Das unmögliche Programm

Die Steuersenkungswünsche von FDP und Union passen nicht zur ökonomischen Lage

Teilen!

Von Hannes Koch

28. Sep. 2009 –

Bei Licht betrachtet haben Union und FDP ein unmögliches Programm. Es will so gar nicht zu der ökonomischen Lage passen, in der Deutschland und die Welt stecken. Eigentlich gehört die kommende Regierung in eine Zeit des Aufschwungs, nicht aber in die gegenwärtige Krisenperiode. Was ihre Vorstellungen zu Steuern und Finanzen betrifft, ist die neue Koalition aus der Zeit gefallen.


Denn Union und FDP ignorieren schlicht ein paar aktuelle Fakten und Trends, die sie natürlich kennen. Ihre Wünsche umfangreicher Steuersenkungen stehen im scharfen Gegensatz zur Realität. 2010, im ersten Jahr der neuen Regierung, werden Bund, Länder und Gemeinden vermutlich zusätzliche Schulden in Höhe von rund 133 Milliarden Euro aufnehmen müssen. Den ursprünglichen Plan, im kommenden Jahr ohne neue Kredite auszukommen, hat die Finanzkrise hinweggefegt.


Die Einnahmen sinken drastisch, weil die Unternehmen weniger produzieren und viele Beschäftigte arbeitslos werden. Die Ausgaben steigen dagegen an, weil die große Koalition Milliarden in Bankenrettung und Konjunkturprogramm investiert hat. Erschwerend kommt die Schuldenbremse hinzu: Quasi als Wiedergutmachung für die höchste Verschuldung seit Bestehen der Bundesrepublik haben Union und SPD beschlossen, dass der Staat bald so gut wie keine neuen Kredite mehr aufnehmen darf – ein gerade vor dem Hintergrund der Krise unglaubliches Versprechen.


Die Lage wird dadurch noch vertrackter, dass auch die Sozialversicherungen 2010 deutlich ins Minus rutschen. Für die Krankenversicherung erwartet das Rheinisch-Westfälische Institut für Wirtschaftsforschung (RWI) rote Zahlen in Höhe von gut zehn Milliarden Euro. Bei der Bundesagentur für Arbeit, die die Erwerbslosen finanziert, wird das Defizit auf knapp 20 Milliarden wachsen. Wer zahlt in diesen Fällen? Auch der Bund.


So gesehen machen die Programme von FDP und Union einen sehr lustigen Eindruck. Würden die Steuersenkungen umgesetzt, die die Liberalen versprechen, kostete dies etwa 80 Milliarden Euro jährlich, hat das RWI errechnet. Zusätzlich zum Rekorddefizit. Die Liberalen schafften es, das Loch im Bundeshaushalt fast zu verdoppeln. Da nimmt sich der Forderungskatalog der Union noch bescheiden aus. Er würde nur gut 40 Milliarden Euro pro Jahr verschlingen.


Wie schafft man es, solche Summen zu ersinnen? Kein Problem für die FDP, die beispielsweise mal eben den Kinderfreibetrag auf 8.004 Euro jährlich anheben will. Das dürfte die steuerzahlenden Eltern freuen, bringt aber das Gemeinwesen in große Bedrängnis. Wovon sollen die Bildungsminister der Länder dann die neuen Gemeinschaftsschulen bezahlen, die man allerorten wünscht? Vielleicht gehen die Kinder zur Privatschule, die sich die Eltern infolge der Steuersenkung dann leisten können.


Und so geht der Reigen munter weiter: Der Spitzensteuersatz der Einkommensteuer soll mit der FDP auf 35 Prozent sinken (heute 42 Prozent). Die Erbschaftsteuer und die Unternehmensteuer sind natürlich auch zu hoch. Einiges davon könnte die neue Regierungskoalition umsetzen – wenngleich sich Kanzlerin Angela Merkel am Montag nach der Wahl abermals nicht festlegen wollte, wann der rechte Zeitpunkt innerhalb der nächsten vier Jahre gekommen sei.


Steuersenkungen können eine gute Sache sein – unter zwei Voraussetzungen. Erstens: Die öffentlichen Aufgaben, die jeder so gerne in Anspruch nimmt, sollten annähernd aus den Einnahmen des Staates finanzierbar sein. Zweitens: Die Steuern müssen sozial ausgewogen entsprechend der Leistungskraft erhoben werden.


Beide Voraussetzungen sind augenblicklich nicht erfüllt. Gerade am zweiten Punkt setzt sich international mittlerweile ein deutlicher Trend durch. Mehrere Länder, darunter die USA, Großbritannien und Japan, praktizieren oder planen Steuererhöhungen gerade für die wohlhabenden und reichen Bevölkerungsschichten. Die Begründung ist so schlicht wie plausibel. Durch die wirtschaftsfreundlichen Reformen der vergangenen Jahre haben die gutverdienenden Bevölkerungsschichten überproportional profitiert, nun sollen sie ihren Beitrag leisten, um die Schäden der Krise zu finanzieren.


Deshalb wäre es nun Zeit, auch in Deutschland den neuen Akzent einer fairen Steuerpolitik zu setzen. Die Erhöhung der Mehrwertsteuer gehört nicht dazu – belastet sie doch vor allem die Geringverdiener. Dagegen hat Deutschland bei den Abgaben auf Gewinn und Kapital deutlichen Nachholbedarf. In diesem Sinne hat das Deutsche Institut für Wirtschaftsforschung (DIW) unlängst vorgeschlagen, die Steuern auf Vermögen, Grundbesitz und Erbschaften auf europäisches Durchschnittsniveau anzuheben. Dies allein würde 25 Milliarden Euro Mehreinnahmen pro Jahr bedeuten. Den Steuersenkungswünschen der neuen Regierung aber läuft dies fundamental zuwider.

« Zurück | Nachrichten »