Brüderle bekommt Schmähpreis für unfairen Einkauf

Leiharbeit für 2,50 Euro pro Stunde, dreckiger Strom: Bahn AG und Wirtschaftsminister wegen unökologischer und unsozialer Auftragsvergabe kritisiert. Land Bremen und 100 Städte handeln verantwortlicher

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Von Hannes Koch

23. Feb. 2010 –

Es wäre so leicht. Stadtkämmerer, Länderministerien und Polizeidirektoren haben eine enorme ökonomische Macht. Für rund 360 Milliarden Euro kauft der deutsche Staat pro Jahr Güter und Dienstleistungen. Die öffentliche Nachfrage macht knapp 15 Prozent der gesamten Wirtschaftsleistung des Landes aus.

Fahrzeuge und Uniformen für die Polizei, Computer für die Universitäten, Papier für die Büros, Gebäudereinigung für die staatlichen Immobilien. Warum sollten Privatfirmen bei diesen Aufträgen nicht ökologische und soziale Mindeststandards einhalten?

Dass dies viel zu selten stattfinde, kritisierten am Dienstag Umwelt- und Bürgerrechtsgruppen, sowie der Deutsche Gewerkschaftsbund (DGB) bei einer Aktion am Bundeswirtschaftsministerium in Berlin. Vor dem Portal des Ministeriums inszenierten sie die Verleihung eines Schmähpreises, den die Deutsche Bahn und das Haus von Minister Rainer Brüderle (FDP) selbst erhielt.


Der Bahn wirft das „Netzwerk für Unternehmensverantwortung“ (Cora) vor, Tarifverträge zu umgehen und Leiharbeiter für 2,50 Euro pro Stunde zu beschäftigen. Die „Scheinselbstständigen aus Rumänien und Bulgarien“, so Doro Zinke, Chefin des DGB Berlin-Brandenburg, „wurden auf Bahnhöfen und Gleisen zur Schneeräumung eingesetzt“. Die Bahn, die die Angelegenheit im Grundsatz bestätigt, will der fraglichen Firma mittlerweile eine Abmahnung erteilt haben. Der Auftragnehmer habe gegen geltendes Arbeitsrecht verstoßen.


Das Wirtschaftsministerium erhielt den Anti-Preis der Kritiker, weil es seit Mai 2009 Strom von der RWE-Tochter Envia beziehe, bei dessen Produktion besonders viel klimaschädliches Kohlendioxid verursacht werde. Als einziges Kriterium bei der Auswahl des Stromanbieters habe das Ministerium, dem damals noch CSU-Minister Karl-Theodor zu Guttenberg vorstand, den billigsten Preis angelegt. Ein Kommentar des BMWi war bis Redaktionsschluss nicht erhalten.


Dass der niedrigste Preis nicht länger das wesentliche Merkmal staatlicher Beschaffung zu sein braucht, hat die Europäische Union in einer Richtlinie festgelegt. Deshalb besitzt auch Deutschland seit vergangenem Jahr ein Gesetz, das ökologische und soziale Kriterien bei Staatsaufträgen erlaubt. Viele Städte, Länder, öffentliche Firmen und auch Bundesministerien vernachlässigen allerdings noch die ökosoziale Qualität der Güter und Dienstleistungen, die sie einkaufen.


So verfügen die Bundesländer Baden-Württemberg, Sachsen-Anhalt, Sachsen, Nordrhein-Westfalen, Saarland und Bayern bisher über keine Regelungen, die es erlauben würden, private Unternehmen wegen Kinderarbeit, Dumpinglöhnen oder Klimaschäden von öffentlichen Aufträgen auszuschließen. In anderen Ländern ist die Diskussion schon etwas weiter vorangeschritten. So debattiert der rot-rote Senat von Berlin über eines neues Vergabegesetz.


Das rot-grün regierte Bremen hat ein solches Gesetz bereits seit Ende 2009. Dieses verpflichtet die privaten Auftragnehmer nicht nur, die bestehenden Tarifverträge zu erfüllen. Enthalten ist auch die Formulierung: „Öffentliche Aufträge werden nur an solche Unternehmen vergeben, die sich verpflichten, ihren Beschäftigten ein Entgelt von mindestens 7,50 Euro pro Stunde zu zahlen“. Bremen führt damit den Mindestlohn ein, den die Regierungskoalition in Berlin verweigert.


Getrieben vom Engagement ihrer Bürger gehören auch rund 100 deutsche Städte zur ersten Liga der verantwortungsvollen Auftraggeber. Bonn, Düsseldorf, Neuss und andere Kommunen haben sich selbst soziale und ökologische Standards für ihre Aufträge verordnet. Wenn Unternehmen Blumen oder Plastersteine an die Kommune liefern, müssen sie beispielsweise zusichern, dass keine Kinderarbeiter in der Produktion beschäftigt waren. Als Beleg verlangen die Städte etwa ein Zertifikat der Kontrollorganisation Transfair, die die Herstellungsbedingungen in Entwicklungsländern überprüft.


Damit sich solche Praktiken ausdehnen, fordert das Netzwerk für Unternehmensverantwortung die Bundesregierung auf, eine zentrale Beratungsstelle zu gründen, die öffentliche Auftraggeber beraten und unterstützen kann. Bislang gibt es eine derartige Serviceeinrichtung nicht.

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