Besser dort bleiben als herkommen
Deutschland zahlt syrischen Flüchtlingen Jobs in Jordanien, damit sie nicht zu uns kommen
16. Aug. 2016 –
Sein Arbeitsgerät sind schwarze Müllsäcke und eine neue Schaufel. Khaled Al-Hassan*, Flüchtling aus Syrien, macht hier in Jordanien die Straße sauber. Es ist Mittag, 33 Grad, der Schweiß läuft ihm über´s Gesicht. Neben der asphaltierten Fahrbahn hackt er kleine Sträucher aus dem Boden, in denen sich die umherschwirrenden Plastiktüten, die „jordanischen Vögel“, verfangen. Zahlreiche Getränkedosen und Kunststoffflaschen kratzt er ebenfalls zu Haufen zusammen. Vor Al-Hassan ähneln die Straßenränder einer Müllkippe, hinter ihm sieht es aus wie geleckt. Ein Effekt, der in spätestens einer Woche nicht mehr zu erkennen sei, meint der jordanische Vorarbeiter. Dann muss die Arbeit von vorne beginnen.
Der Mann mit rotem Basecap, gelber Warnweste und grauem Vollbart ist Ende 40. Er stammt aus der syrischen Großstadt Dar´a, die etwa 50 nördlich von hier liegt. Vor zwei Jahren wurde er in seiner Heimat verhaftet. Im Gefängnis schlug man ihn so, dass er auf dem linken Ohr fast nichts mehr wahrnimmt. Er wendet den Kopf und deutet auf das Hörgerät. Nach einem Jahr konnte er fliehen. Nun kehrt er die Straßen in der jordanischen Kleinstadt Wasattyah, bezahlt mit deutschem Geld. „Das ist zum Glück endlich ein sicheres Einkommen“, sagt Al-Hassan, „davon kann ich meine Familie einigermaßen ernähren“.
Die deutsche Gesellschaft für Internationale Zusammenarbeit (GIZ), die Entwicklungsorganisation der Bundesregierung, schickt Millionen Euro nach Jordanien. Anfang September 2015, als hunderttausende Flüchtlinge nach Deutschland kamen, ließ Entwicklungsminister Gerd Müller (CSU) bei der GIZ-Filiale anfragen, was man vor Ort tun könne. Müllers Absicht: Besser zahlt man den Syrern Geld, wenn sie noch in den Nachbarländern ihrer kriegsverwüsteten Heimat leben. Dann bleiben sie vielleicht dort und wandern nicht nach Norden weiter. Damit könne sich Deutschland eine Menge Probleme ersparen, meinte der Minister. Außerdem sei die Hilfe zum Dableiben billiger als die Intergration hierzulande. So finanziert die Bundesregierung nun etwas, was die Deutschen besonders gut können: Saubermachen, Müll trennen. Syrer räumen jetzt in Jordanien mit deutschem Geld Abfall weg.
Die benachbarte Stadt Mafrak an der jordanischen Nordgrenze hatte vor dem Krieg in Syrien etwa 70.000 Einwohner. Nun sind es schätzungsweise 140.000, die Hälfte davon Flüchtlinge. Darauf war die Müllabfuhr nicht eingerichtet. Die Lkw fuhren so lange rund um die Uhr, bis sie kaputtgingen. Die Müllentsorgung brach zusammen. Nun spendieren internationale Geldgeber neue Müllautos. Die GIZ kümmert sich um das Training der Mechaniker, sagt Ralf Senzel, Umweltingenieur aus Frankfurt/Main, der seit zweieinhalb Jahren in Jordanien arbeitet. Außerdem soll der gesammelte Müll getrennt, Rohstoffe wie Papier und Plastik verkauft und recycelt werden. Dabei will man syrischen Flüchtlingen auch Berufsqualifikationen vermitteln, mit denen sie später mehr Geld verdienen können.
Doch zunächst geht es aber vor allem um billige, einfache Aushilfstätigkeiten. Mit seinem Cash for Work-Programm (Geld für Arbeit) finanziert das deutsche Entwicklungsministerium (BMZ) in diesem Jahr rund 6.000 Stellen, die mindestens 50 Arbeitstage umfassen. Zum Beispiel für die Reinigung eines Picknickplatzes bei Wasattyah. Hier, zwischen Felsen, unter Pinien und Olivenbäumen, verbringen jordanische Familien gerne das Wochenende. Abends quellen die wenigen Mülleimer über und viele Essensreste liegen herum. Die sammelt Mohamad Emad Aloush* nun auf.
In Syrien arbeitete er auf dem Bau. „Als wir in Jordanien ankamen, war es anfangs sehr schwierig“, berichtet er, „nur ab und zu konnte ich einen Gelegenheitsjob finden.“ Jetzt arbeitet er vier Tage pro Woche und verdient „gutes Geld“. Das reiche für Lebensmittel und die Miete seiner Wohnung. Zusammen mit 20 weiteren Arbeitern durchkämmt er den Park und füllt die Müllsäcke. Auf seiner Warnweste trägt er die deutschen und jordanischen Nationalfarben, darunter den Schriftzug „Deutsche Zusammenarbeit“.
