Der letzte Flug der Ariane 5

Erfolgreicher Start in Kourou. Eine Ära endet

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Von Björn Hartmann

06. Jul. 2023 –

Was für ein perfekter Start. Die letzte Ariane-5-Rakete hebt wenige Sekunden nach 19 Uhr Ortszeit in den Sonnenuntergang über dem europäischen Weltraumbahnhof in Kourou, Französisch-Guayana ab. Das Ende einer Ära bei hervorragendem Wetter. An Bord: ein Kommunikationssatellit, der Deutschland international weit nach vorn bringen soll. Es ist der dritte Anlauf.

Eine Minute vor dem Start verstummen die Gespräche im Kontrollraum Jupiter. Hier sitzen auch Alexander Schneider, technischer Leiter beim Bremer Satellitenbauer OHB, und Peter Gräf vom Deutschen Zentrum für Luft- und Raumfahrt. Beide sind das erste Mal in Kourou, starren wie alle anderen im Raum auf die Monitore vor sich. Wetter? Optimal. Temperatur? Passt. Elektrisches System der Rakete? Läuft.

Draußen sind 27 Grad, hohe Luftfeuchtigkeit. Hier drin ist alles heruntergekühlt. Die letzten zehn Sekunden zählt der Chef der Mission, wie die Starts genannt werden, herunter. Und dann geht alles ganz schnell. Das Haupttriebwerk zündet, sieben Sekunden später die Triebwerke der beiden Booster und Ariane schießt getrieben von 1300 Tonnen Schub mit Grollen und Fauchen Richtung All.

Doch der Start ist nicht alles. Im Kontrollraum beobachten sie weiter die Bildschirme, Flugbahn, Höhe, Geschwindigkeit der Rakete. Ändern können sie nichts mehr, jetzt muss sich zeigen, ob das, was sie in den vergangenen Tagen immer wieder getestet haben auch wirklich funktioniert. Ariane 5 gewinnt rasch Höhe. Schnell ist nur noch ein Feuerschweif am Himmel zu sehen.

Die Rakete bringt zwei Satelliten ins All: einen für das französische Militär und „Heinrich Hertz“, den erste Kommunikationssatellit Deutschlands seit gut 30 Jahren. Gebaut hat ihn OHB im Auftrag des Deutschen Zentrums für Luft- und Raumfahrt (DLR). Beteiligt sind 42 Partner. Anders als normale Satelliten, die nur Daten empfangen und senden können, besitzt unter anderem zwei eigene Rechner, die von der Erde aus programmiert werden können. Zudem verarbeiten sie Daten bereits im All. Auch die Sendefrequenzen können verändert werden. „Der smarte Satellit kann jederzeit flexibel an neue Kommunikationsstandards angepasst werden – auch nach dem Start“, sagt Walther Pelzer, Chef der Deutschen Raumfahrtagentur. „Die Mission versetzt die deutsche Industrie in die Lage, sich im internationalen Wettbewerb auf Augenhöhe zu behaupten.“

2.31 Minuten nach dem Start der erste kritische Moment: Werden die beiden Booster sauber abgetrennt? Weil ein Teil möglicherweise nicht richtig funktioniert hätte, hatte Arianespace den ersten Starttermin Mitte Juni kurzfristig abgesagt – zu hoch das Risiko, es könne etwas schief gehen. Alles läuft nach Plan. Die Booster werden sauber abgetrennt. Die Rakete ist jetzt nur noch ein glühender Punkt am Himmel – das Haupttriebwerk.

„Heinrich Hertz“ wiegt 3,45 Tonnen und hat etwa das Format eines VW-Busses. Energie bekommt er über zwei Sonnensegel mit jeweils gut zwölf Metern Spannweite. Eingebaut ist Kommunikations-, Antennen- und Satellitentechnik, die deutsche Forschungsinstitute und Unternehmen entwickelt haben. Bevor sie verkauft werden kann, muss sie zeigen, dass sie auch wie versprochen im All funktioniert. 370 Millionen Euro kostet die Mission einschließlich Start. Die Kosten teilen sich Bundeswirtschafts- und Bundesverteidigungsministerium. An Bord sind auch Anlagen für die Bundeswehr.

