davon ab, wie das jeweilige Land den Prozess gestaltet. China hat Erfolg, weil die schrittweise Integration in den Weltmarkt mit dem Aufbau der einheimischen Wirtschaft abgestimmt ist. Auch in Lateinamerika gibt es gute Beispiele. Brasilien ist es gelungen, die Einkommen gerechter zu verteilen. Um die Wirtschaftsentwicklung zu moderieren, hat die Regierung dort Programme gegen Armut, zur Gesundheitsvorsorge und für bessere Bildung umgesetzt.
Koch: Was müssen Industriestaaten wie Europa beachten?
Rodrik: Sie sollten Wert darauf legen, dass der Arbeitsmarkt, sowie die Verhandlungsmacht von Beschäftigten und Gewerkschaften nicht erodieren. Sie müssen beispielsweise denjenigen, die ihre Arbeitsplätze verlieren, Bildungsprogramme anbieten, damit sie neue Jobs finden. In dieser Hinsicht sind die USA schwach – schwächer als Europa.
Bio-Kasten
Dani Rodrik (Jg. 1957) lehrt und forscht als Professor für Sozialwissenschaften am Institut for Advanced Studies in Princeton/ New Jersey, USA. Der linksliberale Ökonom mit türkischen Wurzeln war vorher Professor für internationale politische Ökonomie in Harvard. 1997 veröffentlichte er das Buch „Grenzen der Globalisiierung“. 2011 folgte das „Globalisierungsparadox – Die Demokratie und die Zukunft der Weltwirtschaft“.
Info-Kasten
Freihandel in Davos
Wenn es etwas gibt, dass die beim Weltwirtschaftsforum (WEF) anwesenden Manager genauso schätzen wie Gewinne des eigenen Unternehmens, dann ist es Freihandel. Güter, Kapital, Wissen und Arbeitskraft sollen möglichst ungehindert über die nationalen Grenzen fließen, weil das die Geschäfte erleichtert. Sorgen macht man sich dagegen, wenn, wie hier und da nach der Finanzkrise, sogenannter Protektionismus um sich greift und der Freihandel eingeschränkt wird. Das Votum des WEF zum geplanten Freihandelsabkommen zwischen den USA und Europa ist deshalb klar: Die EU-Kommission und die US-Regierung sollten die „Transatlantic Trade and Investment Partnership“ (TTIP) möglichst bald beschließen. Viele Grüne, Linke, Sozialdemokraten und Gewerkschafter sehen das anders. Auf deren Kritik hat die EU-Kommission jetzt reagiert. Sie will eine öffentliche Befragung zum umstrittenen Thema des Investitionsschutzes starten, an der sich die EU-Bürger beteiligen können.