„Das Wasser stieg so schnell, dass wir nichts retten konnten“

Der Ingenieurkonzern Lahmeyer soll verantwortlich sein für die Überflutung tausender Bauernhöfe und die Vertreibung ihrer Bewohner – geschehen beim Bau des Merowe-Staudamms im Sudan. Wegen der Missachtung sozialer Menschenrechte in Entwicklungsländern ers

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Von Hannes Koch

04. Mai. 2010 –

Die Zeugenaussagen der Bauern klingen dramatisch. „Während des Morgengebetes stieg der Wasserstand des Nils plötzlich stark an, und das Wasser überflutete mein Haus, obwohl es auf sehr hohem Gelände stand. Das Wasser stieg so schnell, dass ich nichts retten konnte, weder das Vieh, noch die Möbel noch sonstigen Hausrat.“ Um den Fluten des Flusses zu entkommen, schreibt der Bauer vom sudanesischen Volk der Manasir, sei er mit seiner Familie in die Berge geflüchtet, wo er sich nicht mehr selbst habe ernähren könne.


Dieser Bericht stammt aus der schriftlichen Strafanzeige, die das European Center for Constitutional and Human Rights (ECCHR) bei der Staatsanwaltschaft in Frankfurt/ Main erstattet hat. ECCHR-Chef Wolfgang Kaleck beschuldigt den Ingenieurkonzern Laymeyer International GmbH aus Bad Vilbel unter anderem der Überschwemmung, Nötigung und Sachbeschädigung. In dem Pilotverfahren wollen die Anwälte erstmals eine deutsche Firma wegen der Missachtung wirtschaftlicher und sozialer Menschenrechte in Entwicklungsländern vor einem deutschen Gericht zur Verantwortung ziehen. Konkret wird Lahmeyer vorgeworfen, unter anderem gegen das Menschenrecht auf Eigentum, Nahrung und angemessene Unterkunft verstoßen zu haben.


Die Berliner Menschenrechtsanwälte erklären, dass die Planungsfirma die Bauern am Nil 2006 und 2008 nicht davor gewarnt habe, dass der Merowe-Staudamm geschlossen würde. Als das Wasser des Flusses die Felder und Dörfer überschwemmte, hätten die Bewohner deshalb keine Chance gehabt, ihr Vieh, ihren Hausstand und ihre Vorräte zu retten. In vielen Fällen hätten sie alles verloren.


Der Merowe-Staudamm liegt etwa 800 Kilometer nördlich der sudanesischen Hauptstadt Khartoum. Seit 2000 im Bau, soll das bislang größte Dammprojekt Afrikas mit seinem Wasserkraftwerk soviel Strom liefern wie ein hiesiges Atomkraftwerk. Außerdem dient das gestaute Wasser zur Bewässerung der Landwirtschaft. Lahmeyer International war unter anderem mit der Planung und Bauüberwachung für das 1,5 Milliarden Euro teure Projekt beauftragt, das chinesische und arabische Banken finanzieren. Als ein führendes Planungsbüro beschäftigt Lahmeyer weltweit knapp 900 Mitarbeiter.


Die Anzeige des ECCHR richtet sich persönlich gegen Henning Nothdurft, den Vorsitzenden der Geschäftsführung der Lahmeyer International GmbH, und Egon Failer, einen Leiter des Staudamm-Baus. Unter der Oberaufsicht der beiden Manager sei der Merowe-Damm geschlossen und das Land tausender Bauern überflutet worden.


Die Familien vom Volk der „Amri hatten vorher umgesiedelt werden sollen“, heißt es in der Anzeige, die Spiegel Online exklusiv vorliegt, „diese Umsiedlung war aber zur Zeit der Überflutung noch nicht erfolgt, wie den Beschuldigten bekannt war“. Wegen der Überflutung „mussten zwischen dem 7. und 23. August 2006 mehr als 2.740 Familien ihre Häuser und Habe verlassen“, sagt ECCHR-Anwältin Miriam Saage-Maaß.


Ähnliches sei passiert, als Nothdurft und Failer ab Mitte April 2008 den letzten Damm am Nil schließen ließen. „Schätzungsweise 2.000 Familien der Manasir mussten in den Monaten zwischen Ende Juli 2008 und Januar 2009 ohne Vorwarnung Hals über Kopf ihre Häuser verlassen und verloren sämtliche Besitztümer ersatzlos“, so Saage-Maaß.


Mit ihrem Verhalten verstießen die Lahmeyer-Manager gegen internationale Standards, sagen die Menschenrechtsanwälte. Nach den Richtlinien der Internationalen Kommission für Staudämme (WCD) müssten die Interessen der Anwohner in die Planungen einbezogen und mit allen Betroffenen Vereinbarungen über die Umsiedlung geschlossen werden. Dies sei beim Merowe-Damm nicht geschehen, so Saage-Maaß. Die Aufforderung des UN-Sonderberichterstatters für angemessenes Wohnen an Lahmeyer, den Bau zu stoppen, habe das Unternehmen ignoriert.


Die Anwältin erklärt, dass die deutsche Ingenieursgesellschaft die „menschenverachtende“ Politik der sudanesischen Regierung von Präsident Omar al-Baschir unterstützt habe. Der Internationale Strafgerichtshof in Den Haag hat einen Haftbefehl gegen al-Baschir wegen Verbrechens gegen die Menschlichkeit erlassen.


Das Unternehmen Lahmeyer weist die Vorwürfe zurück. „Die Anwohner wurden rechtzeitig gewarnt“, sagte Egon Failer gegenüber Spiegel Online. „Berater sind jahrelang zur Bestandsaufnahme und Diskussion in die Dörfer gefahren und haben sogar die Dattelbäume gezählt, um die Entschädigung zu berechnen.“ Auch bei der lange vorbereiteten Umsiedlung in neue Dörfer sei „professionelle Arbeit geleistet“ worden, so Failer. Den Bauern gehe es auf ihrem neuen Land und in den modernen Häusern „wirtschaftlich besser als früher“. Bei zahlreichen Besuchen in den Umsiedlungsgebieten hat Failer nach eigenen Angaben „keine Armut“ gesehen.


Nur eine Minderheit von „200 bis 300 Personen“ habe sich geweigert, ihr angestammtes Land zu verlassen, um „von der Regierung eine höhere Entschädigung zu erstreiten“. „Wenn 70.000 Leute umgesiedelt werden, kann es nicht jedem Recht gemacht werden“, so Failer.


Rechtlich ist es bisher schwierig, Unternehmen für Menschenrechtsverstöße im Ausland zur Rechenschaft zu ziehen. Mit Prozessen wie im Falle Lahmeyers versuchen Juristen deshalb, die nationale und internationale Rechtsprechung voranzutreiben und auf die Wirtschaft auszudehnen.


Im Falle des Discounters Lidl haben die Menschenrechtsanwälte unlängst einen juristischen Erfolg erzielt. Nach einer Klage des ECCHR zog Lidl Werbung zurück, in der die Handelskette erklärt hatte, die Arbeitsbedingungen von Textilarbeitern in Zulieferbetrieben in Bangladesh zu verbessern. Die Anwälte hatten dagegen Belege vorgelegt, die auf zu lange Arbeitszeiten und schlechte Löhne hindeuteten.

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