Der freundliche Herr Grube

Der Bahnchef macht fast alles anders als sein Vorgänger / Porträt eines arbeitswütigen Vorstands

Teilen!

Von Wolfgang Mulke

09. Mär. 2010 –

Tief im Tunnel unter einem Bergmassiv im sachsen-anhaltinischen Ort
Saubach hallen die Sirenen noch nach, als Bahnchef Rüdiger Grube zum Gewaltschlag ausholt. Per Knopfdruck jagt der Bauherr 90 Kilogramm Dynamit und damit jene Felswand in die Luft, die zwei ICE-Tunnelstücke noch voneinander trennt. Die Detonation lässt den Berg und die versammelten Ehrengäste erzittern. Kurz darauf taucht der Begrüßungstrupp der Arbeiter von der anderen Seite der Baustelle aus der alles bedeckenden Staubwolke auf. Das bedeutet, der Bau der umstrittenen Hochgeschwindigkeitsstrecke zwischen München und Berlin ist wieder ein Stück weit vorangekommen. Milliarden gibt der Bund für die Prestigeverbindung aus, die in den ersten Einheitstagen geplant wurde und vermutlich nie wirtschaftlich betrieben werden kann. Anderswo fehlt das Geld für die Beseitigung kleiner Engpässe im Netz dringend. Doch Grube meckert nicht. Er tut seinen Dienst im Auftrag der Bundesregierung, stets freundlich, überaus höflich, immer dezent und trotzdem präsent.

Der 58-jährige verkörpert das krasse Gegenstück zu seinem Vorgänger, dem verbalen Raufbold Hartmut Mehdorn. Vor 312 Tagen hat der frühere Daimler-Manager einen der schwierigsten Spitzenjobs übernommen, den die deutsche Wirtschaft zu bieten hat. "Ich habe es unterschätzt", bekennt das meist lächelnde Arbeitstier, den die Verhältnisse zum Workoholic gemacht haben. Vier Stunden Schlaf langen Grube. Abends um zehn verabschiedet er sich von offiziellen Veranstaltungen. Zuhause wird dann noch die Post erledigt. Die Familie spielt da mit. Dafür verbringt der zweifache Vater die verbleibende Zeit am Wochenende mit seiner Frau und den beiden schon fast erwachsenen Kindern.

Die viele Arbeit ist Grube gewohnt, die vielen Probleme im Unternehmen nicht. Zunächst musste der Datenskandal der Bahn aufgeklärt werden. Dann stellte sich heraus, dass der Konzern mit gekauften PR-Leuten die öffentliche Meinung beeinflusst hat. Es folgte die Entdeckung von Listen mit den Krankheiten einzelner Beschäftigter. Anschließend standen erhebliche technische Probleme auf der Tagesordnung. Ein großer Teil der ICE-Flotte fällt schon lange aus. Schließlich blamierte sich die Bahn mit einem teilweisen Ausfall der Berliner S-Bahn bis auf die Knochen und ruinierte gleichzeitig den ohnehin schlechten Ruf noch weiter. Von der Wirtschaftskrise, die über den nachlassenden Güterverkehr auf der bahn lastet, ganz zu schweigen. Trotzdem wird Grube Ende März eine Bilanz vorlegen, die sich mit einem Gewinn von mehr als 1,5 Milliarden Euro sehen lassen kann.

Das hat wohl auch mit der zupackenden Art des Vorstands zu tun. Hinter der freundlichen Fassade verbirgt sich ein knallharter Chef, wenn etwas schief läuft. Vom System Mehdorn ist nicht viel geblieben, weil Grube ohne Umschweife mit der Kehrmaschine durch die Chefetage gerast ist. Statt Börsengang und Gewinnmaximierung ohne Rücksicht lautet die Parole nun, Konzentration auf das Brot- und Buttergeschäft mit der guten alten Eisenbahn. Grube muss den Namen Mehdorn nicht einmal in den Mund nehmen, um sich von ihm zu distanzieren. Das wäre auch unhöflich. Er verweist nur auf die Fakten. "Ich haben nicht ohne Grund fast alle Vorstände ausgetauscht", erwidert er auf die Frage nach Fehlern der Vergangenheit. Nur einer durfte bleiben und führt nun geräuschlos das Logistikgeschäft, mit dem Mehdorn einst die Welt erobern wollte. Dafür kam ein Vorstand für die immer wieder versagende Technik hinzu und einer für den richtigen Umgang mit Daten und dem Recht. Der früher für den Datenschutz zuständige Vorstand habe nicht einmal gewusst, dass er für diese Aufgabe verantwortlich war, erinnert sich Grube. Das lässt tiefe Einblicke in die Ära Mehdorn zu.

