Der Boom der befristeten Jobs

Weiterhangeln von Stelle zu Stelle: Für viele Beschäftigte in Deutschland gehört das mittlerweile zum beruflichen Alltag. Befristete Jobs von einer Woche, drei Monaten oder einem Jahr nehmen stark zu. Sichere, unbefristete Arbeitsplätze sind in manchen Br

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Von Hannes Koch

23. Mär. 2010 –

Fast jeder zweite Arbeitnehmer, der eine neue Stellen findet, bekommt heute einen befristeten Arbeitsvertrag. Das geht aus Zahlen des Instituts für Arbeitsmarkt in Nürnberg (IAB) hervor. Und insgesamt arbeiten rund 2,7 Millionen von etwa 30 Millionen abhängig Beschäftigten in Deutschland auf zeitlich begrenzten Stellen. Wie das Statistische Bundesamt bekanntgab, betrug der Anteil befristeter Arbeitsplätze im Jahr 2008 bereits 8,9 Prozent betrug. 1991 waren erst 5,7 Prozent der Arbeitsplätze befristet.


Viele Beschäftigte leiden unter dieser Situation. Sie beklagen, angesichts der beruflichen Unsicherheit weder ihrem Kinderwunsch nachgeben, noch an ihre finanzielle Lebensplanung denken zu können. Andere Beschäftigte sind mit der neuen Lage aber auch ganz zufrieden – in Agenturen und Designbüros ist befristete Beschäftigung völlig normal. Die Unternehmen preisen die Vorteile: Befristete Beschäftigte wird man leichter los. Sie verursachen weniger Kosten.


Und die Bundesregierung plant, die befristete Beschäftigung weiter auszudehnen. Das Vorhaben steht im Koalitionsvertrag, ein Gesetz ist in Vorbereitung. Bundesarbeitsministerin Ursula von der Leyen (CDU) betont, dass die Flexibilität der Arbeitnehmer dazu beitrage, die Arbeitslosigkeit zu verringern. Wenn dieses Modell allerdings „zum Standard wird, ist das für die Entwicklung unserer Gesellschaft verheerend“, sagt Frank-Jürgen Weise, der Chef der Bundesagentur für Arbeit.


Wie gehen die Beschäftigten mit der Situation um, wie sieht befristete Beschäftigung konkret aus? Und was sagen die Arbeitgeber? Hier einige individuelle Fälle.


Arbeitnehmer


Kathrin Fuchss Portela, Physikerin

Rheinisch-Westfälische Technische Hochschule Aachen


Die 33jährige Physik-Doktorin Kathrin Fuchss Portela hangelt sich trotz bester Zeugnisse von einer befristeten Arbeitsstelle zu nächsten. Ihre beiden letzten Jobs: Über eine Zeitarbeitsfirma arbeitete sie befristet bei Carl Zeiss SMT AG, nun hat sie eine Stelle als Post-Doktorandin an der Rheinisch-Westfälischen Technischen Hochschule Aachen.


Fuchss Portela hat den Eindruck, dass „die meisten Stellen für Physiker befristet sind. Das ist eine sehr bedenkliche Entwicklung.“ Die Naturwissenschaftlerin beklagt, dass sie und ihr Ehemann, ein Physiker brasilianischer Nationalität, sich nicht um ihre Lebensplanung kümmern könnten. „Es ist schwierig, uns für Kinder zu entscheiden, den Kauf eines Hauses zu planen oder eine private Rentenversicherung abzuschließen. Wir haben keine Arbeitsplätze, auf die wir uns verlassen könnten.“ Ihnen fehlt ein dauerhaftes Zuhause in einer mehr als provisorisch eingerichteten Wohnung. „Wenn der nächste Arbeitsplatzwechsel und Umzug ja sowieso schon wieder absehbar sind, wozu soll man dann die Bilder aufhängen?“ Außerdem ist das Geld knapp: Die Bezahlung nehme von Stelle zu Stelle ab, sagt Fuchss Portela.


