Bremsen ist gar ncht so einfach

Brauchen und wollen wir Wirtschaftswachstum wirklich?

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Von Hannes Koch

04. Jan. 2012 –

Die Zeit am Jahresanfang ist paradox. Viele Menschen sehnen sich nach etwas Ruhe, manchen gelingt es in der ersten Januarwoche noch, diesen Wunsch umzusetzen. Andererseits geht es gleich wieder voll los – auch politisch. So startet jetzt die Rente mit 67. „Mehr arbeiten“ lautet das Motto. Und die meisten Politiker wünschen sich mehr Wachstum – obwohl das 2012 eher schwierig wird.


Nach Einschätzung des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung (DIW) wird die Ökonomie in der ersten Jahreshälfte 2012 leicht schrumpfen. Das ist keine Katastrophe, zumal DIW-Forscher Ferdinand Fichtner für das Jahresende wieder auf eine bessere Entwicklung hofft. Für die Beschäftigten allerdings sind Phasen schwachen und ausbleibenden Wachstums immer nachteilig. Dann steigt die Arbeitslosigkeit. Um den technischen Fortschritt und die permanent zunehmende Produktivität auszugleichen, braucht Deutschland mindestens rund 1,5 Prozent Wachstum. Nur dann bleibt die Zahl der Arbeitsplätze wenigstens stabil.


Das ist einer der Gründe, warum sich die Mehrheit der Politiker, Ökonomen und Bürger dauerndes Wachstum wünscht. Dabei wird oft vergessen, dass Deutschland schon längst in der Zwickmühle steckt. Denn in den alten Industrieländern sinken die Wachstumsraten seit Jahrzehnten. Hielt man nach dem Zweiten Weltkrieg fünf Prozent pro Jahr für normal, sind heute zwei Prozent ein großer Erfolg. Die Tendenz zeigt weiter nach unten. Vorübergehende Ausnahmen wie Boomphasen in den USA oder Großbritannien scheinen diese Regel eher zu bestätigen.


Hinzu kommen starke Zweifel, ob weiteres Wachstum wie früher überhaupt sinnvoll ist. Gerade wegen der Finanzkrise sind solche Fragen lauter geworden. Weil der Finanzcrash durch einen schwunghaften Handel mit Schuldtiteln ausgelöst wurde, verordnet die Politik den Banken nun, künftig mehr eigenes Geld als Risikovorsorge in Reserve zu halten. Diese Vorschriften sind aber immer noch recht milde. Müssten die Finanzinstitute so viel Eigenkapital zurücklegen, dass sie tatsächlich geschützt wären, würde das ihre Geschäftstätigkeit einschränken. Sie vergäben weniger Kredite. Damit litte auch das Wirtschaftswachstum. Zugespitzt lässt sich sagen: Wir haben die Wahl zwischen größerer Sicherheit im Finanzsystem und hohem Wachstum. Beides zusammen geht nicht.


Ein anderes Problem ist der Klimawandel. Gegenwärtig schaffen wir globales Wachstum nur zum Preis der Klimakatastrophe. Ökonomischen Fortschritt besonders in den USA und Asien erkauft die Welt mit steigendem Ausstoß von Kohlendioxid. Wenn es so weiter geht wie bisher, steigt die Durchschnittstemperatur der Erdatmosphäre in den kommenden Jahrzehnten um zwei, drei oder mehr Grad. Die vermutlichen Folge: Dürren, Nahrungsmittelprobleme, höhere Meeresspiegel und Überschwemmungen.


Das muss nicht unbedingt so kommen. Deutschland probiert mit der Energiewende gerade eine Alternative. Das Ziel ist es, den Ausstoß von klimaschädlichem Kohlendioxid bis 2050 nahe Null zu senken. „Entkoppelung“ lautet das Motto: Wachstum ohne ökologische Schäden. Ob das erstens national und zweitens international funktioniert, wissen wir vielleicht in 50 Jahren.


Aber auch jenseits der Energiefrage gibt es drängende Probleme. In hohem Tempo verbrauchen die Menschen die Natur, indem sie immer neue Straßen, Pipelines und Industrieanlagen bauen. Sie fischen die Meere leer und türmen gigantische Müllhalden auf. Ist es vorstellbar, auch diese ökologischen Schäden aus dem System herauszuoperieren, während der wirtschaftschaftliche Wachstumsprozess ungebremst weiterläuft? Man weiß es nicht, es erscheint zumindest sehr fraglich.


