Das Steuer-Märchen der FDP

60 Prozent der milliardenteuren Steuerentlastung erhielten die obersten Einkommensschichten. Entgegen dem Versprechen der FDP würden kleine und mittlere Einkommen viel weniger profitieren

Teilen!

Von Hannes Koch

16. Apr. 2010 –

Rund 60 Prozent der Steuersenkung, die die FDP plant, würde den wohlhabendsten Bevölkerungsgruppen zugute kommen. Das geht aus Berechnungen des Rheinisch-Westfälischen Instituts für Wirtschaftsforschung hervor, die dieser Zeitung vorliegen. Rund zehn Milliarden Euro der insgesamt 16 Milliarden umfassenden Entlastung würden demnach diejenigen Haushalte bekommen, die über mehr als 55.000 Euro zu versteuerndes Einkommen verfügen.


Als die FDP am vergangenen Dienstag ihr neues Steuermodell vorstellte, erklärten Finanzexperte Hermann Otto Solms und NRW-Minister Andreas Pinkwart, die Steuersenkung entlaste „insbesondere die unteren und mittleren Einkommensbereiche“. Die Liberalen wollen den bisherigen progressiven Tarif der Einkommensteuer durch ein Modell mit fünf Belastungsstufen ersetzen. Auch Gering- und Normalverdiener hätten dadurch zwar Vorteile, der größte Teil der absoluten Entlastung würde sich aber trotzdem bei den oberen Einkommen konzentrieren. Diese Sichtweise bestätigte RWI-Finanzwissenschaftler Nils aus dem Moore.


Die RWI-Forscher haben die Zahl der steuerpflichtigen Haushalte in Deutschland in zehn Gruppen zu jeweils 2,81 Millionen Fällen unterteilt. Die Haushalte der zweiten Gruppe mit den niedrigsten Einkommen (5.548 bis 12033 Euro jährlich) würden durch die FDP-Reform um durchschnittlich elf Euro pro Jahr entlastet. Diese Einkommensgruppe hätte dadurch insgesamt 31 Millionen Euro mehr pro Jahr. Mittlere Einkommen (6. Zehntel, 30.618 bis 36.540 Euro) kämen etwas besser weg. Dort würden Haushalte durchschnittlich 500 Euro weniger zahlen, insgesamt 1,4 Milliarden.


Am oberen Ende der Einkommensskala nähme der Vorteil jedoch stark zu. Die Haushalte des neunten Zehntels würden mit durchschnittlich 1.249 Euro jährlich profitieren. Sie sparten insgesamt 3,5 Milliarden Euro Steuer. Die höchsten Einkommen (ab 74.100 Euro) hätten jeweils 2.246 Euro mehr zur Verfügung. Die reichsten zehn Prozent der Steuerbürger zahlten demnach 6,3 Milliarden Euro weniger.


Bei der FDP dementiert man diese Verteilungswirkung der Reform nicht. Sie sei eine „Folge der Tarifentlastung im unteren Bereich“, die sich nach oben fortsetze, heißt es im Büro von Hermann Otto Solms. Außerdem verweisen die Liberalen darauf, dass die „relative Entlastung für die unteren und mittleren Einkommen“ am größten sei. Dieses Argument unterstützen auch die Berechnungen des RWI. Gemessen an ihrer bisherigen Steuer sparen die Haushalte der zweiten Gruppe durchschnittlich 14 Prozent, die der obersten 6,2 Prozent. Oben allerdings ergeben 6,2 Prozent viel höhere absolute Entlastungsbeträge als 14 Prozent unten.


„Diesem Effekt könnte man im Rahmen eines Stufentarifs nur durch eine spürbare Anhebung des Spitzensteuersatzes entgegenwirken“, sagt RWI-Forscher aus dem Moore. Die FDP macht einen solchen Vorschlag allerdings nicht. Anders beispielsweise die SPD im Bundestagswahlkampf 2009. Sie wollte den Spitzensteuersatz der genannten Reichensteuer auf 47 Prozent anheben.


Die Realisierungschancen des FDP-Konzepts stehen in den Sternen. Welche Steuerreform die Union mittragen würde, ist unklar. Die Wirtschaftsforschungsinstitute lehnen eine Reform á la FDP ab. In ihrer Gemeinschaftsdiagnose, die sie am Donnerstag veröffentlichten, heißt es: „Steuersenkungen, die vor allem einzelne Gruppen begünstigen, können die allgemeine Bereitschaft, den erforderlichen Sparkurs mitzutragen, untergraben.“

« Zurück | Nachrichten »