Der echte Gipfel kommt erst noch
Der Weltfinanzgipfel in Washington wird kein neues, globales Finanzsystem beschließen. Die 20 Regierungen verabreden höchstens einen Fahrplan. Ökonom Bofinger befürchtet „kosmetische Änderungen ohne grundsätzliche Richtungswechsel“
12. Nov. 2008 –
Nach dem Weltfinanzgipfel, der ab Freitag in Washington stattfindet, wird man sich wieder einmal verwundert die Augen reiben. Ungläubig wird man den dürren Text der Abschlusserklärung lesen und sich fragen, ob das alles gewesen sein soll.
Eigentlich wollen die Regierungen der 20 wichtigsten Wirtschaftsnationen vereinbaren, wie die aktuelle Finanz- und Wirtschaftskrise eingedämmt und eine ähnliche Entwicklung für die Zukunft verhindert werden kann. Konkrete Reformen oder einen neuen Rahmen für die Finanzmärkte werden die USA, Japan, Deutschland, China, Brasilien und die anderen Staaten trotzdem nicht beschließen. Und schon gar keine Rede kann sein von einer globalen Ordnung, die manche Kommentatoren in Anspielung auf die Konferenz am Ende des 2. Weltkrieges „Bretton Woods II“ nennen.
Dabei ist es nicht erstaunlich, dass das Ergebnis des Gipfels einen mageren Eindruck machen wird. Der wichtigste Grund: Die USA als Wirtschaftsmacht Nummer 1 haben keinen handlungsfähigen Präsidenten. George Bush regiert nur noch zwei Monate, sein Nachfolger Barack Obama übernimmt die Geschäfte im Januar 2009. Dann erst kann es richtig vorwärts gehen. Gerade die europäischen Regierung haben sich darauf bereits eingestellt. Sie wären damit zufrieden, in Washington „Arbeitsaufträge“ zu formulieren, wie ein Sprecher des Bundesfinanzministeriums sagte. Beschlüsse solle dann die nächste Gipfel in „100 Tagen“ fassen.
Über die Pläne der US-Regierung weiß man derzeit nur so viel: Traditionell hält sie wenig von Regulierung des Markets auf internationaler Ebene. Ob Obama diese Ausrichtung ändert, muss sich zeigen. Die Europäer dagegen wollen die Finanzmärkte stärker in den staatlichen Griff nehmen.
Vor allem peilt die EU an, erste Elemente einer internationalen Bankenaufsicht zu schaffen. Bundesfinanzminister Peer Steinbrück und seine Kollegen wollen ein „Informationssystem“ einrichten, bei dem die Staaten Angaben über die Geschäfte aller Banken und Fonds abrufen können, selbst wenn diese in Steueroasen sitzen.
Auch die Rating-Agenturen sollen „einer Aufsicht unterworfen werden, unabhängig davon, in welchem Land sie tätig sind“, heißt es im Beschluss-Papier der EU von vergangenen Wochenende. Die privaten Rating-Agenturen haben sich besonderen Ärger der Regierungen zugezogen, weil sie durch zu günstige Bewertungen für schlechte Wertpapiere einen großen Beitrag zur Finanzkrise leisteten. Die neuen Aufsichts- und Kontrollfunktionen möchte die EU beim Internationalen Währungsfonds bündeln.
Außerdem ist geplant, die Eigenkapitalrichtlinien für Banken zu verschärfen. Für manche Geschäfte müssten die Institute dann mehr eigenes Geld in Reserve halten, was risikoreiche Spekulationen bremsen würde.
Vor der Finanzkrise wären die wenigstens Regierungen auf die Idee gekommen, solch weitgehende Regulierungen für Banken und Investoren auch nur zu erwägen. Trotzdem gehen sie nach Ansicht von Peter Bofinger, der als Sachverständiger die Bundesregierung berät, nicht weit genug. „Ich sehe die Gefahr, dass kosmetische Änderungen erfolgen, aber kein grundsätzlicher Richtungswechsel“, sagte Bofinger am Mittwoch gegenüber dieser Zeitung.
Vor allem an drei Punkten plädiert Bofinger für die Verschärfung der EU-Vorschläge. Anstatt die privaten Rating-Agenturen nur zu beaufsichtigen, schlägt er vor, gleich eine staatliche, europäische Agentur zu gründen. Diese könne im öffentlichen Interesse ein Gegengewicht zu angelsächsischen Firmen Standard & Poor´s und Moody´s schaffen.
Außerdem hält der Wirtschaftsweise und Berater der Bundesregierung ein weltweites Kreditregister für notwendig. An dieses müssten alle Finanzinistitute ihre größeren Kredite melden – die Regierungen würden rechtzeitig erfahren, wo sich Risiken zusammenballen. „Wenn es zu dunkel ist, muss man die Taschenlampe anschalten“, so Bofinger.
Drittens befürwortet der Würzburger Wirtschaftsprofessor „robuste Regeln“ im Hinblick auf die Eigenkapitalreserven der Banken. Um die gefährliche Spekulation mit minderwertigen Wertpapieren zu erschweren, würde er den Instituten auferlegen, einen bestimmten Prozentsatz ihrer gesamten Bilanzsumme mit eigenem Geld zu unterlegen. Heute können die Banken oft selbst entscheiden, für welche Geschäfte sie Eigenkapital in Reserve halten.