Blick in die Wolken
Earthcare ist auf dem Weg ins All
05. Feb. 2024 –
Mobiltelefone sind nicht erlaubt, Smartwatches auch nicht. Zu viel Strahlung für die empfindliche Technik hinter der Sicherheitsschleuse. Haarschutz überstreifen, Kittel anziehen, in Sicherheitsschuhe schlüpfen und hinein in das, was Marc Steckling den modernsten Reinraum Europas nennt. Wobei Halle es eher trifft bei den riesigen Ausmaßen. Steckling, bei Airbus verantwortlich für Erdbeobachtung und Weltraumforschung, zeigt am Konzernstandort Immenstaad Earthcare, den komplexesten Satelliten, den der Konzern je gebaut hat. Wissenschaftler wollen mit ihm das Geheimnis der Wolken lüften.
Der Satellit ist Teil des FutureEO-Programms der Europäischen Raumfahrtagentur Esa zur Erdbeobachtung. Deutschland führt es, ist mit mehreren hundert Millionen Euro beteiligt. Zahlreiche Satelliten sollen den etwa Einfluss von Wind, Wasser und Eis, Erdanziehung, Magnetfeld und Strahlung auf das Klima beobachten. Earthcare ist der größte und technisch anspruchsvollste Satellit, ein Gemeinschaftsprojekt mit der japanischen Raumfahrtagentur Jaxa.
Die Luft in der hellen Halle ist trocken, kühl. Es brummt dezent, im Hintergrund arbeitet die Anlage, die bis zu 900.000 Kubikmeter Luft pro Stunde filtert und umwälzt. Rechts in der Ecke stehen in riesigen Käfigen zwei Erdbeobachtungsatelliten des Kopernikus-Programms der Esa, eingelagert und von Stickstoff umströmt, startbereit, sollten die Vorgänger ans Ende ihrer Lebensdauer im All kommen. Davor wird ein weiterer für einen Start vorbereitet.
Bei europäischen Erdbeobachtungssatelliten ist Airbus groß im Geschäft. Steckling verweist stolz darauf, dass der Konzern an fast allen derartigen Missionen der Esa beteiligt ist. Airbus fertigt solche Satelliten in Frankreich, Großbritannien, Spanien und eben in Immenstaad am Bodensee, wo 2019 der neue Reinraum eröffnet wurde.
Earthcare ist ein Prestigeprojekt. Und es bringt einiges an Geld. Der ursprüngliche Vertrag zwischen Esa und Airbus als Generalunternehmer sah 260 Millionen Euro für Entwicklung und Bau des Satelliten vor. Davon musste der Konzern auch Zulieferer bezahlen. Für das gesamte Projekt hat die Esa inzwischen 800 Millionen Euro veranschlagt. Darin enthalten ist der Start, die Betriebskosten kommen noch hinzu.
Mitten in der Halle steht er dann, der deutsch-japanische Satellit, der die internationale Wissenschaftsgemeinschaft elektrisiert. Die Forscher erhoffen sich von ihm Erkenntnisse darüber, wie Wolken die Erderwärmung begünstigen oder verhindern. Die Daten könnten auch bessere Wettervorhersagen möglich machen. 2,5 Meter ist er breit, 3,5 Meter tief und rund 4,5 Meter hoch. 2,2 Tonnen wiegt Earthcare betankt, soviel wie eine kleinere Mercedes S-Klasse.
Einzelne Elemente ragen rot aus der groben weißen Schutzhülle hervor, Teile, die noch vor dem Start entfernt werden. Unten lugen an jeder Ecke messingfarbene Düsen heraus, mit denen der Satellit später im All in Position gehalten wird. Sie erinnern an etwas zu groß geratene, kegelförmige Design-Salzstreuer.
