„Aus Verbrechern werden Polizisten“

Der Soziologe Ulrich Beck zur Finanzkrise: „Traut den Politikern nicht, die uns den Schlamassel eingebrockt haben“

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Von Hannes Koch

14. Okt. 2008 –

Hannes Koch: Welches ist die wichtigste Veränderung, die die Finanzkrise hervorruft?

 

Ulrich Beck: Vollständig und unerwartet gefährdet die Krise unser gesamtes ökonomisches Weltbild – oder zerschlägt es sogar.

 

Koch: Welches Weltbild meinen Sie?

 

Beck: Bisher fühlte sich der Westen überlegen. Seine freie Marktwirtschaft hielt er für besser als die sozialistischen Staatswirtschaften der Vergangenheit. Aber auch über China mit seiner erfolgreichen Mischung aus Privat- und Staatsökonomie, rümpfte man hier die Nase.

 

Koch: Welche Folgen hat die Krise für Vertrauen, das die Bevölkerung in die Eliten setzt?

 

Beck: In den zurückliegenden Wochen und Monaten ist es schwer erschüttert worden. Bundeskanzlerin Angela Merkel und Finanzminister Peer Steinbrück glaubten bis vor wenigen Tagen, dass sie die Krise national lösen könnten. Sie erklärten, der Sturm würde an unserem Land vorbeiziehen. Viele deutsche Politiker blicken auf die Welt mit diesem merkwürdigen, uninformierten und selbstgenügsamen Blick. Sie wollen den Grad der internationalen Abhängigkeiten und die Logik der Globalisierung nicht verstehen.

 

Koch: Ist die deutsche politische Klasse gescheitert?

 

Beck: Ja, aber nicht nur sie. Auch in anderen Ländern hat man die Ideologie vom selbstverständlichen Funktionieren des ungeregelten Marktes widerspruchslos und kreativlos übernommen und nachgebetet. Selbst ein kritischer Politiker wie Joschka Fischer hat vor Jahren behauptet, gegen die Gesetze des Marktes könne die Politik nichts ausrichten. Diese Fantasielosigkeit und Deformation rächt sich jetzt, wo das Finanzrisiko den globalen politischen Raum für Regierungsalternativen öffnet.

 

Koch: Angesichts der Krise räumen Politiker und Manager Fehler ein. Mit gigantischen Summen von Billionen Euro versuchen die Regierungen das Vertrauen zu erneuern.

 

Beck: Am Beispiel des britischen Premierministers Gordon Brown kann man tatsächlich beobachten, dass sich ein dramatischer Sinneswandel vom Marktfetischismus zum Staatsoptimismus vollzieht. Mit ähnlicher Vehemenz, wie er früher für den freien Markt kämpfte, propagiert Brown nun seinen neuen Plan zur Rettung der Welt, dem sich alle anderen anschließen sollen.

 

Koch: Die Rettung mittels Intervention des Staates scheint einstweilen zu funktionieren.

 

Beck: Das bleibt abzuwarten. Niemand weiß, was ist und was die im Nullenrausch verordnete Therapie bewirkt. Wir alle sind Teil eines ökonomischen Großexperiments mit offenem Ausgang. Interessant ist allerdings, wie schnell aus Schurken Helden werden. Haben Gordon Brown, Angela Merkel und Peer Steinbrück nicht vor kurzer Zeit noch den ungeregelten Kapitalismus hochleben lassen? Ihre wundersame Bekehrung ist für mich kabarettreifes Konvertitentum.

 

Koch: Sie sagen: Man soll den Leuten, die uns den Schlamassel eingebrockt haben, nicht länger trauen?

 

Beck: Nein, das kann man nicht. Wer über Nacht einen Meinungs- und Fahnenwechsel zu einer Art Staatssozialismus für Reiche vollzieht, ist unglaubwürdig. Je tiefer die Krise wird, desto mehr scheint allerdings der Zwang zuzunehmen, denen zu glauben, die die Misere mit ihrem so genannten Sachverstand verursacht haben. Dieser Prozess verhindert, dass die Eliten ausgetauscht werden, was in der Demokratie üblich sein sollte. Das führt zur Personalunion von Verbrecher und Polizei.

 

Koch: Wer sollte an die Stelle Merkels und Steinbrücks treten?

 

Beck: Das ist das Problem. Die gesamte Elite hat sich bislang zur Alternativlosigkeit der Marktwirtschaft bekannt. Wobei Linken-Chef Oskar Lafontaine immerhin die politische Stärkung der Europäischen Union und ein europäisches Wirtschaftsministerium fordert.

