Billig um jeden Preis

Sie bestellen Computer, Dienstleistungen und Uniformen für hunderte Milliarden Euro. Dabei interessiert staatliche Auftraggeber meist wenig, ob asiatische Textilarbeiter für Hungerlöhne schuften, oder Bahn-Schaffner wieder mal ein paar Euro pro Stunde wen

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Von Hannes Koch

21. Feb. 2010 –

Es wäre so leicht. Stadtkämmerer, Länderministerien und Polizeidirektoren haben eine enorme ökonomische Macht. Für rund 360 Milliarden Euro kauft der deutsche Staat pro Jahr Waren und Dienstleistungen. Die öffentliche Nachfrage macht knapp 15 Prozent der gesamten Wirtschaftsleistung des Landes aus.


Fahrzeuge und Uniformen für die Polizei, Computer für die Universitäten, Papier für die Büros, Gebäudereinigung für die staatlichen Immobilien. Warum sollten Privatfirmen bei diesen Aufträgen nicht ökologische und soziale Mindeststandards einhalten? Warum sollte es dem Staat egal sein, wieviel Strom seine Computer verbrauchen, welchen Lohn die Putzkolonnen erhalten und ob die Lieferanten in der 3. Welt ein menschenwürdiges Dasein führen?


Dass staatliche Aufträge geradezu ein Königsweg sein können, das Versprechen der sozialen Marktwirtschaft einzulösen und die Welt lebenswerter zu machen, hat vor einigen Jahren auch die EU erkannt. Ihren Mitgliedsländern ermöglicht sie, Staatsaufträge mit ökologischen und sozialen Kriterien zu versehen. Deshalb hat auch Deutschland seit April 2009 ein Gesetz, das genau dies erlaubt.


Allerdings ist dies nur eine Kann-Bestimmung, kein Muss. Deshalb passiert in der Praxis bisher wenig. Sehr gut beobachten kann man das auf der Internetseite www.bund.de, auf der Bund, Länder, Kommunen und Institutionen hunderte Ausschreibungen veröffentlichen. Städte suchen Lieferanten für Kanalrohre, die Bundeswehr will Audioverstärker kaufen oder das Bundesinnenministerium vergibt Druckaufträge. Seltsamerweise aber ist nur in den seltensten Fällen ein Hinweis auf die ökologische und soziale Qualität der Lieferungen enthalten. Was hingegen immer zieht, ist der niedrigste Preis. Das billigste Angebot nehmen die Beamten gerne an.


Ist das Gedankenlosigkeit wie bei privaten Verbrauchern, die über Bio-Eier reden, dann aber doch wieder Käfig-Eier kaufen? Geldmangel, Geiz, Trägheit des Geistes? Vorurteile gegen den ganzen Öko- und Gutmenschen-Quatsch? Wahrscheinlich eine Mischung aus vielem. „In den meisten Ausschreibungen von Bund, Ländern, Kommunen und öffentlichen Unternehmen spielen ökologische und soziale Kriterien eine viel zu geringe Rolle“, bemängelt Wolfgang Rhode, Vorstandsmitglied der Industriegewerkschaft Metall. „Die Einkäufer des Staates nutzen ihren Einfluss auf die Wirtschaft nicht so, wie sie es tun könnten“.


In den Berliner Bundesministerien sieht man das etwas anders. Übereinstimmend heißt es aus den Häusern für Wirtschaft, Inneres, Entwicklung, Finanzen und Arbeit, dass man keine energieverschwendenden Produkte mehr einkaufe. Holz müsse aus ökologischer Produktion stammen, sagt das Finanzministerium. Und im Entwicklungsministerium legt man Wert darauf, dass importierte Waren nicht von Kinderarbeitern hergestellt wurden.


In den Weiten der Republik scheinen sich solche Ansätze aber nicht immer durchzusetzen. Das belegt der Fall der Elbe-Elster-Bahn. 2009 haben die Länder Brandenburg und Sachsen den Bahn-Verkehr in der Region Lausitz neu ausgeschrieben. Nun können sich auch Firmen bewerben, die ihren Schaffnern und Reinigungskräften viel niedrigere Löhne zahlen als die Bahn AG. Das mag auf den ersten Blick den Geboten des Wettbewerbs und der Sparsamkeit dienen. Aber es führt auch dazu, dass der Staat den Niedriglohnsektor schafft, den er dann mittels Hartz IV teuer wieder ausbessern muss.


Mittlerweile scheint auch die rot-rote Landesregierung in Potsdam die Bahn-Ausschreibung für die Lausitz zu bedauern. „Mit dem zuständigen Verkehrsverbund und der Dresdner Landesregierung konnte keine Einigung über Sozialklauseln erzielt werden“, sagt Petra Dribbisch, die Sprecherin des brandenburgischen Verkehrsministeriums.


Wie das Land Bremen beweist, gibt es aber auch Verwaltungen, die umzusteuern versuchen. Der dortige rot-grüne Senat wendet seit kurzem sein neues Vergabegesetz an. Dieses verpflichtet die Auftragnehmer nicht nur, die bestehenden Tarifverträge zu erfüllen. Enthalten ist auch die Formulierung: „Öffentliche Aufträge werden nur an solche Unternehmen vergeben, die sich verpflichten, ihren Beschäftigten ein Entgelt von mindestens 7,50 Euro pro Stunde zu zahlen“. Bremen führt damit den Mindestlohn ein, den die Regierungskoalition in Berlin verweigert.


Dass es zu dieser Entwicklung kommt, liegt nicht zuletzt am Engagement von Bürgerrechts- und Verbraucherorganisationen, die die Beschaffungspolitik des Staates seit einiger Zeit zum Thema der öffentlichen Auseinandersetzung machen. „Wenn die Polizei Sportbekleidung kauft, werden oft fundamentale Arbeitsrechte der Produzenten missachtet“, sagt Johanna Fincke von der Christlichen Initiative Romero in Münster. Die T-Shirts, Sporthosen und Trainingsjacken, die unter anderem die Sportartikel-Firma Adidas an die Polizei liefere, „stammen mit großer Wahrscheinlichkeit aus China“, so Fincke, „und dort können die Arbeiter nicht frei über ihren Lohn verhandeln“.


Adidas weist diese Vorwürfe zurück. In Herzogenaurach erklärt man, dass alle Zulieferfirmen „das Recht jedes Mitarbeiters, Vereinigungen nach eigener Wahl beizutreten, solche zu gründen, sowie an Tarifverhandlungen teilzunehmen, anerkennen und respektieren müssen“.


In solchen Fällen steht Vermutung gegen Behauptung. Die öffentlichen Einkäufer in Mitteleuropa gehen davon aus, dass China keine freien Gewerkschaften kennt und damit eigentlich jedes dort arbeitende Unternehmen gegen die völkerrechtlich bindende Konvention der Internationalen Arbeitsorganisation (ILO) verstößt, die die Koalitionsfreiheit für alle Beschäftigten fordert.


Was aber tun die staatlichen Einkäufer, wenn Adidas mit Gutachten unabhängiger Prüfer belegt, dass seine Zulieferer in China die Kernarbeitsnormen der ILO doch einhalten? Dann sind die Beschaffer in Bremen, Berlin oder München mit ihrem Latein am Ende. "Das müssen wir glauben, wir können schließlich nicht wegen jedes Auftrages in der Welt herumreisen", sagt einer, der sich auskennt.

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