Mit dem Blick zurück hält sich Grube nicht gerne auf. Dabei ist sein
Karriereweg ebenso beeindruckend wie selten. Der Sohn eines Landwirts wächst im Hamburger Land auf und absolviert zunächst nur die Hauptschule. Er wurde Flugzeugbauer und absolvierte später erst ein Fachhochschul-, dann noch ein Universitätsstudium und wurde
Berufsschullehrer. Erst mit Ende dreißig begann Grubes Managerkarriere beim Flugzeugbauer Dornier, der steil aufwärts führte und ihm bei der Bahn den bislang wichtigsten Posten einbrachte.

Dieser Werdegang erklärt auch den immensen Fleiß des Managers, der sich mit 15-Kilometer-Läufen am Wochenende fit hält. "Ich bin kein Überflieger, ich musste mir alles erarbeiten", gibt Grube zu. Dieses Erarbeiten müssen ging dann in Fleisch und Blut über. Er wurde der Mann für die schwierigen Verhandlungen, löste für Daimler die Welt-AG mit Chrysler und Mitsubishi auf, handelte einen Umbau der Spitze des europäischen Gemeinschaftsunternehmens EADS auf. Letzteres mussten die Regierungschefs von Deutschland und Frankreich absegnen. So lernte Grube Angela Merkel kennen, die ihn danach, lange vor Mehdorns Abgang fragte, ob er sich den Spitzenposten bei der Bahn vorstellen könne.

Geschickt agiert Grube in der für die Bahn so wichtigen Politik. Mehdorn betrachtete den Bundestag und das Verkehrsministerium von oben herab und ließ keine Gelegenheit aus, die Volksvertreter und den Eigentümer zu brüskieren. Grube macht sich überall Freunde. "Das ist ein sympathischer, einnehmender Typ", sagt Dirk Flege vom Lobbyverband Allianz pro Schiene. Auch die grünen Abgeordneten, die eine grundsätzlich andere Bahnpolitik fordern, sind vom Auftreten Grubes angetan. Allerdings müssten den Worten jetzt auch Taten folgen, verlangt der Abgeordnete Hofreiter.

Bislang war Aufräumen im Bahnkonzern angesagt. Jetzt muss eine
Vorwärtsstrategie her. Grube überlässt die Vorgaben dafür
Verkehrsminister Peter Ramsauer. Der wiederum hat außer Bekenntnissen zum Schienenverkehr noch nicht viel zuwege gebracht. In den nächsten Jahren fehlen mehr als zwanzig Milliarden Euro, um die Schienenwege wie geplant auszubauen. Von der Finanzierung der Infrastruktur hängt viel ab, wenn mehr Verkehr von der Straße auf die Schiene geholt werden soll.

Grube selbst hat eine Strategie entwickelt, die viele Bahnkunden hoffen lassen kann. Die alten Ziele, eine Teilprivatisierung und das weltweite Transportgeschäft, rücken in den Hintergrund. Stattdessen setzt Grube auf das Kerngeschäft Eisenbahn. Zunächst will die Bahn
kundenfreundlicher werden. Der Vorstand geht schon mal voran. Jeden Tag ruft Grube ein paar unzufriedene Kunden an, die sich bei ihm persönlich beschwert haben. Mitunter glaubt ihm dann niemand, dass er wirklich der Bahnchef ist und er muss ein paar biographische Fragen beantworten, die am anderen Ende der Leitung schnell gegoogelt werden. Auch bei der Schülerin aus Brandenburg, die in bitterkalter Winternacht wegen einen angeblich ungültigen Fahrscheins aus dem Zug geworfen wurde, hat der
Vorstand angerufen und sich mit Freifahrschein und Blumen entschuldigt.

Vier Punkte stehen auf der Wunschliste der Bahn obenan. Eine
Kundenoffensive soll für zufriedene Fahrgäste sorgen. Dazu gehört zum Beispiel eine Änderung der Abo-Regelung bei der Bahncard, die für viel Verärgerung gesorgt hat. Die Technik soll sicherer werden. Da verspricht Ramsauer Rückendeckung, der die Hersteller der Züge verstärkt für Fehler mit in die Haftung nehmen will. Drittens will Grube ins rollende Material investieren und 300 neue Züge bestellen. Schließlich, das wird der für das Unternehmen vielleicht wichtigste Schritt sein, will die Bahn verstärkt andere europäische Märkte erobern und Verbindungen in die Nachbarländer aufbauen. Zugverbindungen nach Lyon, Palermo oder London
stehen auf der Wunschliste.

Nur eines mag Grube gar nicht. Das ist die Diskussion um eine Trennung des Schienennetzes von den Transportsparten. Wenn der Konzern nicht als Ganzes erhalten bleibt, will er das Handtuch werfen. "Das ist mit mir nicht zu machen", droht der Bahnchef mit Rücktritt.

« Zurück | Nachrichten »