„Ausstieg aus dem lohnbezogenen Rentensystem“

Rentenkürzung?

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Von Wolfgang Mulke

29. Apr. 2009 –

 

 

Die Debatte um mögliche Rentenkürzungen aufgrund einer ungünstigen Lohnentwicklung ist voll entbrannt. Über die Auswirkungen der Krise auf die Rentenkassen äußerte sich Prof. Bert Rürup im Gespräch mit unserem Korrespondenten Wolfgang Mulke. Der 65-jährige war lange Jahre einer der wichtigsten Berater der Bundesregierung und hat maßgeblich an den Reformen der Sozialsysteme mitgewirkt. Zurzeit ist der Forscher als Chefökonom beim Finanzkonzern AWD tätig.

 

 

Frage: Was bedeutet ein Minus von sechs Prozent der Wirtschaftsleistung für die Renten?

 

Prof. Bert Rürup: Für die Renten in diesem Jahr erst einmal gar nichts. Die Erhöhung der Altersgelder kommt im Juli wie geplant. Für die Rentenanpassung 2010 ist die Lohnentwicklung entscheidend. Hier ist die spannende Frage, wie sich der rasante Anstieg der Kurzarbeit auf das Durchschnittsentgelt in diesem Jahr auswirkt. Die deutliche Zunahme an Kurzarbeit könnte zu einem Rückgang des für die Rentenanpassung entscheidenden Durchschnittslohns führen. Ob es aber dazu kommt, ist derzeit noch höchst ungewiss. Sollte dies allerdings der Fall sein, müssten nach geltendem Recht die Renten im kommenden Jahr gekürzt werden.

 

Frage: Arbeitsminister Olaf Scholz schließt Rentenkürzungen für alle Zeiten aus. Welche Folgen hat dies?

 

Rürup: Über eine einmalige Herausrechnung der Lohneffekte des Kurzarbeitergeldes könnte man reden. Rentenkürzungen aber kategorisch in allen Fällen auszuschließen, bedeutet aus dem derzeitigen lohnbezogenen System auszuscheiden. Wie will man einem Beschäftigten klar machen, dass sein Arbeitseinkommen sinkt, die aus seinen Beiträgen gezahlten Renten aber nicht. Seit der Einführung der Dynamischen Rente 1957 folgen die Renten der Entwicklung der Löhne. An diesem Prinzip hat keine Rentenreform etwas geändert. Und dieser Grundsatz wird nun infrage gestellt, wenn auch bei sinkenden Löhnen Rentenkürzungen ausgeschlossen werden.

 

Frage: Wer muss für dieses Versprechen bezahlen?

 

Rürup: Entweder die Beitragszahler oder die Steuerzahler. Auf der Basis der aktuellen Annahmen zur Wirtschaftsentwicklung dürften 2011 die 15 Mrd. Euro der Nachhaltigkeitsreserve aufgezehrt sein, und es müsste wieder über Beitragserhöhungen diskutiert werden. In den Rentenreformen 2001 und 2004 wurden Beitragsoberziele festgelegt. Die Beitragssätze sollen bis 2020 nicht über 20 Prozent steigen und bis 2030 nicht über 22 Prozent. Diese Ziele sind gefährdet, wenn Kürzungen selbst bei Lohnsenkungen generell ausgeschlossen werden. Es sei denn, die Politik macht den Bundeszuschuss an die Rentenversicherung zu einem fiskalischen Lückenfüller. Dann müssten noch mehr Steuermittel in das Rentensystem fließen.

 

Frage: Müssen sich die Rentner in Deutschland auf jahrelange Nullrunden einstellen?

 

Rürup: Spürbare Rentenerhöhungen dürfte es in den nächsten Jahren nicht geben. Die Wirtschaft erholt sich zögerlich, die Lohnsteigerungen dürften gering bleiben, und nach geltender Rechtslage sollen die in den letzten Jahren ausgefallenen Abschläge von den Renten nachgeholt werden.

 

Frage: Nimmt damit nicht zwangsläufig die Altersarmut zu? Schließlich steigen die Lebenshaltungskosten weiter an.

 

Rürup: Die Altersarmut gemessen an der Zahl der Anspruchsberechtigten auf die Grundsicherung im Alter wird zunehmen. Allerdings kann derzeit niemand belastbare Zahlen für diese Entwicklung nennen. Zurzeit gibt es 392000 Bezieher, dies entspricht 2,4 Prozent der über 65-Jährigen. Wie sich diese Zahlen entwickeln werden, hat weniger mit Nullrunden in den nächsten Jahren zu tun, sondern viel mehr mit einer Zunahme unsteter Erwerbsbiografien - Stichwort Soloselbständige -, einer teilweise verfestigten Langzeitarbeitslosigkeit oder dem gewachsenen Niedriglohnsektor. Mit den Reformen der letzten Jahre wurde die gesetzliche Rente demografiefest gemacht und eine übergebührliche Belastung der Jüngeren verhindert. Diese Erfolge sollten nicht infrage gestellt werden. Eine Antwort auf das Problem der Altersarmut zu finden, ist die Aufgabe der Politik in der nächsten Legislaturperiode. Diese Antwort kann aber nicht darin bestehen, die Reformen der letzten Jahre zurückzudrehen.  

 

Frage: Die private Altersvorsorge ist zu einem wichtigen Standbein für die Arbeitnehmer geworden. Gefährdet die Finanzkrise diesen Pfeiler?

 

Rürup: Auch in der Zukunft wird die gesetzliche Rente für die überwiegende Zahl der Deutschen die wichtigste Einkommensquelle im Alter sein. Wie die gesetzliche Rente mit Risiken des Arbeitsmarktes und der Bevölkerungsalterung behaftet ist, erwachsen bei kapitalgedeckten Renten die Risiken aus Schwankungen auf den Kapitalmärkten. Bei dem Ausbau der privaten und betrieblichen Altersvorsorge geht es darum, dass sich die Alterseinkommen in der Zukunft eben nicht nur aus den Löhnen, sondern auch aus den Kapitaleinkommen und damit allen Quellen des Volkseinkommens finanziert werden. Die gegenwärtige Finanzmarktkrise macht diese Grundsatzentscheidung nicht falsch, und ein Hinweis auf diese Krise schließt auch keine bestehenden Versorgungslücken. Im Übrigen sind - aufgrund staatlicher Vorgaben - sowohl die Riester-Rente wie auch die betriebliche Altersvorsorge weitgehend gegen Kapitalmarktschwankungen geschützt. Natürlich sehen wir Spuren der Finanzmarktkrise. Die erwarteten Überschussbeteiligungen bei privaten Rentenversicherungen werden zurückgenommen, allerdings weniger wegen des Börsencrashs  als vielmehr aufgrund der niedrigen Zinsen im Zuge der Bekämpfung dieser Krise.

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