„Ich glaube, in Deutschland ist die Hürde des Kündigungsschutzes zu hoch“, meint die Wissenschaftlerin. Viele Unternehmen würden Beschäftigte nur befristet einstellen, weil sie Angst hätten, sie im Falle wirtschaftlicher Probleme nicht kündigen zu können. In den USA, wo Fuchss Portela eine zeitlang auf einer unbefristeten Stelle gearbeitet hat, sei das ihrer Meinung nach besser geregelt. Dort gebe es so gut wie keinen Kündigungsschutz, allerdings würden junge Wissenschaftler auch viel leichter unbefristete Arbeitsverträge erhalten.

 

 

Daniel Hausmann, Projektmanager

Werbeagentur, Peking


Daniel Hausmann (27, Name geändert) arbeitet in der Niederlassung einer großen deutschen Werbe- und Design-Agentur in Peking. Der Projektmanager begann seine Tätigkeit vor zweieinhalb Jahren und erhielt damals zunächst einen Vertrag, der auf ein Jahr befristet war. Für die Zeit danach wurde ihm ein unbefristeter Vertrag in Aussicht gestellt.


Doch dazu sollte es einstweilen nicht kommen. Stattdessen bot ihm die Firma einen weiteren Jahresvertrag an, den Hausmann akzeptierte. Dann war es schließlich soweit. Er bekam einen neuen Arbeitsvertrag ohne Zeitbegrenzung.


„Ich weiß nicht, ob ich mich jetzt viel sicherer fühle als vorher“, sagt Hausmann, „wenn die Firma will, kann sie auch diesen Vertrag schnell beenden“. Aber die gewisse Unsicherheit schreckt ihn nicht. Er ist optimistisch: „Ich würde dann zu einer anderen Agentur wechseln“. In der Werbebranche und in seinem Alter zumal sei es sowieso nicht üblich, lange bei einem Arbeitgeber zu bleiben.

 

 

Mona Frias, Betriebsrätin
Schlecker, Berlin


Mona Frias arbeitet seit 1995 als Betriebsrätin bei der Drogerie-Discount-Kette Schlecker in Berlin. Neue Mitarbeiter würden als Aushilfen ausschließlich auf befristeter Basis eingestellt, sagt Frias. Schlecker vergebe Arbeitsverträge beispielsweise an Verkäuferinnen mit nur einer Woche Laufzeit. Danach würde der Arbeitsvertrag je nach Bedarf erneuert. Der Betriebsrat lehne dieses Verfahren regelmäßig ab, könne sich juristisch gegen das Unternehmen aber nicht durchsetzen.


Frias kennt Mitarbeiterinnen, die mit Wochenverträgen seit sechs Jahren bei Schlecker arbeiten. Das Gesetz erlaubt dagegen befristete Arbeitsverträge grundsätzlich nur bis zu zwei Jahren. Schlecker erklärt, dass „Befristungen auch mit kurzen Laufzeiten vorkommen“. Auch die gesetzlich nicht vorgesehene Aufeinanderfolge von „mehr als vier solcher befristeten Arbeitsverträge“ werde praktiziert. „In diesem Zusammenhang darf nicht übersehen werden, dass es Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer gibt, die aus individuellen Motiven ganz bewusst und gezielt auch über längere Zeiträume hinweg immer wieder solche befristeten Arbeitsverträge annehmen, weil dies ihrer Lebenssituation entgegenkommt“, sagt Schlecker-Sprecher Florian Baum.


Betriebsrätin Frias weist die betroffenen Mitarbeiter immer wieder daraufhin, dass sie infolge der aufeinanderfolgenden Kurzzeitverträge eigentlich Anspruch auf unbefristete Arbeitsverträge hätten. "Aber die wenigsten klagen sich ein", sagt Frias. Als Grund nennt sie Angst vor Schikanen durch das Unternehmen und vor dem Verlust des Arbeitsplatzes. In der Vergangenheit, so erinnert sich die Betriebsrätin, habe Schlecker Mitarbeiterinnen aus Berlin nach Brandenburg versetzt, weil sie sich gewehrt hätten.

