Der heimliche Aufschwung

Die Berliner Wirtschaft hat sich vom Zusammenbruch nach der Wende erholt / Hauptstadt der Kreativen

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Von Wolfgang Mulke

12. Mär. 2012 –

In manchen Stadtquartieren Berlins vollzieht sich seit einigen Jahren ein rasanter Wandel. Wo einst sozial schwächere Familien Unterschlupf fanden, dominieren heute teure Luxuskinderwagen das Straßenbild. Im Café dreht sich das Gespräch zwischen jungen Vätern häufig um den Kauf von Eigentumswohnungen. Man tauscht sich über Preise und Angebote aus. Mitten in der Transferhauptstadt Deutschlands, in der es fast 230.000 Arbeitslose gibt und so viele Menschen wie nirgendwo sonst auf Hertz IV angewiesen sind, siedeln sich immer mehr gut ausgebildete junge Leute an. Dabei hieß es doch immer, es gebe keine Jobs in der Hauptstadt.


„Die Trendwende ist geschafft“, beobachtet der Forscher Martin Gornig vom Deutschen Institut für Wirtschaftsforschung“. Über 400.000 Industriearbeitsplätze gingen in den Nachwendejahren verloren. Lange trug Berlin widerstandslos die rote Laterne der wachstumsschwächsten Regionen vor sich her. Doch seit einigen Jahren registriert das DIW eine wachsende Dynamik der Unternehmen an der Spree. Mehr als 40.000 reguläre Stellen kamen allein im vergangenen Jahr dazu. Nach Berechnungen der Unternehmensverbände (UVB) konnte mittlerweile 59 Prozent der einst verlorenen Industriejobs wieder aufgebaut werden. Und es sind nicht mehr wie früher Arbeitsplätze am Ende der Wertschöpfungskette, die da entstehen. Auch bei den industrienahen Dienstleistungen bieten die Unternehmen so viele neue Jobs an, dass einige Branchen wie der Maschinenbau bereits über Probleme bei der Rekrutierung von Fachkräften klagen.


Ganz klein sind die Brötchen nicht mehr, die Berlin bei der Ansiedlung von Arbeitgebern backen muss. Allein die Lufthansa schafft 500 neue Stellen, wenn im Juni der Betrieb des neuen Großflughafens beginnt. Allein 100 Piloten werden an die Spree versetzt. Die Deutsche Bank überwacht aus der Hauptstadt heraus die Londoner Investmentgeschäfte und SAP entwickelt in Potsdam neue Programme. Allein der Flughafen wird eine fünfstellige Zahl an neuen Arbeitsplätzen mit sich bringen. Von der Energietechnik erhoffen sich die Wirtschaftspolitiker auch noch viel. Hier soll sich das Zusammenspiel von Wissenschaft und Unternehmen auszahlen, zum Beispiel bei der Entwicklung der Elektromobilität.


Ein guter Teil des Aufschwungs geht auf die kulturelle Attraktivität der Hauptstadt zurück, die auf manche junge Zuzügler wie ein Magnet wirkt. Gornig sieht eine Umkehr auf dem Arbeitsmarkt bei begehrten Fachkräften. „Die Jobs gehen dahin, wo die guten Leute sind“, stellt der Forscher fest. Insbesondere die Internetwirtschaft ist auch deshalb stark vertreten. Während bundesweit die Zahl der Firmengründungen zurückgeht, steuert Berlin neue Rekordmarken an. Gut 44.000 Neuanmeldungen gab es 2011, ein Plus von gut vier Prozent gegenüber dem Vorjahr. Inzwischen kommen auch die internationalen Wagniskapitalgeber an die Spree und suchen hier nach kreativen Ideen, an denen sie sich beteiligen können.


Doch der Aufschwung geht an der heimischen Bevölkerung nahezu vorbei. Die gut bezahlten Jobs werden weitgehend von Neuberlinern besetzt. Mit über 13 Prozent ist die Arbeitslosigkeit unverändert hoch. 80 Prozent der Arbeitslosen beziehen Hartz IV. Viele haben keine Chance auf dem regulären Arbeitsmarkt. Mit einer Offensive will der Senat nun die Langzeitarbeitslosen gezielt in den ersten Arbeitsmarkt vermitteln. Doch wie anderswo auch sind Stellen für Geringqualifizierte nur schwer zu finden.







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