„Beim Geld ist der Staat ganz milde“

Straffreiheit für Steuerhinterziehung: Nicht nur SPD-Chef Gabriel will sie abschaffen, sondern auch der saarländische CDU-Finanzminister Jacoby. Warum werden Steuerhinterzieher eigentlich nicht bestraft, wenn sie sich selbst anzeigen?

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Von Hannes Koch

22. Feb. 2010 –

Es ist eine der großen Besonderheiten im deutschen Recht: Steuerhinterzieher kommen ohne Strafe davon, wenn sie sich beim Finanzamt selbst anzeigen, bevor sie entdeckt werden. Bei anderen Straftaten ist der Staat nicht so milde. Dieser außergewöhnlichen Langmut will SPD-Chef Sigmar Gabriel nun ein Ende setzen. Er fordert, die Straffreiheit abzuschaffen. Und die SPD, die bereits einen Gesetzentwurf angekündigt hat, erhält Unterstützung von Unionspolitikern. Auch Peter Jacoby, CDU-Finanzminister im Saarland, will die Sonderbehandlung von Steuerhinterziehern aufheben. „Hier tut sich eine krasse Gerechtigkeitslücke auf“, kritisiert Jacoby. Bundesfinanzminister Wolfgang Schäuble (CDU) allerdings hält eine Gesetzesänderung nicht für notwendig.


Warum kommt die Debatte jetzt in Gang?

Deutschen Finanzämtern sind wieder einmal CDs mit Daten von im Ausland versteckten, unversteuerten Vermögen zum Kauf angeboten worden. Um empfindliche Strafen, die bis zu zehn Jahren Gefängnis reichen können, zu umgehen, haben sich in den vergangenen Wochen über 3.000 Bürger bei ihren Finanzämtern selbst angezeigt. Tun sie das, bevor ihnen die Finanzbeamten auf die Schliche kommen, bleibt der Versuch der Steuerhinterziehung straffrei. Die nicht gezahlten Steuern plus sechs Prozent Zinsen pro Jahr müssen die Leute aber nachzahlen – mitunter rückwirkend bis zu 13 Jahren.


Was ist die Begründung für die Straffreiheit?

Der Staat müsse zwei Interessen gegeneinander abwägen, lautet die offizielle juristische Begründung, die etwa ein Sprecher von Finanzminister Schäuble erläutert – einerseits den Willen zur Strafverfolgung, andererseits das Ziel, die hinterzogenen Steuern doch noch einzutreiben. Beides sei gleichzeitig oft nicht bewerkstelligen. Beispiel: Wenn der Staat seine empfindliche Strafandrohung in jedem Fall aufrechterhalte, würden sich die Steuerhinterzieher möglicherweise nicht freiwillig melden, sondern hoffen, durch die Maschen der Ermittlung zu rutschen. Ergebnis: Die Finanzämter würden weniger Geld einnehmen.


Werden Steuerhinterzieher besser behandelt als andere Straftäter?

Ja. Die Straffreiheit gibt es zwar auch in Bezug auf andere Straftaten. Auch wer etwa ein Auto klaut und es reuig zurückbringt, bevor der Diebstahl entdeckt wird, kann unter bestimmten Umständen mit Straffreiheit rechnen. Aber es existiert ein deutlicher Vorteil für Steuerhinterzieher. In diesem Fall muss bei Selbstanzeige Straffreiheit gewährt werden. Bei anderen Delikten kann das Gericht dagegen Milde walten lassen - oder auch nicht. Dass der Staat bei einer Selbstanzeige der Steuerhinterziehung seinen Strafanspruch komplett aufgibt, hält etwa der Düsseldorfer Jura-Professor Jürgen Wessing für „singulär“ (siehe Kasten).


Warum ist der Staat so gnädig?

„Die Straffreiheit für Steuerhinterziehung bei Selbstanzeige ist der einzige Fall, in dem das Geld vor die Moral gestellt wird“, sagt Wessing, „wenn es um sein Geld geht, wird der Staat ganz milde“. Die Antwort auf die Frage, warum das so ist, dürfte je nach politischem Standpunkt sehr unterschiedlich ausfallen. Eine Möglichkeit: Die Bürger, die dem Finanzamt Informationen über ihre Einkommen und Vermögen vorenthalten, sind einfach in einer guten Position. Sie haben jede Menge Möglichkeiten, den Staat zu foppen – sie sind mächtiger als das Finanzamt. Dieses Machtgefälle erkennt der Gesetzgeber an und behandelt die Reichen milder als andere Bürger.


Info-Kasten:

Die Straffreiheit für Steuerhinterzieher ist geregelt in Paragraph 371 der Abgabenordnung. „Wer unrichtige oder unvollständige Angaben bei der Finanzbehörde berichtigt oder ergänzt oder unterlassene Angaben nachholt, wird insoweit straffrei“, heißt es dort.


Die Straffreiheit bei anderen Delikten ist geregelt in Paragraph 46a des Strafgesetzbuches. Dort steht: „Hat der Täter im Bemühen, einen Ausgleich mit dem Verletzten zu erreichen (Täter-Opfer-Ausgleich), seine Tat ganz oder zum überwiegenden Teil wiedergutgemacht (…), so kann das Gericht (…) von Strafe absehen.“

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