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Autofahren macht aggressiv

1000 rote Ampeln machen sorglos

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Von Wolfgang Mulke

11. Aug. 2016 –

Weithin verbreitet ist der Eindruck, dass es auf den Straßen immer rauher zugeht. Das zweifelt der Verkehrspsychologe Jens Schade an. Der 47-jährige Forscher von der TU Dresden sieht jedoch vor allem bei jungen Leute eine erhöhte Risikobereitschaft. Für das Bundesamt für Straßenwesen entwickelt der Leiter des „Wahrnehmungslabors“ der Uni Kriterien, mit denen das Klima im Verkehr regelmäßig gemessen werden kann.

 

 

Frage: Gerade wird darüber diskutiert, ob der Führerschein auch bei Vergehen außerhalb des Straßenverkehrs als Strafe eingezogen werden kann. Welche Bedeutung hat die Pappe für den Bürger?

 

Jens Schade: Der Führerschein ist der Zugang zu Mobilität. Wenn er eingezogen wird, ist das eine empfindliche Strafe. Denn es gibt bei vielen Autofahrern, die sich im Verlauf von Jahren sehr komplexe Mobilitätsmuster angeeignet haben, eine Art Autoabhängigkeit. Für junge Leute ist der Führerschein ein Symbol für das Erwachsenwerden. Denn die früheren Rituale dafür gibt es kaum mehr. Wird er weggenommen, ist das eine deutliche Strafe auch für sie. Doch ich halte wenig von dem Vorschlag. Denn wenn der Staat hier in ein sachfremdes Recht eingreift, welches persönliche Recht steht dann als nächstes zur Diskussion?

 

Frage: Augenscheinlich nimmt die Rücksichtslosigkeit im Verkehr zu. Stimmt diese Beobachtung?

 

Schade: Die Diskussion kommt seit Jahrzehnten immer wieder auf. Es gibt dafür allerdings keine allgemeingültigen Belege. Woran will man Rücksichtslosigkeit auch messen, an der Zahl der Unfälle, an Verkehrsvergehen? Die Anzahl der Verkehrstoten ist seit 30 Jahren rückläufig, auch wenn sie seit 2011 wieder leicht angestiegen sind. Die Zahl der Verkehrsvergehen ist stark abhängig von den Kontrollen. 80 Prozent davon entfallen auf zu schnelles Fahren. Hier ist es viel leichter zu kontrollieren als bei anderen Regelverstößen wie zu dichtes Auffahren. Auch dies spricht nicht für mehr Rücksichtslosigkeit.

 

Frage: In manchen Situationen heißt es: jeder gegen jeden. Autofahrer gegen Radfahrer gegen Fußgänger. Woher kommt diese Aggressivität?

 

Schade: Auch diese These ist empirisch nicht belegt. Im Internet sind massenhaft Videos mit einzelnen aggressiven Aktionen zu sehen. Das erhöht die Wahrnehmung des Verhaltens als wachsendes Problem. Was abseits dieser spektakulären Fälle geschieht, stellt niemand als Film ins Netz. Autofahren erleichtert jedoch in gewisser Weise aggressives Verhalten. Im Auto ist man anonym, tritt nicht von Mann zu Mann an, wenn es Konflikte gibt. Man möchte sein Ziel erreichen, wird daran zum Beispiel durch einen Stau oder andere Verkehrsteilnehmer behindert. Dann entsteht Frust, der sich in aggressivem Verhalten Luft verschaffen kann.

 

Frage: Führt Stress durch unübersichtliche Verkehrssituationen zu einer Überforderung. Wie können Auto- und Radfahrer sich dagegen wappnen?

 

Schade: Autofahrer machen Fehler, wenn sie unterfordert oder überfordert sind. Bei einer Unterforderung wie dem monotonen Fahren langer Strecken sinkt die Aufmerksamkeit. Bei Überforderung wächst die Fehlerwahrscheinlichkeit. Am besten, man kommt gar nicht erst in eine solche Situation, in dem man eine ausreichende Sicherheitsmarge einhält. Das einfachste ist jedoch, die Geschwindigkeit zu reduzieren. Das machen auch viele Autofahrer.

 

Frage: Mitunter fahren gerade Radfahrer so riskant und ohne zu schauen, als hätten sie einen verlässlichen persönlichen Schutzengel. Woher kommt diese laxe Einstellung zum Risiko?

 

Schade: Das Risikoverhalten hängt stark vom Alter ab. Ältere Menschen sind vorsichtiger. Bei Rot über die Ampel zu fahren, wird von vielen Radlern zum Beispiel kaum als Risikoverhalten angesehen. Sie schauen schon genau hin und glauben, dass sie die Situation im Griff haben. Wenn das Tausendmal gut geht, wird es nicht mehr als Risiko eingestuft. Dazu kommt die normative Kraft des Verhaltens anderer. Wenn alle anderen an ihnen an einer roten Ampel vorbeifahren, warten sie beim nächsten Mal auch nicht mehr, bis es grün wird. Das subjektive Risiko wird als gering empfunden. Zwar steigen die Unfallzahlen hier an. Allerdings nimmt der Radverkehr stärker zu.

 

Frage: Warum zeigen Raser so wenig Einsicht in die Gefährlichkeit hoher Geschwindigkeiten?

 

Schade: Hier ist es ganz ähnlich wie bei den Radfahrern. Die Fahrer erleben die Situation in der Regel als kontrollierbar und sie bekommen zu selten negative Rückmeldung in Form von Strafen. So kann man durchaus jahrelang zu schnell fahren, ohne dass man bestraft wird oder ein Unfall geschieht. Gesellschaftlich wird Schnelligkeit grundsätzlich positiv bewertet. Schließlich wird das selbst gewählte Tempo als Normalität angesehen und man gewöhnt sich an zu hohe Geschwindigkeiten. Es müsste also mehr kontrolliert und Vergehen stärker geahndet werden. Das neue Punktesystem ist ein Schritt in diese Richtung. Mehr Kontrollen müssten folgen.

 

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