So ist eine neue öffentliche Debatte über das Wirtschaftswachstum in Gang gekommen. Im Bundestag tagt eine Enquetekommission, die die gegenwärtige ökonomische Logik relativiert. Einige viel diskutierte Buchautoren sind da schon weiter. Etwa der Bonner Sozialwissenschaftler Meinhard Miegel argumentiert, dass Wachstum nicht notwendig sei. Vor dem Beginn der Industrialisierung sei die Menschheit Jahrtausende ohne die sprunghafte Vermehrung des materiellen Wohlstandes auskommen, so Miegel. Auch in anderen Staaten läuft diese Diskussion. In Frankreich findet der Begriff der „Decroissance“, des Schrumpfens, große Aufmerksamkeit. Und der Schweizer Ökonom Hans Christoph Binswanger plädiert dafür, das Tempo zumindest zu bremsen.


Was aber hieße das praktisch? Angenommen, die deutsche Wirtschaft würde auf absehbare Zeit stagnieren. Dann nähme die Summe der notwendigen Lohnarbeit ab. Entweder würden mehr Menschen arbeitslos, alle Beschäftigten müssten auf einen Teil ihrer Arbeitszeit und Bezahlung verzichten, oder die Unternehmen wären bereit, ihre Gewinnerwartung herunterzuschrauben. Die Steuereinnahmen und Sozialabgaben sänken. Damit stünde weniger Geld für öffentliche Aufgaben zur Verfügung. Diese einfache Überlegung zeigt: Weniger Wachstum kann materiellen Verzicht bedeuten.


Das gilt natürlich auch für die Bürger. Die wenigstens Wachstumskritiker sind so radikal und ehrlich wie der Oldenburger Ökonom Niko Paech. Er sagt: Weniger Zuwachs würde auch heißen, dass die Bürger weniger Waren und Dienstleistungen kaufen können. Pullover stricken, Fahrrad reparieren, Kartoffeln anbauen in Eigenarbeit wären angesagt. Und Urlaub in Balkonien. Wer will das schon? Es könnte ein schwieriger Übergangsprozess auf uns zukommen.



Info-Kasten 1

Was das Wachstum treibt

Die Ursachen und Begründungen für Wirtschaftswachstum sind vielfältig. Hier die wichtigsten:


Bevölkerungszunahme

Die Zahl der Menschen auf der Erde nimmt weiter zu. Gegenwärtig sind es rund sieben Milliarden. Neun oder zehn Milliarden könnten wir noch erreichen. Die zusätzlichen Erdenbewohner brauchen zusätzliche Energie, Nahrungsmittel, Autos.


Export

Angesichts der wachsenden Weltbevölkerung verkaufen auch deutsche Unternehmen im Ausland gut. Über 40 Prozent aller deutschen Produkte gehen in den Export. Auf den regelmäßigen Zuwachs mögen die Unternehmen nicht verzichten.


Profit

In der Marktwirtschaft – man kann auch sagen: im Kapitalismus – wollen die meisten Firmen und viele Bürger Gewinne erwirtschaften. Dies ist oft nur möglich, wenn Produktion, Verkäufe, Kredite und Verbrauch zunehmen.


Produktivität

Infolge des technischen Fortschritts stellen weniger Arbeiter mehr Produkte her. Um die Zahl der Stellen unter sonst gleichen Arbeitsbedingungen wenigstens stabil zu halten, muss die Wirtschaft wachsen.

Sozialer Frieden

Jede Bevölkerungsgruppe – Rentner, Beschäftigte, Selbstständige und so weiter - wünscht sich eine Verbesserung ihrer materiellen Situation. Aus einem Zuwachs kann die Regierung diese Ansprüch leichter befriedigen als aus stagnierendem oder schrumpfendem Finanzvolumen.



Info-Kasten 2

DIW-Prognose 2012

Mit einem Zuwachs des Bruttoinlandprodukts um 0,6 Prozent in diesem Jahr rechnet das Deutsche Institut für Wirtschaftsforschung (DIW). Zum Vergleich: 2011 nahm die Leistung um drei Prozent zu. Nach einer leichten Rezession in der ersten Jahreshälfte, wird die Dynamik im dritten und vierten Quartal wieder zunehmen, so das DIW. Voraussetzung: Die Euro-Krise kann eingedämmt werden. Gelingt dies, geht das DIW davon aus, dass die Arbeitslosigkeit in Deutschland im kommenden Jahr nur leicht auf etwas über drei Millionen Erwerbslose steigt. 2013 würde sie dann wieder sinken.

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