Den Sinnfragen einen Platz geben

Bundestagswahl: Politikprofessor Leggewie ist für eine neue Zukunftskammer parallel zum Parlament

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Von Hannes Koch

10. Sep. 2013 –

Die Bundestagswahl ist der Beweis für das Funktionieren der Demokratie in Deutschland - immer noch. Obwohl eine zunehmende Debatte darüber läuft, ob das parlamentarische System ergänzt werden muss. Wie könnte eine Bürgerbeteiligung aussehen, die den Namen verdient? Klaus Töpfer, Ex-Bundesumweltminister der CDU, hat dazu jetzt ein Diskussionsbuch präsentiert: „Verändern durch Wissen – Chancen und Herausforderungen demokratischer Beteiligung von Stuttgart 21 bis zur Energiewende“.

 

Geschrieben haben darin unter anderem Stuttgart-21-Vermittler Heiner Geißler, Regierungsberater Claus Leggewie (Beirat für Globale Umweltveränderungen) und der ehemalige grüne Umweltsenator von Bremen, Reinhard Loske – Leute, die in den vergangenen Jahrzehnten praktisch oder theoretisch mit Bürgerprotesten gegen Großprojekte zu tun hatten.

 

Die Startbahnen am Frankfurter Flughafen, das Atomendlager in Gorleben, der Bahnhof von Stuttgart, die Trassen für die neuen Stromleitungen: Leggewie zieht aus den Erfahrungen mit diesen Projekten den Schluss, dass das parlamentarische System einer grundsätzlichen Ergänzung bedürfe. Er schlägt vor, eine neue „Zukunftskammer“ zu etablieren, die neben Bundestag und Bundesrat an der Gesetzgebung mitwirken solle.

 

Warum? Leggewie analysiert einen Missstand, der vielen engagierten Bürgern auf die Nerven geht. Denn Planung heute sieht so aus: Bundeskanzlerin Merkel entscheidet, dass die Atomkraftwerke weg müssen, die Bundesnetzagentur berechnet, wieviele Nord-Süd-Stromleitungen man braucht, um den Windstrom vom Meer nach Süddeutschland zu leiten, die Bürger dürfen schließlich mitdiskutieren, wo die Trassen verlaufen. Doch die Sinnfragen bleiben ungestellt. Welche Energiewende wollen wir, brauchen wir Windkraftwerke auf dem Meer, brauchen wir neue Trassen?

 

So könnte es vorteilhaft sein, einen neuen, permanenten Bürgerbeteiligungsapparat einzurichten: Dort würden die großen Entscheidungen vordiskutiert, bevor die Regierung sie mal eben festzurrt. Die Zukunftskammer institutionalisierte Beteiligung als echte Mitwirkung, weit hinausgehend über die heutige akzeptanzbeschaffende Mithilfe engagierter Bürger bei der Exekution politischer Beschlüsse.

 

In dieser dritten Kammer müsste ein Querschnitt der Bevölkerung verbindlich vertreten sein. So ließen sich vielleicht zwei Probleme heutiger Partizipation entschärfen. Erstens: Ein paar Leute oder Bürgerinitiativen schreien am lautesten, behaupten, das Gemeinwohl zu repräsentieren, agieren in Wirklichkeit aber nur als besonders geschickte Vertreter ihres jeweiligen Partikularinteresses. Sie kapern das Verfahren.

 

Zweitens: Es gibt Bürgerbeteiligung, aber kaum ein Bürger geht hin. Dieses erstaunliche Phänomen kann man zur Zeit bei der Stromtrassenplanung beobachten. Das Verfahren, das sich die Bundesregierung ausgedacht hat, ist recht fortschrittlich. Doch die Betroffenen fehlen meistens bei den Versammlungen. Sie kommen wohl erst, wenn die Bagger vor ihren Häusern stehen.

 

Um diese Klippen zu umschiffen, macht Leggewie einen gewöhnungsbedürftigen Vorschlag: Lasst das Los entscheiden. Beispielsweise aus den Wählerlisten würden also Bürger ausgelost, die an der Zukunftskammer neben Wissenschaftlern und anderen Berufenen verbindlich teilnehmen müssten. Damit den Ausgelosten keine wirtschaftlichen Nachteile entstehen, sollen sie für ihren Zeitaufwand staatlicherseits entlohnt werden. Frage: Würde solch erzwungenes Engagement nicht als repressiv verstanden werden und damit kontraprodutiv wirken?

 

Klaus Töpfer/ Dolores Volkert/ Ulrich Mans (Hrsg.): Verändern durch Wissen. Oekom-Verlag, München 2013. 191 S., 17,95 €.

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