Bürgergeld für Starkstromleitung
Netzbetreiber Tennet will eine neue Stromtrasse mit Hilfe der Anwohner finanzieren
30. Jan. 2013 –
Der Stromkonzern Tennet und die rot-grüne Landesregierung von Schleswig-Holstein unternehmen ein Experiment der Bürgerbeteiligung. Privatleuten soll die Möglichkeit gegeben werden, sich an einer noch nicht gebauten Höchstspannungsleitung finanziell zu beteiligen und Zinsen zu erwirtschaften. Das Projekt, das auch dazu dient, den Protest gegen neue Stromtrassen zu vermindern, ist für die Anleger nicht ohne Risiko.
Schleswig-Holsteins Ministerpräsident Torsten Albig (SPD) und Tennet-Geschäftsführer Lex Hartmann machten das Vorhaben am Mittwoch in einer gemeinsamen Presseerklärung bekannt. Beide betonten das Ziel, Akzeptanz für die Energiewende herzustellen. Die 380-Kilovolt-Leitung soll mit Masten entlang der schleswig-holsteinischen Westküste zwischen Niebüll im Norden und Brunsbüttel im Süden verlaufen. Ihr Zweck ist es, Strom aus den Windparks vor allem an Land zu den Verbrauchern zu transportieren.
Im Verlauf diesen Jahres wird Tennet den Bürgern eine Unternehmensanleihe anbieten, die ab Baubeginn mit vermutlich 4,5 bis fünf Prozent jährlich verzinst wird. Der minimale Beteiligungsbetrag beträgt 1.000 Euro. Eine Person kann mehrere Anteile zeichnen. Die Kleinanleger in der unmittelbaren Umgebung der Trasse sollen ein Vorkaufsrecht bekommen, Großanleger möglichst nicht zum Zuge kommen. 40 Millionen Euro, das sind 15 Prozent des Investitionsvolumens, will Tennet für die Leitung einsammeln.
Das finanzielle Engagement wird für die Privtanleger ein Risiko beinhalten. So garantiert Tennet den Zinssatz nicht. Er kann höher oder niedriger ausfallen, je nachdem, was „vergleichbare Kapitalmarktprodukte“ erbringen, sagte Firmensprecherin Ulrike Hörchens. Grundsätzlich besteht auch das Risiko des Verlustes der Beteiligung. Vorstellbar ist beispielsweise ein Bankrott des Unternehmens. Allerdings ist Tennet ein niederländisches Staatsunternehmen, das außerdem durch die staatliche deutsche Bundesnetzagentur beaufsichtigt wird.
Joachim Treder, bei der HSH Nordbank zuständig für die Finanzierung erneuerbarer Energien, rät zeichnungswilligen Anlegern gleichwohl, „sämtliche Verträge genau zu prüfen“, die für die Zahlungskraft der Leitungsgesellschaft wichtig sind. Ob das eingesetzte Kapital sicher sei und die Verzinsung fließe, hänge beispielsweise davon ab, dass eine ausreichende Zahl von Windparks ihren Strom durch die neue Leitung schicken wollten.
Interessant ist der Unterschied zwischen dem Zinssatz, den Tennet erzielt, und der Rendite, die das Unternehmen an die Anleger weitergeben will. Die Bundesnetzagentur gestattet eine Profitmarge von gut neun Prozent. Warum erhalten die Privatanleger dann nur bis zu fünf Prozent? Tennet-Sprecherin Hörchens sagte, dass das Unternehmen von seiner Eigenkapitalrendite noch Steuern und andere Kosten tragen müsse. HSH-Mitarbeiter Treder hält die angebotene Rendite für angemessen.
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Energiewende und Protest
Zahlreiche Bürgerinitiativen und Gruppen engagieren sich bundesweit gegen den Bau von Höchstspannungstrassen. Bundesnetzagentur und Bundesregierung haben unlängst beschlossen, dass unter anderem drei neue Gleichstromleitungen errichtet werden, die Ökostrom aus dem Norden nach Bayern und Baden-Württemberg bringen sollen. Um den Protest in Grenzen zu halten, plädiert auch Bundesumweltminister Peter Altmaier (CDU) für die finanzielle Beteiligung der Bürger. Wenn das Modell der Tennet-Leitung in Schleswig-Holstein funktioniert, könnte es ein Modell für andere Regionen werden.