Vorn ist ein zyklopisches Auge zu sehen, der Laserempfänger, darunter zwei kleinere Öffnungen für die Lasersignale. Oben ruht der Radarschirm und an der Seite liegen die fünf zusammengefalteten Solarpanel an. Einmal in Position über der Erde in 393 Kilometern Höhe, wird der Radarschirm hochgeklappt, das Solarpanel nach hinten entfaltet. Der Satellit erinnert dann mit 17,2 Metern Länge etwas entfernt an einen Drachen oder ein sehr klobiges Raumschiff Enterprise. Lang und schlank, damit er den Partikeln möglichst wenig Widerstand bietet, die sich in der Höhe noch in der Restatmosphäre befinden.
Vier verschiedene Instrumente sind an Bord – Radar, Lidar, das statt Radiowellen Laserstrahlen verwendet, ein Multi-Spektral-Imager und ein Breitbandradiometer. Die Geräte erstellen, vereinfacht gesagt, ein dreidimensionales Bild einer Wolke, ermitteln, wie sie zusammengesetzt ist, ob etwa Vulkanasche oder Wüstenstaub enthalten ist, Eiskristalle, Wassertröpfchen, und wie stark Erde und Wolke Sonnenstrahlung reflektiert. Das Deutsche Institut für Luft- und Raumfahrt (DLR) spricht von Daten nie gekannter Genauigkeit.
Zunächst sah es nicht so aus, dass der Satellit überhaupt fertig würde. Der Auftrag stammt von 2008. Geplanter Startzeitpunkt: 2013. Doch es lief nicht rund – große Wünsche, sehr innovative Technik, komplexe Anforderungen. Der Lidar-Sensor erwies sich als komplizierter als gedacht. Einer der zahlreichen Zulieferer meldete Insolvenz an, bei einem anderen zerstörte ein Feuer wichtige Anlagen. Und als der Satellit dann weitgehend bereit war für einen Start kam Corona. Zuletzt bremste noch der russische Angriff auf die Ukraine. Earthcare sollte mit einer russischen Sojus-Rakete vom europäischen Weltraumbahnhof in Kourou abheben. Doch mit Kriegsbeginn waren die russischen Teams aus Französisch-Guyana verschwunden und Raketen plötzlich knapp.
Wilde Zeiten für Projektleiter Maximilian Sauer, der inzwischen sehr entspannt aussieht. Er ist seit 2012 in unterschiedlichen Positionen dabei. Und jetzt geht es wirklich los. Der Satellit wird in einen eigens entwickelten Stahlcontainer verpackt, der bereits im Reinraum steht. „Wir bringen ihn mit fünf weiteren Containern voller Material am 9. März nach München“, sagt Sauer. Von dort gehe es mit einer Antonow, einem der größten Frachtflugzeuge der Welt, über Island und die US-Ostküste nach Vandenberg in Kalifornien. Anfang May soll der Satellit dort mit einer Falcon 9 des US-Konzerns SpaceX starten. So ist es zumindest geplant. Und Sauer ist Optimist.
Vom Sommer an flitzt Earthcare dann mit Tempo 28.000 von Pol zu Pol um die Erde und liefert erste Daten. Komplexere Informationen sind von 2025 zu erwarten. Gesteuert wird er aus dem Esa-Raumfahrtzentrum in Darmstadt. Anders als im Reinraum am Bodensee erwartet den Satelliten auf seiner Umlaufbahn einige Unbill: Sonnenstürme, Restatmosphäre und aggressiver atomarer Sauerstoff. Drei Jahre soll Earthcare dem allen garantiert trotzen. Der Sprit an Bord reicht ein weiteres – mindestens.
Freie Daten
Forscher auf der ganzen Welt werden die Daten von Earthcare analysieren und benutzen. Aus Deutschland sind unter anderem das DLR-Institut für Physik der Atmosphäre (Oberpfaffenhofen), das Max-Planck-Institut für Meteorologie (München) und das Leibniz-Institut für Troposphärenforschung (Leipzig) dabei. Die Unis Hamburg, Köln und München sind ebenso beteiligt wie die FU Berlin und die LMU München. Die Daten stellen die Europäische Raumfahrtagentur Esa und die japanische Raumfahrtagentur Jaxa drei zur Verfügung. art