• Carsten Schneider | Foto: SPD
    Carsten Schneider | Foto: SPD

Das große Nichtstun

In der Steuer- und Finanzpolitik hat die große Koalition fast nichts bewegt. Dieses Muster setzt sich beim aktuellen Streit um die Erbschaftsteuer fort.

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Von Hannes Koch

15. Jun. 2016 –

Carsten Schneider hat Zeit. Der Fraktionsvize der SPD im Bundestag stellt sich raus auf seinen Bürobalkon und raucht eine blaue Gauloise. Schöner Blick auf die Spree, die gemächlich am Reichstag vorbeifließt. „Ich schaue gerne auf's Wasser. Das beruhigt.“ Schneider, aus Erfurt stammend, 40 Jahre alt, ist Hobby-Angler.

 

Wie ein langer, ruhiger Fluss verlief in den vergangenen drei Jahren die Entwicklung bei seinem Lieblingsthema, der Finanz- und Steuerpolitik. Da hätten Union und SPD mit ihrer 80-Prozent-Mehrheit im Bundestag jede Menge bewegen können, doch es herrschte weitgehend Tatenlosigkeit. „Die Finanz- und Steuerpolitik der großen Koalition ist mir zu unambitioniert“, sagt Schneider. So ist es auch beim Streit um die Erbschaftsteuer, der am Donnerstag dieser Woche möglicherweise doch noch gelöst wird.

 

Dass nicht viel passieren würde, kündigte sich bereits in den Koalitionsverhandlungen 2013 an. Die SPD wollte gewisse Steuererhöhungen für Wohlhabende und Reiche durchsetzen. Doch die Union blockte alles ab. Schneider rief seinen Parteivorsitzenden Sigmar Gabriel an und fragte, was los sei. Von dort erhielt er die Auskunft: „Die Vereinbarung lautet: Im Mittelpunkt steht der ausgeglichene Bundeshaushalt. Steuerpolitisch machen wir nichts.“

 

Obwohl es durchaus notwendig gewesen wäre. Seit Jahren ist den Politikern der Befund bekannt, dass die soziale Spaltung zwischen Arm und Reich zunimmt, was die Legitimität der sozialen Marktwirtschaft und Demokratie insgesamt in Frage stellt. Niedrigere Steuern und Sozialabgaben für Geringverdiener und eine höhere Belastung der wirtschaftlichen Elite könnten hier ausgleichend wirken.

 

Doch die Union legte sich auf das Versprechen fest: keine Steuererhöhungen. Die Christdemokraten wollten sich von den Wählern an dieser Stelle nicht den Vorwurf machen lassen, sozialdemokratische Politik zu exekutieren. Ralph Brinkhaus, Fraktionsvize der Union, verleiht der Blockade eine positive Interpretation, indem er sagt: „Es ist ein Wert an sich, wenn einige Jahre Rechtssicherheit bei den Steuergesetzen herrscht.“

 

Gestaltende Steuer- und Finanzpolitik fand in der Folge oft nur dann statt, wenn man wirklich etwas tun musste, beispielsweise weil das Bundesverfassungsgericht eine Neuregelung der Erbschaftssteuer für Unternehmen verlangte. In dieser Sache zerlegt sich die Koalition nun seit Monaten. Obwohl das Paket schon ausgehandelt war, will die CSU jetzt unbedingt noch weitere Verbesserungen für mittelständische Firmen durchsetzen. Sollten bisher Handwerksbetriebe mit höchstens drei Beschäftigten von der Steuer auf vererbtes Betriebsvermögen verschont werden, so könnte diese Grenze nun auf vier oder fünf Beschäftigte steigen.

 

Aber die SPD wird sich dieses Zugeständnis bezahlen lassen. „Wir werden Veränderungen bei der Erbschaftsteuer nur zustimmen, wenn sie das Aufkommen erhöhen“, sagt Schneider. Größere Firmen oberhalb eines Wertes des Betriebsvermögens von etwa 80 Millionen müssten dann mehr Erbschaftsteuer entrichten. Hier muss die CSU wohl mit dem Gegenteil leben, das sie eigentlich erreichen wollte – kein gutes Ergebnis für Bayerns Ministerpräsident Horst Seehofer.

 

Was haben die Finanzpolitiker von Union und SPD darüberhinaus während der vergangenen drei Jahre gemeinsam geleistet? Brinkhaus: „Finanz- und haushaltspolitische Erfolge der großen Koalition sind unter anderem der ohne neue Schulden ausgeglichene Bundeshaushalt, erhebliche Fortschritte bei der Bekämpfung der internationalen Steuerhinterziehung sowie die finanzielle Entlastung der Kommunen.“ SPD-Kollege Schneider stimmt dieser Einschätzung im Prinzip zu.

 

Und was kommt noch bis zur nächsten Bundestagswahl 2017? Zum Beispiel das Thema Grundsteuer, und zwar mit einer ähnlichen Konfliktlage wie bei der Erbschaftsteuer. „Wir müssen uns darauf vorbereiten, dass das Bundesverfassungsgericht Änderungen bei der Grundsteuer verlangt“, sagt Schneider. Denn in Ostdeutschland basiert die Berechnung auf Einheitswerten aus dem Jahr 1935, in Westteil von 1964. Das führt zu massiven Unter- und Falschbewertungen von Häusern und Grundstücken.

 

„Insgesamt sollte die Grundsteuer auf einer realistischen Bemessungsgrundlage aufbauen“, fordert deshalb der SPD-Finanzpolitiker. Dies sei ein guter Weg, um die Besitzenden stärker zur Finanzierung des Gemeinwesens heranzuziehen. Die Reaktion aus Bayern ist vorhersehbar: Keine Erhöhung. Und auch CDU-Finanzpolitiker Brinkhaus betont: „Die Ländervorschläge zur Reform der Grundsteuer werden wir sorgfältig prüfen. Wichtig ist uns insbesondere eine Aufkommensneutralität.“

 

Das Elend geht also weiter. Möglicherweise sogar über 2017 hinaus, falls keine andere Regierungskonstellation zustande kommt. Carsten Schneider: „Ich bezweifele, dass Rot-Rot-Grün im Bund eine Machtperspektive hat. Eine solche Regierung bräuchte eine gesellschaftlich getragene Stimmung und eine gemeinsame Geschäftsgrundlage - beides ist nicht zu erkennen.“

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