 

Heike Lubitsch, Arbeitsberaterin

Bundesagentur für Arbeit, Freiburg


Die Sozialpädagogin Heike Lubitsch (45, Name geändert) arbeitete in den Jahren 2005 bis 2007 mehrfach als Arbeitsberaterin bei der Bundesagentur für Arbeit in Freiburg, wo sie Erwerbslose und Unternehmen betreute. Ihre Tätigkeit bei der öffentlichen Arbeitsvermittlung begann auf der Basis eines befristeten Vertrages mit der Laufzeit von einem Jahr. Im Anschluss erhielt Lubitsch einen weiteren Arbeitsvertrag mit derselben Laufzeit.


Dann war erstmal Schluss. Das Teilzeitgesetz sieht längere Befristungen als zwei Jahre nur unter bestimmten Bedingungen vor. Lubitsch machte also eine Zwangspause – und erhielt nach vier Monaten abermals einen Kurzfrist-Vertrag bei der Bundesagentur. Dieser lief freilich nur noch acht Monate. Man stellte ihr die Verlängerung ins Jahr 2008 in Aussicht. „Kurz vor Weihnachten bekam ich einen Anruf“, berichtet Lubitsch, „man sagte mir, der Vertrag könne wegen Geldmangels nicht verlängert werden“. Danach war sie selbst fünf Monate arbeitslos und fand schließlich eine neue Stelle bei einem privaten Qualifizierungsträger.


In der vergangenen Woche hat das Bundesarbeitsgericht die damalige Praxis der Bundesagentur, Arbeitsplätze teilweise bis zu drei Jahre zu befristen, als unrechtmäßig beurteilt. Wer damals eine solchen Vertrag hatte und klagte, kann nun auf Nachzahlung hoffen.


Arbeitgeber


Christoph Humberg, Personalleiter

MTU Maintenance, Hannover


Die MTU Maintenance Hannover am Flughafen Langenhagen überholt Flugzeug-Triebwerke und beschäftigt regelmäßig befristete Arbeitskräfte. Das Unternehmen stellt neue Beschäftigte zunächst als Zeitarbeiter ein, dann folgen befristete Arbeitsverträge, danach kommt es häufig zur Festanstellung. „Die Chancen, schließlich einen unbefristeten Arbeitsvertrag zu erhalten, sind hoch“, sagt Personalchef Christoph Humberg (40). In den vergangenen drei Jahren habe er rund 200 Beschäftigten, die als Zeitarbeiter angefangen hätten, feste Verträge gegeben.


MTU Maintenance nutze befristete Verträge, um flexibel zu bleiben, sagt Humberg. Es sei dann leichter möglich, die Kosten anzupassen und das Unternehmen auf die schwankende Auftragslage einzustellen. „Ich habe eine Verantwortung für den Erhalt des Standorts“, begründet Humberg.


Bei der MTU beruhen die befristeten Arbeitsverträge nicht nur auf dem Teilzeitgesetz, dass die Befristung in der Regel auf 24 Monate begrenzt. Zusätzlich haben die Gewerkschaft IG Metall und der Arbeitgeberverband NiedersachenMetall die gesetzliche Öffnungsklausel genutzt und einen Tarifvertrag abgeschlossen, der Kurzzeit-Verträge bis zu vier Jahren pro Beschäftigtem erlaubt. In der Wirtschaftskrise des Jahres 2009 sollte diese Regelung helfen, Jobs zu sichern. Sie gilt jetzt allerdings weiter – auch im Aufschwung.



Holger Koch, Geschäftsführer

Trendence Institut GmbH, Berlin


Das Berliner Trendence Institut hat sich auf „Employer Branding“ spezialisiert - es berät Unternehmen, ihr Image als Arbeitgeber zu verbessern. Von 54 Beschäftigten arbeiten zehn mit befristeten Verträgen.


„Der Grund liegt in der Projektstruktur unserer Arbeit“, sagt Trendence-Geschäftsführer Holger Koch (40). Die Beratungsaufträge für Kunden nehmen typischerweise drei, vier oder auch sechs Monate in Anspruch. Dafür braucht Trendence oft Mitarbeiter mit speziellen Sprachkenntnissen, beispielsweise Japanisch oder Indonesisch. Diese stellt Koch deshalb für den jeweiligen Auftrag befristet ein. „Weil die Dauer der Arbeit begrenzt ist, hat es keinen Sinn, unbefristete Verträge abzuschließen“, so Koch.