 

Koch: Glauben Sie, die Linke weiß einen Weg aus der Krise?

 

Beck: Nein. Wir haben es im Kern mit einer restaurierten Linken zu tun. Diese Partei will zurück zum Nationalstaat. Wir brauchen aber eine neue transnationale Politik zur Regulierung der Finanzmärkte. Bürgerbewegungen wie die Globalisierungskritiker von Attac haben diese Notwendigkeit erkannt, sind aber zu schwach, um ihre Ansätze offensiv zu verwirklichen.

 

Koch: Die Garantien für Banken und Spareinlagen der Bürger zeigen, dass der Staat handlungsfähig ist. Schafft die Krise deshalb nicht eher neues Vertrauen?

 

Beck: Niemand weiß, ob wir den Boden des Abgrunds schon erreicht haben. Im globalen Risikobewußtsein, in der Antizipation der Katastrophe, die es in jedem Fall zu verhindern gilt, tut sich ein neues machtpolitisches Feld auf. Man könnte jetzt langfristig durchsetzen, dass nicht die Wirtschaft die Demokratie, sondern die Demokratie die Wirtschaft dominiert. Diese kurzfristige, goldene Gelegenheit dürfen wir nicht verstreichen lassen. Dabei geht es nicht nur um die Kontrolle des Bankensektors, sondern auch um gerechte Steuerpolitik und soziale Sicherheit im transnationalen Rahmen.

 

Koch: In Ihrem Buch „Weltrisikogesellschaft“ fordern Sie auch für die Finanzmärkte eine Abkehr vom Laissez-faire- und die Hinwendung zum Vorsorgeprinzip. Müsste das beispielsweise heißen, dass die Banken neue Finanzprodukte und Wertpapiere erst auf den Markt bringen dürften, wenn sie zuvor auf ihre Unschädlichkeit getestet wurden?

 

Beck: Die traditionelle Ökonomie sieht Risiko nur als positive Größe. Wie sich gerade zeigt, ist diese Sorglosigkeit grundfalsch.

 

Koch: Sie unterstützen die Forderung der globalisierungskritischen Organisation Attac, einen so genannten Finanzmarkt-TÜV einzuführen?

 

Beck: Sicher, diese Möglichkeit muss in die bestehenden Institutionen eingebaut werden.

 

Koch: Kann die kontinentaleuropäische Variante des Kapitalismus, die soziale Marktwirtschaft, für eine bessere Regulierung sorgen, als das angelsächsische Modell?

 

Beck: Nein. Auch das Modell der sozialen Marktwirtschaft ist im nationalstaatlichen Denken befangen. Auch in Deutschland triumphierte der Glaube an den Markt über alle anderen Ansätze.

 

Koch: Eine Umfrage der Bertelsmann-Stiftung hat unlängst ergeben, dass nur noch 31 Prozent der Deutschen eine gute Meinung über die soziale Marktwirtschaft hegen. Haben unsere Politiker und Manager das Vertrauen der Menschen verspielt?

 

Beck: Ja, sie gelten nicht länger als Risikomanager, sondern auch als Quellen des Risikos. Auch die Hartz-Reformen haben das Vertrauen in die soziale Sicherheit, die der Staat bietet, geschmälert. Die Politik verschiebt die Lebensrisiken einseitig auf das Individuum und entledigt sich ihrer Verpflichtung für die soziale Sicherheit und Wohlfahrt.

 

Koch: Wird die alte Idee der Gleichheit künftig wieder eine größere Bedeutung erhalten?

 

Beck: Eine größere relative Gleichheit auf jeden Fall. Anstatt die Verluste zu vergesellschaften und die Gewinne zu individualisieren, sollten auch die Bankmanager und –vorstände haftbar gemacht werden für ihre Fehler und Verluste. Und auch international wird Gleichheit eine wichtigere Rolle spielen. Die aufstrebenden Schwellenländer wie Brasilien, Indien und China verlangen und erhalten mehr Mitsprache.

 

 

Ulrich Beck (64) ist Professor für Soziologie an der Ludwig-Maximilians-Universität München und der London School of Economics (LSE). Er ist einer der einflussreichsten Gesellschaftstheoretiker Deutschlands. Neben zahlreichen Büchern über die Globalisierung verfasste er die Werke „Risikogesellschaft“ (1986) und „Weltrisikogesellschaft“ (2007)

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