Bundesadler und Pleitegeier

Die zwei Seiten der D-Mark-Einführung im Osten am 1. Juli 1990

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Von Wolfgang Mulke

25. Jun. 2010 –

Der 1. Juli 1990 war ein in jeder Hinsicht heißer Tag. Er begann mit einer Liveübertragung im Fernsehen vom Berliner Alexanderplatz. Pünktlich um Null Uhr knallten die Sektkorken, explodierten Böller. Anlass war kein Fußballspiel, sondern die Einführung der D-Mark in der noch bestehenden DDR. Schon kurz nach Mitternacht hielten die ersten überglücklichen Ostdeutschen den begehrten 100-Mark-Schein in die Kamera. In den nächsten Tagen wurde die Ostmark komplett durch die aus dem Westen importierte Hartwährung ersetzt. Lastwagenweise karrte die Bundesbank das Geld über die Grenze in weitgehend ungesicherte Bankfilialen. Das war eine logistische wie ökonomische Großtat.

 

Unter den Finanzexperten war die deutsch-deutsche Währungsunion höchst umstritten. Der damalige Chef der Bundesbank, Hans Tietmeyer, war dagegen, Einheitskanzler Helmut Kohl dafür. Beide hatten gute Gründe. Dem Kanzler hallten noch die Sprechchöre der Demonstranten in den Ohren. „Kommt die D-Mark, bleiben wir, kommt sie nicht, geh’n wir zu ihr“, hieß es da. Die Einführung der D-Mark sollte verhindern, dass die Menschen ihrem Wunsch nach einem besseren Leben durch einen Umzug in den Westen massenweise nacheiferten. Politisch war diese Entscheidung daher wohl richtig.

 

Ökonomisch sah die Rechnung anders aus. Denn über Nacht mussten die Betriebe im Osten mit einer extrem harten Währung klar kommen. Für Löhne, Investitionen oder Rohstoffe wurden Westmark benötigt. Das künstliche Umtauschverhältnis von 2:1 entsprach in keiner Weise dem Schwarzmarktkurs von zehn Ostmark für eine aus dem Westen. Plötzlich steckten die unproduktiven Industriekombinaten im direkten Wettbewerb zu effizienten Konzernen aus aller Welt. Unter dieser Last brach ein großer Teil der Industrie in den neuen Ländern im Nu weg und die Arbeitslosigkeit stieg schnell an. Das war die Entwicklung, vor der Ökonomen gewarnt hatten.

 

So hatte diese Medaille zwei Seiten. Vorn prangt stolz der Bundesadler, auf der Rückseite weint der Pleitegeier.

 

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