Am Montag war die Rakete vom Gebäude, in dem sie zusammengebaut wurde, quer über einen Teil des Gelände zum Startplatz Nr. 3 gerollt. Eineinhalb Stunden brauchte die Spezialplattform mit der aufrecht stehenden Rakete für die knapp drei Kilometer. Die insgesamt gut 2000 Tonnen rollten über zwei parallele Bahngleise, gezogen in der Mitte von einem Spezialfahrzeug. Am Himmel kräftige Wolken, dazwischen immer wieder Sonne, die die weiße Rakete zum Leuchten brachte. Sah alles gut aus für den Start –lief dann aber doch nicht nach Plan.

Höhenwinde zwangen dazu, den für Dienstag geplanten Start erneut zu verschieben. Solche Winde können die Rakete in der kritischen Startphase vom Kurs abbringen. Die beiden Satelliten können dann nicht an den Stellen ausgesetzt werden, die geplant sind. Sie dann an ihre Zielposition zu steuern, kostet Zeit und vor allem wichtigen Treibstoff für die Steuertriebwerke, der dann für anderes über die Nutzungszeit der Satelliten fehlt. Und während in Deutschland zum zweiten Mal Startpartys abgesagt werden, können die Techniker in Kourou noch einen weiteren Tag testen.

Am Startplatz ist die Rakete mit einer riesigen Betonsäule verbunden, über die Hauptrakete dann vor dem Start mit flüssigem Wasserstoff und Sauerstoff, die Booster mit Festbrennstoff betankt werden, insgesamt 670 Tonnen Sprit. Unter der Rakete befinden sich riesige Löcher. Die beiden unter den Boostern sind mit je einem Tunnel verbunden, der die Abgase wegleitet. Die Auslässe knapp 100 Meter vom Startplatz entfernt haben das Format von Turnhallen.

8.40 Minuten nach dem Start ist die Hauptstufe ausgebrannt, wird abgekoppelt. Die Rakete fliegt knapp 240 Kilometer hoch über dem Atlantik. Wieder läuft alles nach Plan. Die Oberstufe zündet. Im Kontrollraum immer noch angespannte Gesichter. Noch kann einiges schief gehen. Immerhin ist die letzte Ariane 5 nicht kurz nach dem Start explodiert wie die erste. Damals hatte ein Softwarefehler zur Selbstzerstörung geführt.

Die letzten elf Stunden vor einem Start werden aus dem Launch Center gesteuert, etwa 2,5 Kilometer von Platz Nr. 3 entfernt. Genauer: Aus einem Bunker genannten fensterlosen Raum, geschützt durch einen Meter dicken Stahlbetonwänden. „Das hier ist das Gehirn des Starts“, sagt ein Mitarbeiter. Die französische Raumfahrtagentur CNES, die den Weltraumbahnhof betreibt, spricht vom Cockpit wie bei einem Flugzeug.

In dieser Sichtweise ist Jupiter der Tower. Der riesige Raum im Kontrollzentrum, wegen der Glastrennwände auch Goldfischglas genannt, liegt knapp zwölf Kilometer vom Startplatz entfernt. Graue Wände, grauer Boden, knallrote Verstrebungen und eine rote Decke. Ein riesiger Videoschirm, darunter läuft in rot und grün die Uhrzeit rückwärts. Im Raum sitzen Vertreter der Auftraggeber wie Schneider, Mitarbeiter von Ariane Space, Verantwortliche für Wetterbeobachtung, Technik und der Chef der Mission. Sie alle können den Start noch abbrechen.

Denn gestartet wird eine Rakete nicht mehr per Knopfdruck. Etwa eine halbe Stunde vor dem Start hat ein Computer übernommen, der die Rakete präzise zünden kann. Für die „Heinrich Hertz“-Mission ist das Startfenster – der Zeitraum, in dem die Rakete das Zielgebiet im All treffen kann – mit knapp eineinhalb Stunden groß. Beim vorletzten Start im April sollte eine Sonde Richtung Jupiter geschickt werden. Das Startfenster betrug nur Sekunden.

