Der Bauch entscheidet mehr als der Kopf

Teilen!

Von Wolfgang Mulke

23. Nov. 2009 –

Lottospieler verhalten sich nach Ansicht des Forschers Christian Wey alles andere als normal. Die geringe Gewinnwahrscheinlichkeit sollte kluge Rechner von der Abgabe eines Scheins eigentlich abhalten. Doch vor allem weniger Gebildete suchen preiswert aber vergeblich die Minichance auf den großen Geldregen. „Das ist nichts anderes als eine Steuer für Arme“, glaubt der Wissenschaftler vom Deutschen Institut für Wirtschaftsforschung (DIW). Immerhin landen die Einsätze in den öffentlichen Kassen und werden guten Zecken zugeführt.

 

Die Zocker sind nur ein Beispiel für unvernünftiges menschliches Verhalten. Der Verbraucher tickt nicht rational, der Geldanleger schon gar nicht. Auch die gut gebildeten Bankkunden wählen häufig schlechte Produkte aus. „Sie machen systematische Entscheidungsfehler, bereuen diese später und begehen nicht selten den gleichen Fehler erneut“, stellt der Bamberger Betriebswirtschaftsprofessor Andreas Oehler fest. Die Symptome kennen viele Anleger aus eigener Erfahrung, so wie der Lehrer Detlef M., der auf dem Höhepunkt der Euphorie am Neuen Markt vor zehn Jahren 25.000 Euro in einen Hightechfonds steckte und später zum Tiefstkurs wieder verkaufte. Falsche Entscheidungen wie die des Pädagogen sind an der Tagesordnung.

 

Verwirrt über das überbordende Angebot an Informationen über Rentenversicherungen entscheidet sich mancher Kunde am Ende aus dem Bauch heraus für einen Vertrag. „Es ist langweilig, sich damit zu beschäftigen“, begründet Apothekerin Christine S. den Hang zur zweit- oder drittbesten Lösung. Auch die Selbsteinschätzung bereitet Probleme. Bringt eine Anlage viel ein, hält sich dies der Verbraucher zugute, bei Verlusten sind andere Faktoren schuld. „Den mündigen Verbraucher gibt es eher nicht“, bedauert die DIW- Finanzexpertin Dorothea Schäfer.

 

Eine kleine Schar von Experten befasst sich mit dem Unberechenbaren in der Verbraucherseele und kommt zu verblüffenden Ergebnissen. So sind mehr Wettbewerb und ein größeres Angebot nicht unbedingt gut für die Kunden. „Konsumentscheidungen sind belastend, sie kosten Zeit und Energie“, sagt Oehler. Bei zu vielen Wahlmöglichkeiten geben die meisten deshalb irgendwann den Vergleich auf und schließen den nächstbesten, oft nicht den besten Vertrag ab.

 

Der Mannheimer Forscher Martin Weber kann den Hang zur Selbstüberschätzung aus der Evolution heraus gut erklären. „Das morgendliche Selbstlob vor dem Spiegel hilft mir, gut durch das Leben zu gehen“. Gegen Verstimmungen hilft diese Haltung wohl, doch für den Erfolg an der Börse ist sie Gift. Denn Webers Studien zeigen, dass der Privatanleger in Wirklichkeit nur Mittelmaß ist. Besser als der Gesamtmarkt schneidet danach kaum ein Anleger ab.

 

Gar nicht rational ist die geringe Bereitschaft vieler Sparer, sich intensiv mit den Angeboten zu befassen. Viele Informationen sind deshalb kein Garant für eine optimale Anlageentscheidung. Im Gegenteil. Der US-Konsumforscher George Miller hat bereits vor 50 Jahren herausgefunden, dass der Mensch in der Regel lediglich sieben Informationen gleichzeitig verarbeiten kann. Viele Finanzverträge haben deutlich mehr Aspekte. Die Kapitulation der Verbraucher ist also vorprogrammiert.

 

Ein zweites Phänomen kommt hinzu. Nur wenige befassen sich leidenschaftlich mit Finanzthemen. Dabei kann die Spanne zwischen einem guten Rentenvertrag und einem schlechten schnell einen fünfstelligen Betrag ausmachen. Während der Autokauf wochenlang bis ins Detail geplant wird, muss die viel wichtigere Altersvorsorge mit wenigen Stunden Nachdenken vorlieb nehmen. „Autofahren macht mehr Spaß“, begründet Weber die irrational gesetzten Prioritäten. Die Psyche bremst die Vernunft noch weiter aus. Bei mehreren Jahrzehnte laufenden Verträgen können die Anleger deren Güte laut DIW nicht mehr einschätzen und sie vertagen die Bewertung auf einen späteren Zeitpunkt. Auch hat sich das Problembewusstsein für mehr Eigenvorsorge noch nicht flächendeckend herausgebildet. Noch immer setzen viele Haushalte auf den vorsorgenden Staat.

 

Der nächste Stolperstein ist der Glaube an das Gute im Berater. Vertraut der Kunde dem Fachmann, folgt er selbst schlechten Ratschlägen. Der Bauch beherrscht den Kopf. Das wissen die Profis auf der anderen Seite des Tresens. Geschult können sie alle Argumente des Laien in ihrem Sinne bewerten. Von der Einrichtung des Beratungsraumes bis zur Betonung bestimmter Produkteigenschaften ist das Verkaufsgespräch genau geplant. „Gegen das Marketing kann sich kaum jemand wehren“, fürchtet Forscher Weber.

 

Das böse Erwachen kam für viele mit dem Börsencrash Anfang des Jahrzehnts und mit der Finanzkrise. Zigtausende Sparer haben beispielsweise auf Anraten ihrer Bank Zertifikate der Lehman-Brothers gekauft und ihr Geld vermutlich ganz verloren. Die „Währung Vertrauen“, von der der Chef des Bundesverbands der Verbraucherzentralen (vzbv), Gerd Billen, bei Geldanlagen gerne spricht, hat dramatisch an Wert verloren.

 

Die Verbraucherforschung steckt trotz einiger Erkenntnisse noch in den Kinderschuhen. Doch über einige Forderungen zum Ausgleich des Vernunftsdefizits des Konsumenten sind sich die Wissenschaftler einig. Noch mehr Informationen halten die Experten für nutzlos. Wenige, leicht verständliche Kerndaten reichen aus. Anstelle der durch Verkaufsprovisionen finanzierten Gespräche mit dem Bankangestellten sollen sich die Kunden möglichst an unabhängige Berater wenden, zum Beispiel die Verbraucherzentralen. Auch eine Art Finanz-Tüv, der die angebotenen Produkte auf Tauglichkeit prüft, findet Zuspruch. Weber plädiert beispielsweise für die Auswahl von zehn geeigneten Produkten, die staatlicherseits empfohlen werden. Wer sich dafür entscheidet, steht auf der sicheren Seite. Alle anderen müssen das Risiko der Geldanlage selbst abschätzen und verantworten. Schließlich plädieren die Fachleute für eine verstärkte Verbraucherbildung, ohne die sich kein Anleger zurechtfinden kann. Denn schon an den Grundrechnungsarten scheitern viele Sparer, wie Oehler weiß: „Wenn fünfzig Prozent nicht wissen, was fünfzig Prozent sind, dann sind viele Informationsangebote für Verbraucher für einen großen Teil der Zielgruppe nicht geeignet.“

 

 

« Zurück | Nachrichten »