Das globale Erdöl-Rätsel

Hat die Welt noch genug fossilen Treibstoff für 20 oder mehr Jahre?

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Von Hannes Koch

03. Apr. 2013 –

Die Frage stellt man sich im täglichen Leben meistens nicht. Wie lange halten die Energievorräte noch, die unsere Gesellschaft in Bewegung versetzen? Hunderte Millionen Fahrzeuge weltweit brauchen Benzin, tausende Kraftwerke verfeuern Erdgas oder Kohle. Darüber, wie lange wir angesichts des weltweit steigenden Verbrauchs noch aus dem Vollen schöpfen können, ist nun ein neuer Disput unter Wissenschaftlern entflammt.


Auf der einen Seite steht die Internationale Energieagentur in Paris, getragen von den westlichen Industriestaaten, darunter Deutschland. Die Experten sind optimistisch, dass der wachsende Weltbedarf an Öl und Gas grundsätzlich mindestens bis 2035 durch eine steigende Produktion gestillt werden kann. Die Gegenposition übernimmt die Energy Watch Group, in der unter anderem die Ludwig-Bölkow-Stiftung mit ökologisch inspirierten Wissenschaftlern kooperiert. Die These der EWG: Die globale Öl- und Gasförderung sind mittlerweile auf oder nahe ihrem Höhepunkt angekommen. Sehr bald wird weniger fossile Energie zur Verfügung stehen als jetzt.


Folgerichtig kommen beide Seiten zu unterschiedlichen Schlussfolgerungen, was die Dringlichkeit des Ausbaus der erneuerbaren Energien betrifft. Die EWG möchte die Energierevolution beschleunigen, die IEA ist zurückhaltender.


Die EWG-Wissenschaftler um Werner Zittel aus Ottobrunn sagen, dass die weltweite Erdölförderung bereits 2012 ihren Höhepunkt erreicht hat. „Es ist sehr wahrscheinlich, dass sie um das Jahr 2030 um etwa 40 Prozent gegenüber dem Jahr 2012 zurückgehen wird“, heißt es in dem kürzlich veröffentlichen Bericht „Fossile und nukleare Brennstoffe – die künftige Versorgungssituation“.


Diese Thesen würden auch gelten angesichts des neuen Ölbooms in den USA. Dort können Bohrfirmen mit modernen Techniken inzwischen Lagerstätten ausbeuten, die bisher als unergiebig galten. Die EWG warnt: „Die Förderung von ´tight oil´ - Öl in dichtem Gestein – wird vermutlich nicht länger als zehn Jahre auf hohem Niveau erfolgen und sich damit als eine deutlich überschätzte Blase zeigen.“ Zittel und seine Kollegen begründen ihre Einschätzung mit Erfahrungen bei der Ausbeutung kürzlich erschlossener Ressourcen unter anderem in den USA. Diese würden sich entgegen den Annahmen der Ölkonzerne innerhalb kurzer Zeit erschöpfen.


Währenddessen beschreibt die Internationale Energieagentur einen weltweit steigenden Bedarf an Erdöl, dem aber auch eine grundsätzlich zunehmende Produktion gegenübersteht. Sowohl die Nachfrage, als auch das Angebot könnten bis 2035 um rund ein Viertel wachsen. Dieses Szenario halten die Experten der IEA allerdings nicht für das beste – sie warnen beispielsweise vor der dann weiter zunehmenden Belastung der Erdatmosphäre mit klimaschädlichen Abgasen.


Hinzu kommt eine These der IEA, die für besonderes Aufsehen gesorgt hat: „Ab ungefähr 2020 werden die Vereinigten Staaten voraussichtlich zum weltweit größten Ölproduzenten und überholen damit Saudi-Arabien.“ Allerdings weiß die Energieagentur, dass die USA selbst unter diesen Voraussetzungen weiterhin große Mengen Öl importieren müssten – falls ihr Verbrauch unter anderem im Autoverkehr nicht stark sinkt. Die öffentlich kolportierte Behautpung über die bevorstehende „Erdöl-Unabhängigkeit“ der USA trifft also auch den Zahlen der IEA zufolge nicht zu. Freilich dürfte das Ausmaß der amerikanischen Abhängigkeit von Energieimporten beträchtlich abnehmen – ein Befund, den die Energy Watch Group nicht teilt.


Ebenfalls widersprüchlich sind die Ergebnisse der beiden Wissenschaftlergruppen beim Erdgas. Die EWG sieht die weltweite Gasproduktion ab etwa 2020 fallen, in den USA bereits ab 2015 – trotz des dortigen Booms der Förderung von Erdgas aus Schiefergestein mittels Fracking. Im World Energy Outlook 2012 der IEA liest sich das ganz anders. Sowohl weltweit, als auch in den USA steige die Produktion gemäß der Nachfrage. Die Vereinigten Staaten könnten sich bald sogar unabhängig von Gasimporten machen.


So stellt sich die Frage, warum Energieexperten unterschiedlicher Institutionen zu derart divergierenden Einschätzungen kommen. Liegen die Zahlen über Ölvorkommen und Förderung nicht auf dem Tisch? „Die Verlässlichkeit der Daten ist mitunter fraglich,“ sagt Manuel Frondel, Energieexperte beim Rheinisch-Westfälischen Institut für Wirtschaftsforschung. Denn Staaten und Unternehmen halten Angaben zurück oder veröffentlichen irreführende Schätzungen. Mitunter interpretieren auch Wissenschaftler die Daten in die eine oder andere Richtung, indem sie bestimmte, ihnen genehme Annahmen treffen.


Grundsätzlich freilich steht die These der EWG über ein bald erreichtes Fördermaximum auf wackeligen Beinen. Einfacher Grund: Noch nicht entdeckte Vorkommen können nicht eingerechnet werden. Durch neue Explorationen und neue technische Verfahren sind die verfügbaren Mengen bisher immer gestiegen. Jüngstes Beispiel: Schiefergas. So sagt RWI-Ökonom Frondel: „Erdöl und Erdgas gehen der Welt nicht aus. Ein Fördermaximum wird allenfalls deshalb erreicht, weil sich die Nachfrage wegen steigender Preise verlagert.“


In diesem Befund sind sich die Wissenschaftler unterschiedlicher Herkunft denn auch einig: Fossile Energie wird weiter beträchtlich teurer, vor allem getrieben durch den zunehmenden Bedarf in Schwellenländern wie China. Für die erneuerbaren Energien ergibt sich daraus möglicherweise ein Kostenvorteil, denn der teure Produktionsschritt der Ausbeutung unterirdischer Lagerstätten fällt bei Wind- und Sonnenenergie weg.

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