Der gesamte Weltraumbahnhof in Kourou deckt eine Fläche von 700 Quadratkilometern ab, Hamburg hat etwa 755 Quadratkilometer. Das Gelände ist dem Urwald abgetrotzt. Auf ihm verteilen sich mehrere Montagehallen für Raketen und verschiedene Startrampen – für die kleinere Vega, für die ehemalige Ariane 4, für russische Sojus-Raketen. Auch für die neue Ariane 6 ist eigens ein Startplatz gebaut worden. Anders als bei Ariane 5 wird die Nachfolgerin nicht mehr über das Gelände zum Start fahren. Die Rakete wird in einem Kathedrale genannten Gebäude stehend montiert. Zum Start wird die Kathedrale – sie hat das Gewicht des Eiffelturms, wie hier jeder stolz erzählt – dann von der Rakete weggefahren.

Der letzte Start der Ariane 5 macht viele, die lange dabei sind, wehmütig. Schließlich hat die Rakete über Jahrzehnte ihre Fracht präzise im All platziert. Jens Lassmann ist in Kourou dabei. Der Standortchef der Arianegroup in Bremen, deren Tochter Arianespace die Rakete federführend baut, hat praktisch alle Starts miterlebt – von der Explosion der ersten Ariane 5 vor 27 Jahren bis eben jetzt zur letzten, der 117. Oder der Chef der Deutschen Raumfahrtagentur. Walther Pelzer verfolgt das Geschehen aus Deutschland per Livestream.

Knapp 25 Minuten nach dem Start schaltet sich die Oberstufe aus, die Kapsel mit beiden Satelliten fliegen ohne Antrieb weiter. Nach einer halben Stunde dann der entscheidende Moment. nach etwa 11.100 Kilometern Flugstrecke wird „Heinrich Hertz“ in gut 1300 Kilometern Höhe ausgesetzt. Dreieinhalb Minuten später auch der französische Militärsatellit Syracuse 4B. Im Kontrollzentrum klatschen sie, die steinernen Minen entspannen sich.

Doch auch wenn alles sehr gut lief, ist Raumfahrtagentur-Chef Pelzer nicht so ganz begeistert, was mit der Zukunft zu tun hat. „Mit dem Start verliert Europa seinen unabhängigen Zugang zum All“, sagt er. Denn der Nachfolger Ariane 6 ist noch nicht einsatzbereit. Die erste Rakete ist zwar schon montiert, doch sie muss noch zahlreiche Tests durchlaufen. Der Erststart ist für kommendes Jahr vorgesehen. Europas Satelliten müssen jetzt entweder warten oder mit einer Rakete des US-Unternehmens SpaceX des US-Unternehmers Elon Musk starten. Die Zahl der Raketen ist trotz einer gewissen Massenfertigung begrenzt, die Nachfrage sehr hoch.

Ariane 5 ist also Geschichte. Die Schwerlastrakete brachte die Sonde Rosetta für die Europäische Weltraumagentur ESA in Richtung des Kometen Tschurjumow-Gerassimenko, schickte die Merkur-Mission BepiColombo auf den Weg, die Jupiter-Mission Juice. Die US-Weltraumagentur Nasa sandte das James-Webb-Weltraumteleskop mit einer Ariane 5 ins All. Über die Jahre setzte sie Galileo-Navigationssatelliten der EU aus, Wettersatelliten und knapp 150 kommerzielle Telekommunikationssatelliten.

36 Minuten nach dem Start meldet sich „Heinrich Hertz“ mit einem ersten Signal. DLR-Mann Gräf und OHB-Experte Schneider sehen mitgenommen aus, aber glücklich. Der Satellit ist jetzt auf dem Weg zu seinem Zielpunkt, gut 36.000 Kilometer über dem Äquator etwa auf Höhe Ost-Ghanas. Weil er dort mit der Geschwindigkeit um die Erde fliegen wird, mit der sie sich dreht, scheint er auf der Stelle zu stehen. Ende Juli soll er in Position sein, im Herbst dann im Einsatz.

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