Bill will die Bremsen lösen

Der neue Bayer-Chef setzt auf weniger Bürokratie

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Von Björn Hartmann

31. Mai. 2023 –

Wohin steuert Bayer? Die Frage stellen sich die 101.000 Mitarbeiter schon länger. Seit Februar ist klar, wer es richten soll: Bill Anderson, ein Amerikaner mit reichlich Erfahrung in der Branche. Zum 1. Juni übernimmt er den Posten von Werner Baumann, der vorzeitig in Ruhestand geht. Klar ist: Es wird sich einiges ändern.

Ein kühler Abend Anfang April, Anderson (56) hat gerade bei Bayer im Vorstand angefangen, das Mobiltelefon ist noch ganz neu, der Laptop auch. „Hi, I am Bill.“ Der erste Eindruck: Lässig, drahtig, Jackett über T-Shirt, in der Hand eine braune Aktentasche, die in jedem Lehrerzimmer unauffällig wäre, Lachfalten im Gesicht. Anderson wirkt sehr entspannt. Dabei ist die Aufgabe groß.

Baumann hatte 2016 kurz nach seinem Start als Bayer-Chef die Übernahme des US-Agrarchemie-Riesen Monsanto durchgezogen. Für umgerechnet 60 Milliarden Euro, der teuerste Zukauf eines deutschen Unternehmens überhaupt im Ausland. Bayer stieg zur Nummer 1 der Welt bei Saatgut und Pflanzenschutz auf. Die Leverkusener übernahmen allerdings auch ein Rechtsrisiko mit Milliardenkosten: zahlreiche Klagen, weil das Pflanzenschutzmittel Glyphosat Krebs ausgelöst haben soll. Der Aktienkurs brach ein, Bayer ist heute mit Pharmasparte (unter anderem Krebs, Parkinson), Agrochemie und den nicht verschreibungspflichtigen Medikamenten wie Aspirin insgesamt weniger wert als der Monsanto-Kaufpreis. Und auch wenn Umsatz, Gewinn und Dividende recht gut aussahen, verlor Baumann das Vertrauen der Anleger und den Rückhalt im Aufsichtsrat. Anderson soll es jetzt richten.

Der erzählt erst einmal, wie er tickt, was ihn antreibt. Erstens: Mach etwas Großes, nicht nur einfach einen Job. Zweitens: Ownership, sich eine Aufgabe zu eigen machen. Drittens: Es gibt immer einen Weg, etwas besser zu machen. Womit er beim Leverkusener Konzern ist: starke Vision, motiviertes Team, weltweit bekannt. „Mein Energielevel steigt mit Bayer.“ Es soll ein Lob sein, alles noch besser als die Stationen vorher: die US-Biotech-Unternehmen Biogen und Genentech, zuletzt dann die Pharmasparte von Roche in der Schweiz. Es könnte aber auch eine Drohung sein. Anderson wirkt allerdings einfach, als mache ihm sein künftiger Job Spaß.

Und er ist immer für eine Geschichte gut zwischen dem ganzen Lob für den Konzern, das üblich ist, wenn man neu startet. An diesem Abend erzählt der designierte Chef über seine Eltern, wie es ist, in einer von Chemie geprägten Stadt in Texas aufzuwachsen (unter anderem inspirierend). Er berichtet über den dreifachen Oberschenkelhalsbruch, weshalb er jetzt nach 45 Jahren Ex-Skater sei. Und über die Begeisterung für die 49ers, den American Football Club San Franciscos. Übrigens für ihn und seine Frau der einzige Grund, den Fernseher einzuschalten. Anderson verrät, dass er mit Cathy seit 33 Jahren verheiratet ist, dass einer der erwachsenen Söhne Wasserpolo spielt. Dass er 13 Mal in den vergangenen Jahren umzog, Brüssel, San Francisco, zuletzt Basel. Und jetzt also Leverkusen.

Während es um die besten Tandemstrecken im Bergischen Land nordöstlich der Stadt geht, schleicht sich der Gedanke an, man könne doch ins benachbarte Bayer-Kasino umziehen, bei einem Wein redete es sich sicher bequemer. Als wäre es der neue Kollege nach Feierabend und nicht der Chef eines Großkonzerns, der Antworten auf ganz große Fragen geben muss.

Etwa: Wird Anderson Bayer in ein Pharma- und ein Agrarchemieunternehmen zerlegen, wie sich das einige Großaktionäre wünschen? Der designierte Chef bleibt vage. Er könne auch M&A, sagt er. Mergers and Acquisition, Fusionen und Zukäufe – in diesem Fall aber als Aufspalten zu verstehen. Die Struktur zu ändern sei greifbar, aber eben auch einfach, sagt Anderson. Also offenbar nichts Großes. Sein Kerngebiet sei, Forschung und Entwicklung anzutreiben. Gerade im Pharmageschäft ist das besonders wichtig: Hier entstehen heute die Ideen für Medikamente, die in zehn Jahren Milliardenumsatz bringen. Solange dauert es in der Regel vom Molekül zum fertigen Medikament.

Insgesamt sei Bayer schon gut aufgestellt, findet Anderson. Aber aus seiner Sicht geht natürlich noch mehr. Nicht unbedingt einfach mehr Geld ausgeben, das könne jeder, sagt er. Aber es müsse auch Ergebnis bringen, also Konzernumsatz und -gewinn erhöhen. Ein Problem aus seiner Sicht: Bürokratie oder große Strukturen. Die Leute hätten einen Wunsch etwas zu tun, würden aber gebremst.

Also: Habe großartige Mitarbeiter und lasse sie los – strukturiert. Zum Beispiel einfach einmal Budgets abschaffen, wie er das auf bei Roche gemacht hat. Keine Finanzvorgabe, sondern: Gebt aus was ihr meint und erklärt es hinterher. Was wie der Albtraum eines klassischen Controllers klingt, senkte die Ausgaben. Viele Projekte brauchten weniger Geld. Andere beschleunigten sich, weil die Budgets sie blockiert hatten.

Anderson beherrscht auch klassischen Manager-Jargon: „Wir wollen liefern, nur das tun was wichtig ist für die Bayer-Mission.“ Auch „Streamlining“ fällt. Stromlinienförmiger soll die Arbeit werden, weniger Regularien, mehr Verantwortung für die Mitarbeiter. So will Anderson den Wert von 30 bis 50 Prozent dessen, was Beschäftigte leisten könnten, auf 90 Prozent erhöhen. Mehr Effizienz, mehr Durchlässigkeit, mehr Investitionen: „Wenn Du es zum Laufen bringst“, sagt Anderson, „wird es nicht zu bremsen sein.“

Zwei Monate hat sich der Neue jetzt im Konzern umgehört, von Donnerstag an wird es ernst. Derzeit bewegt sich vor allem der Aktienkurs von Bayer. Nicht unbedingt so, wie erwartet. Nach einer ersten Bill-Euphorie ist er wieder gesunken.

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