Aus Schwarz wird Weiß

Eine seltene Unternehmenssymbiose verbindet Spitzentechnologie mit der Sanierung eines Kohlereviers / Evonik geht an der Börse und holt das Geld für die Lasten des Bergbaus herein

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Von Wolfgang Mulke

22. Apr. 2013 –

Das Ruhrgebiet ist die Keimzelle des deutschen Wirtschaftswunders in der Zeit nach dem Zweiten Weltkrieg. Tief unter der Erde schlugen Tausende Bergarbeiter Steinkohle aus engen Flözen und lieferten so die notwendige Energie für die Industrie. Davon lebte die Region, die in den letzten Jahrzehnten jedoch immer mehr zum Problemfall wurde. Erst kam die billige Importkohle, dann die Atomkraft und jetzt gibt es erneuerbare Energien. Es ging bergab.


Mit den Zechen und Walzwerken verschwand auch der Ruß, der das Ruhrgebiet lange Zeit verschmutzte. Aus Schwarz wurde Weiß. Das sollte auch für die Wirtschaft in der Region gelten. Ein einzigartiges Paradebeispiel dafür gibt es auch. Die unter dem Dach der Ruhrkohle AG vereinigten Kohlebetriebe, Wohnungen und Chemiesparten wurden 2007 in den das „schwarze“ und das „weiße“ Segment getrennt. Aus letzterem wurde der Spezialchemiekonzern Evonik Industries geschmiedet, der nun auch internationale Anleger an der Börse für sich gewinnen will. Am Ende dieser Woche soll die Erstnotierung stattfinden.


Evonik steht in vielen Segmenten spezieller Substanzen mit an der Spitze. So produziert das Unternehmen als einziges weltweit in riesigen Werken alle vier wichtigen essentiellen Aminosäuren für die Tierfutter-Industrie. „Unsere Weltbevölkerung wächst jedes Jahr um 80 Millionen Menschen“, sagt Vorstandschef Klaus Engel, der daher mit einem anhaltend wachsenden Lebensmittelbedarf rechnet. Das Bevölkerungswachstum beschert Evonik auch als Hersteller von Superabsorbern für Babywindeln Profit. Autoreifen werden mit Hilfe von Evoniks Kieselsäuren und Silanen umweltverträglicher. Allein sechs Milliarden Euro will Engel bis 2016 in weitere Innovationen investieren. Fast 14 Milliarden Euro spielte die Chemie im vergangenen Jahr ein. 1,2 Milliarden Euro blieben als Überschuss übrig. Den internationalen Anlegern verspricht Engel eher Langeweile. Evonik will aus eigener Kraft weiterkommen und keine riskanten Experimente wagen. Die Profis konnte der Vorstand offenkundig überzeugen. Singapurs Staatsfonds Temasek ist zum Beispiel mit dabei.


Immer wieder betont Engel das Wort „Werte“, wenn er vom Wachstum spricht. Kurzfristige Renditeerwartungen erteilt der Vorstand eine klare Absage. Das ist auch ein Grund, warum die Bergbaugewerkschaft IGBCE so gut mit der Führungsspitze klarkommt. „Er ist nicht abgehoben und in der Region verhaftet“, lobt deren Sprecher Christian Hülsmeier den Vorstand. Die Kooperation zwischen Kapitalseite und Arbeitnehmern in ungewöhnlich ausgeprägt. Gemeinsam betreiben beide zum Beispiel eines der größten deutschen Wohnungsunternehmen mit 130.000 Wohnungen. Mit den Gewinnen aus der Vermietung sichert Evonik die Betriebsrenten der Beschäftigten ab.


Die erstaunlich gut funktionierende Zusammenarbeit beider Seiten hat eine lange Tradition. Bald nach dem Zweiten Weltkrieg wurde die Montanmitbestimmung eingeführt, die den Arbeitnehmern weit reichende Einflussmöglichkeiten gewährte, zum Beispiel durch einen paritätisch aus Vertretern der Eigentümer und der Belegschaft besetzten Aufsichtsrat. 1951 vereinbarten Deutschland, Italien, Frankreich und die Beneluxstaaten die „Europäische Gemeinschaft für Kohle und Stahl“, die Keimzelle der heutigen Europäischen Union. Das Ruhrgebiet galt als Basis des deutschen Wirtschaftswunders. Die Bergleute waren hoch geachtet und zwischen den Zechenbetreibern und ihren Arbeitern bestand eine starke Bindung.


Die „weißen“ Sparten sind ohne die „schwarzen“ nicht denkbar. Denn Evonik ist ein Spross der RAG-Stiftung. Ein anderer ist die Ruhrkohle AG, die noch bis 2018 Steinkohle aus dem Untergrund holen will. Zwar wurden schon vor einigen Jahren 25 Prozent der Anteile an den britischen Finanzinvestor CVC verkauft und nun noch weitere Aktienpakete an Großanleger und das breite Börsenpublikum gebracht. Doch das Sagen hat weiterhin die Stiftung, deren Aufgabe in der Bewältigung der so genannten Ewigkeitslasten des Bergbaus besteht und die von der Politik und der Gewerkschaft bestimmt wird.


Auch wenn 2019 die noch verbliebenen Bergleute ihre Arbeit verloren haben und die letzte Zeche dicht gemacht worden ist, wartet auf die Stiftung noch eine Menge kostspielige Arbeit. Das Ruhrgebiet ist durchlöchert wie ein Schweizer Käse. Bis zu 1.400 Meter tief reichen die in den Untergrund getriebenen Stollen. Darin sammelt sich Wasser, das ständig abgepumpt werden muss. Allein dies kostet jährlich einen dreistelligen Millionenbetrag, der künftig aus den Gewinnen von Evonik bezahlt wird. 13 Milliarden Euro braucht die Stiftung als Kapitalstock. Zwei Milliarden bringt allein der Börsengang ein.


Darüber hinaus kümmert sich die Stiftung um den Strukturwandel der einstigen Bergbauregion. Dazu gehört derzeit zum Beispiel die Prüfung, ob die Stollen auch als Pumpspeicherkraftwerke genutzt werden können. Denn Deutschland hat zwar die Energiewende ausgerufen, doch fehlt es noch an Speichern für den Strom aus Wind und Sonne. Das könnte eine Zukunftsperspektive des Potts werden. Darüber hinaus werden aus dem „weißen“ Geschäft gesellschaftliche Verpflichtungen finanziert. Die Stiftung fördert Bildungseinrichtungen, unterstützt kulturelle und sportliche Aktivität.


Die Trennung von Schwarz und Weiß ermöglicht allen Seiten einen Gewinn. Arbeitsplätze werden gesichert und der Strukturwandel befördert. Die Altlasten des Bergbaus sind finanziell verkraftbar und die Aktionäre erfreuen sich eines soliden Geschäftsmodells.

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