Aus Sicht der deutschen Steuerkasse ist das Projekt ein Geschäft. Von der Gemeinde Wasattyah, letztlich aber vom BMZ, bekommt Aloush 200 jordanische Dinar pro Monat. Das sind etwa 250 Euro. Würde er nach Europa reisen und hier als Flüchtling anerkannt, erhielte er inklusive Miete mindestens 700 Euro. Hinzu kämen Kosten für den Sprach- und Integrationskurs. Auch für Aloush persönlich macht die Sache Sinn: „Wenn es eine Perspektive gibt, so wie jetzt, bleibe ich gerne hier, in der Nähe meiner Stadt Dar´a. Vorher, ohne Arbeit, habe ich nach einer Gelegenheit gesucht, wie ich weiterziehen kann.“
Im Falle von Aloush - und einigen seiner Kollegen, die Ähnliches sagen – klappt Minister Müllers Plan. Die Flüchtlinge bleiben, wo sie sind. Das ist Teil einer größeren Strategie. Der CSU-Politiker und auch Bundesfinanzminister Wolfgang Schäuble (CDU) nennen sie „Marshallplan“. Mit diesem Begriff nehmen die beiden Bezug auf das umfangreiche Programm, mit dem die USA nach dem Zweiten Weltkrieg die Staaten Westeuropas unterstützte. In der aktuellen Situation geht es laut Müller um nicht weniger, als die Staaten der Region des Mittleren Ostens zu stabilisieren, „die Flüchtlingskrise zu bewältigen und Syrien nach einem Ende des Krieges wieder aufzubauen“. Schäuble dehnte die Vision auf Nordafrika und die Regionen südlich der Sahara aus.
Aber der Vergleich mit dem großen Vorbild hinkt. Für den historischen Marshallplan gaben die USA nach heutigem Wert rund 100 Milliarden Euro aus. An diese Summe reichen die heutigen Anstrengungen nicht heran. Bei der Londoner Syrien-Konferenz im Februar 2016 kündigten unter anderem die Vereinten Nationen, Großbritannien und Deutschland an, bis 2018 rund neun Milliarden Euro für Syrien und die Nachbarländer zu mobilisieren. Rund drei Milliarden Euro will die Bundesregierung in diesem Jahr ausgeben, um Probleme im Zusammenhang mit der Migration zu lindern und die Ursachen von Fluchtbewegungen zu bekämpfen.
Vor Ort in Jordanien spielt ein umfassender Marshallplan augenblicklich keine Rolle. Was es gibt, sind einzelne Maßnahmen: mehr Cash for Work-Stellen, Unterstützung für die jordanische Wirtschaft, Geld für Schulen, damit diese syrischen Flüchtlingskindern zusätzlichen Unterricht anbieten können. Sinnvolle Dinge, die kaum aber den großen Begriff rechtfertigen. „Ich hege Zweifel“, sagt Mathias Mogge, Vorstandsmitglied des Verbandes Entwicklungspolitik und Humanitäre Hilfe (VENRO). „Es wäre deutlich mehr Geld und eine bessere Kooperation beispielsweise innerhalb der EU nötig, damit man von einem ausreichenden Programm für den Nahen und Mittleren Osten, sowie Afrika sprechen könnte.“
Am Picknickplatz kommen inzwischen die Lkw und holen den Müll ab. Aus dem Schatten einer Pinie beobachtet Wasattyahs Bürgermeister Emad Azzam die Szenerie. Der wohlgenährte Mann mit weißem Schnäuzer findet gut, was die die GIZ hier tut. Wobei er die Erfolgsaussichten relativiert: Nach Beginn des Krieges in Syrien habe seine Gemeinde etwa 10.000 Flüchtlinge beherbergt. Mittlerweile sei die Zahl auf 8.000 bis 9.000 gesunken, weil einige weiterzogen. „Deutschland ist attraktiv“, sagt der Bürgermeister, „die Schulen, das Gesundheitssystem.“ Ein Arbeitsplatz in Syrien sei für Flüchtlinge ein Argument zum Bleiben, aber nicht unbedingt das entscheidende.
Und er legt Wert darauf, dass auch seine Leute etwas von dem Programm mitbekommen. Der Bürgermeister erzählt diese Geschichte: Als die syrischen Flüchtlingskinder erstmals in jordanische Schulen gingen, schenkten die Vereinten Nationen ihnen neue Schultaschen. „Unsere Kinder bekamen nichts“, erinnert er sich. Das habe zu Neid geführt. Bei ihrem Jobprogramm hat die GIZ daraus den Schluss gezogen, möglichst ebensoviele Jordanier wie Syrer einzustellen. Denn Arbeitslose gibt es auch unter den Einheimischen. „So kann das Projekt die Konflikte mindern“, sagt Bürgermeister Azzam.
* Namen geändert