Die Mitarbeiter der Stammbelegschaft, die im Jahresdurchschnitt mit Arbeit ausgelastet sind, haben aber alle unbefristete Arbeitsverträge. „Auch bei Neuneinstellungen vergeben wir immer Verträge ohne Begrenzung“, so Koch.



Beate Niemann, Abteilungsleiterin Personal

Technische Universität Berlin


Wissenschaftliche Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen werden an der TU Berlin meist befristet eingestellt. Diese Regel beispielsweise für Doktoranden und Post-Doktoranden praktizieren auch andere Hochschulen. So weist die Freie Universität Berlin daraufhin, dass auch Juniorprofessoren Zeitverträge erhalten.

 

Beate Niemann (43), die Leiterin der Abteilung Personal und Recht, begründet: „In ihrer Qualifikationsphase müssen viele Wissenschaftler die Möglichkeit haben, sich zu profilieren“. Würden stattdessen unbefristete Stellen vergeben, sei die Universität für den Nachwuchs nicht durchlässig. Dieses „Erneuerungsinteresse“ der Hochschulen spiegelt sich im Wissenschaftszeitvertragsgesetz. Dort ist festgelegt, dass Nachwuchswissenschaftler bis zu zwölf Jahren mit befristeten Verträgen beschäftigt werden dürfen.


Verträge mit begrenzter Laufzeit haben auch deshalb zugenommen, weil die Universitäten viele Forschungsprojekte mit Drittmitteln der Wirtschaft finanzieren. Die Zusagen sind in der Regel an bestimmte Vorgaben und Ziele geknüpft, die in einer definierten Zeit erreicht werden müssen. Danach ist Schluss – auch mit den Stellen. Vor 20 oder 30 Jahren war diese Kurzfristorientierung an den Hochschulen weniger stark ausgeprägt, da mehr Geld aus öffentlichen Töpfen kam.



Carsten Weißelberg, Technischer Geschäftsführer

Harz Guss Zorge GmbH


Als die Wirtschaftskrise des Jahres 2009 kam, beschäftigte die Eisengießerei im Harz 453 Mitarbeiter, davon rund 80 mit befristeten Verträgen. „Das hilft uns, auf Marktschwankungen zu reagieren“, begründet Carsten Weißelberg (53), Technischer Geschäftsführer der Firma, die unter anderem Gussteile für Nutzfahrzeuge herstellt. In den vergangenen 15 Jahren sei der Markt dynamischer geworden. Auftragsspitzen und ruhige Phasen wechselten sich schneller ab, sagt Weißelberg. Um bei geringer Auftragslage nicht in wirtschaftliche Schieflage zu geraten, greift Harz Guss zu befristeten Verträgen – dann können Personalkosten schnell der wirtschaftlichen Situation angepasst werden.


Viele der befristet Beschäftigten mit Verträgen von sechs Monaten oder einem Jahr machen körperlich harte Arbeit. Sie bedienen die Formanlage oder schleifen die überstehenden Grate von den Gussteilen. Etwa 40 Prozent der Kurzzeit-Mitarbeiter werde im Anschluss in unbefristete Verträge übernommen, schätzt Weißelberg, „wir konnten vielen Beschäftigten eine Perspektive bieten, weil der Betrieb permanent wuchs.“


Der Geschäftsführer plädiert dafür, die Befristung über die im Gesetz vorgesehene dreimalige Verlängerung hinaus auszudehnen. Begründung: In der Krise habe Harz Guss alle Arbeitsverträge mit Befristungen auslaufen lassen. Die erneute befristete Einstellung sei rechtlich oft schwierig bis unmöglich. So stehe die Firma nun vor der Situation, im Aufschwung neue flexible Mitarbeiter zu brauchen, auf die erfahrenen, ehemals befristeten Mitarbeiter des vergangenen Jahres aber nicht mehr zurückgreifen zu können. "Wenn die Bundesregierung die Zahl der aueinanderfolgenden befristeten Arbeitsverhältnisse erhöhen würde, könnte man solche engpässe künftig vermeiden, sagt Weißelberg.

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