Das fehlende Vertrauen
Gute Zahlen bei Bayer besänftigen kaum
01. Mär. 2023 –
Ganz zum Schluss lächelt der scheidende Bayer-Chef doch noch. Eineinhalb Stunden haben er und sein Vorstandsteam die Zahlen für 2022 erklärt. Topp-Werte, üppige Dividende, sehr gute Produktpipeline, etwas verhaltener Ausblick. Eine geradezu klinisch reine Veranstaltung und im krassen Gegensatz zu dem, was in den vergangenen Wochen so Thema war: Zerschlagung, unzufriedene Großaktionäre, der mehr oder weniger unfreiwillige Abgang Baumanns. Was ist los beim größten deutschen Pharma- und Agrochemiekonzern?
Rein von den Zahlen her läuft es: rund 51 Milliarden Euro Umsatz, preis- und währungsbereinigt 8,7 Prozent mehr als 2021, Betriebsergebnis um mehr als ein Fünftel gestiegen, Gewinn vervierfacht. Die Agrochemie-Sparte ist kräftig gewachsen, die Pharmasparte mit den verschreibungspflichtigen Medikamenten legt zu, hat zahlreiche vielversprechende Blockbuster in Planung oder auf dem Markt. Dahinter verbergen sich Medikamente mit einem Umsatz von jährlich mehr als einer Milliarde Euro. Und die kleine Sparte Consumer Health mit den frei verkäuflichen Arzneimitteln wie Aspirin und Bepanthen-Salbe gedeiht ebenfalls. Die Dividende soll um 20 Prozent auf 2,40 Euro je Aktie steigen. Warum also muss Baumann, der oberste von 101.000 Mitarbeitern Ende Mai vorzeitig gehen?
„Bayer hat kein strategisches Problem, Bayer hat ein Vertrauensproblem. Das machte sich am Konzernchef fest“, sagt Marc Tüngler, Hauptgeschäftsführer der Deutschen Schutzvereinigung für Wertpapierbesitz (DSW). Als der Aufsichtsrat im Februar verkündete, Baumanns Vertrag vorzeitig auslaufen zu lassen, und als Nachfolger den Amerikaner Bill Anderson vorstellte, derzeit Pharmachef des Schweizer Konzerns Roche, sprang der Bayer-Aktienkurs nach oben, die internationalen Anleger überzeugte der Neue. „Mit Baumann wäre der Aktienkurs nie gestiegen“, sagt Tüngler. „Allein, dass der Kurs ausschlug, als sein Abschied bekannt wurde, zeigt, was möglich ist.“
Baumann ist seit 35 Jahren im Konzern. Als er 2016 Chef wurde, hatte sein Vorgänger Bayers Wert in bisher ungeahnte Höhen getrieben. Baumann nutzte das und setzte einen jahrelang immer wieder diskutierten Plan um: den US-Konzern Monsanto kaufen, um weltweit die Nummer 1 bei Agrochemie zu werden. Die Idee: Die Weltbevölkerung wächst, die landwirtschaftliche Fläche nicht. Alle satt zu bekommen, erfordert ertragreichere Pflanzen, guten Pflanzenschutz, mehr Digitalisierung. Ein Zukunftsgeschäft.
Bayer schluckte Monsanto für umgerechnet 60 Milliarden Euro, die bis dahin teuerste Auslandsübernahme durch einen deutschen Konzern. Inzwischen ist Bayer mit knapp über 56 Milliarden Euro insgesamt weniger wert, als der Zukauf gekostet hat. Die Übernahme brachte nicht nur Schulden, sondern auch Klagen wegen des Pflanzenschutzmittels Glyphosat, das Krebs auslösen soll, was aber nicht nachgewiesen ist. Von rund 154.000 Fällen sind inzwischen 109.000 beigelegt oder abgelehnt. Insgesamt hat Bayer 16 Milliarden Dollar für Vergleiche zurückgestellt, etwa 9,5 Milliarden Euro wurden ausgezahlt.
Der Fall belastete den gesamten Konzern. Der Aktienkurs fiel. Und wie immer in den vergangene Jahren, wenn es nicht rund lief, tauchten diejenigen auf, die das Geschäftsmodell anzweifelten. Finanzinvestoren, die sich mit kleineren Anteilen an Konzernen beteiligen und aggressiv versuchen, ihr Ziel umzusetzen und mit Gewinn wieder auszusteigen. Hier halten sie drei einzelne Unternehmen für wertvoller als einen Bayer-Konzern mit drei Sparten.
Nun ist das Vorgehen solcher aggressiver Investoren nicht von sich aus verwerflich, sie zeigen Probleme auf. Sind Strategie und Management gut, sieht keiner solcher Investoren eine gute Chance auf Gewinn. Bei Bayer allerdings bemängelten auch Deka und Union Investment, die großen Fondsgesellschaft der Sparkassen und der Genossenschaftsbanken, die Konzernführung und die Struktur des Unternehmens.
Markus Manns, Fondsmanager bei Union Investment, sagt: „Werner Baumann verabschiedet sich mit einem soliden Zahlenwerk. Aber der Ausblick für dieses Jahr ist enttäuschend, genau wie der langsame Schuldenabbau.“ Die Anleger sahen das ähnlich: Bayers Aktienkurs fiel. Manns vermutet, dass der Ausblick absichtlich schwach ausfällt, um „Bill Anderson einen guten Start zu ermöglichen“. Wobei Manns der Zustand Bayers insgesamt nicht gefällt: „Baumann übergibt ein sanierungsbedürftiges Unternehmen, an dem die Schäden durch den „Hurrikan Glyphosat“ so gut es ging ausgebessert wurden und die ersten Reparaturarbeiten an der Bausubstanz begonnen haben.“
Ob sich die Zerschlagung Bayers in drei Teile mit dem Abschied Baumanns erledigt hat? Unwahrscheinlich. Manns schlägt vor, Consumer Health über die Börse auszugliedern, um Bayer mit den anderen beiden Sparten zu retten. Die Aktionäre profitieren von einem solchen Spin-off, haben sie dann doch neben der Bayer-Aktie eine weitere im Depot. Das könnte die Finanzinvestoren beruhigen. Der Konzern profitiert eher nicht, bekommt er doch kein frisches Geld, um etwa Schulden zu tilgen oder das Pharma-geschäft zu stärken.
Also verkaufen? Aktionärsschützer Tüngler ist nicht überzeugt: „Die Sparte Consumer Health jetzt zu verkaufen nur um des Verkaufens willen ist falsch. Lassen wir Bill Anderson erst einmal antreten und seine Strategie formulieren. Wenn dann Geld benötig wird etwa, um das Pharmageschäft aufzuwerten, kann man über Verkäufe nachdenken.“ Für Baumann ist das alles nicht mehr Thema. Auf die Frage, was er nach seinem Abschied bei Bayer machen werde, bricht sich beim 60-Jährigen nach gut eineinhalb Stunden maximal neutralen Verhaltens vor den Kameras der Bilanzpressekonferenz das Lächeln Bahn, wenn auch nur kurz: „Alles noch offen.“