• Rolf Rosenbrock vom WZB

“Das ist Umverteilung von unten nach oben!”

Die Regierung arbeitet weiter an der Gesundheitsreform

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Von Wolfgang Mulke

19. Apr. 2010 –

In dieser Woche suchen die Fachleute der Bundesregierung wieder einmal nach Lösungen im Streit um die Gesundheitsreform. Über die Suche nach einer zukunftssfähigen Struktur der Gesetzlichen Krankenversicherung (GKV) sprach Wolfgang Mulke mit Professor Rolf Rosenbrock. Der Forscher vom Wissenschaftszentrum Berlin ist seit 1999 Mitglied des Sachverständigenrats zur Begutachtung der Entwicklung des Gesundheitswesens. Der DGB hat den Experten außerdem in eine Kommission berufen, die ebenfalls Reformvorschläge ausarbeiten will.

 

Frage: Herr Rosenbrock, was erwarten Sie von der Arbeit der Regierungskommission?

 

Rolf Rosenbrock: Ich kann nicht sagen, was am Ende tatsächlich herauskommen wird. Es läuft aber darauf hinaus, dass die Arbeitgeberbeiträge zur Krankenversicherung eingefroren werden. Alle Kostensteigerungen im Gesundheitswesen müssen in Zukunft allein von den Versicherten selber getragen werden. Das ist im Kern eine Lohn- und Gehaltskürzung, keine Gesundheitspolitik und schon gar kein Gerechtigkeitsfortschritt. Am Ende soll eine Kopfpauschale stehen. Dabei werden Menschen wie ich in einer höheren Einkommensklasse entlastet. Dafür sehe ich keinen Anlass. Die Wohlhabenden werden völlig zu Recht in den Solidarausgleich einbezogen.

 

Frage: Wie weit ist denn Ihre Gegenkommission mit der Arbeit?

 

Rosenbrock: Es ist keine Gegenkommission. Wir begleiten die Arbeit der Regierung kritisch. Es ist auch keine reine Gewerkschaftskommission Auch alleWohlfahrtsverbände und Wissenschaftler sind dabei. Wir sind noch nicht so weit, dass wir Feinkonzepte ausgearbeitet haben.

 

Frage: Sie beklagen die Ungerechtigkeit der Kopfpauschale. In Holland klappt das System aber doch ganz gut?

 

Rosenbrock: Das niederländische Modell hat viele interessante Aspekte, weist aber einen elementaren Unterschied zu den Plänen des deutschen Gesundheitsministers auf. Die Arbeitgeberbeiträge wurden dortnicht eingefroren. Das ist entscheidend. Gut ist, dass es eine Private Krankenversicherung (PKV) in den Niederlandennur als Zusatzversicherung gibt.Ich halte die PKV mit ihren perversen Anreizen zu unterschiedlichen Zuteilungen von Versorgungsgütern, Wartezeiten etc je nach Versicherungfür eine im Kernasoziale Einrichtung, für die es keine gesundheitspolitische Existenzberechtigung gibt. Es gibt außer Deutschland kein Land in Europa, in dem man sich aus dem Solidarsystem verabschieden kann, wenn man genügend Geld hat.


Frage: Die Arbeitgeber wollen aus der paritätischen Finanzierung heraus, weil sonst alle Kostensteigerungen im Gesundheitswesen dem Faktor Arbeit aufgebürdet werden und die Wettbewerbsfähigkeit damit schwindet. Ist die Sorge berechtigt?

 

Rosenbrock: Der Beitrag der Krankenversicherung an den Arbeitskosten wird krass überschätzt. Wir haben berechnet, dass die Abgabepreise der Industrie durch eine Beitragserhöhung um einen Prozentpunkt, also zum Beispiel von 14,9 Prozent auf 15,9 Prozent gerade einmal um drei Promille steigen. Mit den Schwankungen bei Währungen oder Rohstoffpreisen müssen die Unternehmen ja auch umgehen. Die Lohnstückkosten in Deutschland liegen im europäischen Vergleich schon im unteren Drittel. Die Auseinandersetzung wird aus anderen Gründen geführt. Es soll eine weitereUmverteilung von unten nach oben stattfinden.

 

Frage: Wenn sich Ihre Kritik nur an der paritätischen Finanzierung entzündet, muss die Kopfpauschale an sich ja nicht schlecht sein. Sorgt der geplante Sozialausgleich nicht für Gerechtigkeit?

 

Rosenbrock: Das ist, wenn die Finanzierung solidarisch liefe und keine neuenbürokratischen Hürden aufgebaut würden, tatsächlich keine grundsätzliche Frage. Aber warum sollen wir ein seit 130 Jahren funktionierendes System ändern? Ich finde darauf keine vernünftige Antwort. Dagegen spricht jedoch einiges. Zum Beispiel ist es gut, dass die Gesundheitsversorgung aus einem Sonderetat finanziert wird und damit in gewissem Maße Unabhängig von der Politik ist. Das Vertrauen in eine sichere staatliche Finanzierung hätte ich bei der Kopfpauschale nicht. Schauen Sie sich doch z.B.die Investitionen in Krankenhäuser an. Da sind die Länder zu verpflichtet und es wird  weithinunterlassen. Vertrauen schafft das nicht.

 

Frage: Sie wollen mit der Bürgerversicherung doch auch ein anderes System einführen...

 

Rosenbrock: Die Bürgerversicherung ist kein Wechsel, sondern eine Weiterentwicklung des gegenwärtigen Systems mit einer paritätischen Finanzierung von Arbeitnehmern und Arbeitgebern. Dazu kommt, dass auch die Einkünfte aus Mieten oder Kapitalerträgen, der Selbständigen oder aus Werkverträgen mit Beiträgen belegt werden. Diese Erweiterung spiegelt die eingetretenen Veränderungen des Wirtschaftslebens wider.Auf diese Weise ist einegerechte und solidarische Krankenversicherung nachhaltig zu finanzieren. Das zeigen unsere Berechnungen. Wir haben in Deutschland einen Ausgleich zwischen Reichen und Armen, Familie und Singles, Jungen und Alten, Gesunden und Kranken, der erhalten werden kann. Wir leben in einem der wenigen Länder, in dem jeder eine hochwertige und vollständige Krankenversorgung erhält. Diesen Anspruch können wird nicht reduzieren. Wir müssen das Geld dafür sozialverträglich und nachhaltigheranschaffen.

 

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