Der machtlose Millionär

Dirk Roßmann gebietet über eine erfolgreiche Drogerie-Kette mit 2.300 Filialen, die von Deutschland nach Osteuropa und in die Türkei expandiert. Trotzdem, so sagt der Chef, habe er wenig Einfluss auf die Arbeitsbedingungen in seiner Produktionskette

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Von Hannes Koch

08. Sep. 2010 –

Dirk Roßmann liebt Bücher. Jahrelang hat er sich eher um´s Lesen gekümmert, als um seine Firma. Gegenwärtig beschäftigt er sich gleich mit vier Werken parallel, darunter einer Biografie des deutschen Dichters Theodor Fontane. "Wenn der Mensch ruhig wird, fängt er an zu wirken", sagt der 63Jährige.


Er erzählt, noch nie eine E-Mail geschrieben zu haben. Die moderne Kommunikation müssen seine Mitarbeiter erledigen und Roßmann in Papierform vorlegen. Auf seinem Schreibtisch im Büro steht kein Computer. Eine Armbanduhr trägt er ebenfalls nicht. Ab und zu fragt er seinen Pressesprecher, wie spät es sei.


Zum Gespräch lässt sich der Firmenchef mit der ovalen Brille und dem grauweißen Dreitagebart in die großen, bequemen Kissen seiner ausladenden Büro-Sitzecke sinken. Er trägt ein weißes Hemd ohne Krawatte.


Im Gegensatz zu der Ruhe, die Roßmann ausstrahlt, stehen die täglichen Geschäfte. Im Unternehmen geht es zu wie auf einer wilden Jagd. Durchschnittlich vier neue Filialen pro Woche will der Konzern dieses Jahr eröffnen. "Was wir im Handel erleben, ist ein Kampf der Systeme", sagt Roßmann.


Er attackiert seine beiden größeren Konkurrenten, die Drogerie-Ketten Schlecker und dm. Verdienen die in einer Einkaufsstraße gutes Geld, setzt Roßmann eine neue Filiale gleich daneben. Und die beiden Marktführer zahlen es ihm, der Nummer Drei in Deutschland, mit gleicher Münze zurück. Angesichts der Auswüchse des globalen Kapitalismus beschleicht ihn manchmal ein ungutes Gefühl. Über sein eigenes Unternehmen sagt er jedoch: "Größe ist unbedingt notwendig. Wir müssen gegen die Konkurrenz wachsen".


1972 machte Roßmann aus der Drogerie seiner Eltern den ersten Drogerie-Discounter Deutschlands. Das neue Prinzip: Die Kunden bedienten sich selbst. Damit explodierten Umsatz und Gewinn. Einen weiteren Sprung erzielte das Unternehmen, als die staatliche Preisbindung für Drogerieprodukte wegfiel und Roßmann die Preise senken konnte.


Heute betreibt Roßmann 2.300 Discount-Läden unter anderem in Deutschland, Polen und Ungarn. Ende Juli eröffneten die ersten beiden Geschäfte in Ankara. Um die Expansion zu finanzieren, beschaffte sich Roßmann in den 1980er Jahren externes Kapital. 40 Prozent des Konzerns gehören deshalb heute dem Hongkonger Unternehmen Hutchinson Whampoa.


Die Ursache von Roßmanns Erfolg ist schlichter, harter Preiskampf. Irgendein Produkt lässt sich immer noch billiger verkaufen. Die niedrigen Preise bei trotzdem oft vernünftiger Qualität sind möglich, weil Roßmann so genannte Eigenmarken gegenüber Markenartikeln bevorzugt. Rund 300, in der Öffentlichkeit meist unbekannte Produkthersteller liefern Kosmetikartikel, Toilettenpapier und andere Waren, denen Roßmann eigene Fantasie-Namen verleiht. Die Hersteller dieser Roßmann-Eigenmarken sparen den bei Markenproduzenten wie Beiersdorf („Nivea“) üblichen hohen Werbe- und Marketing-Aufwand. Vorteil für Roßmann: Er kann die Produkte billiger einkaufen.


Hinzu kommt der Erfolg der Größe. Hinter 2.300 Rossmann-Filialen mit einem in 2010 zu erwartenden Umsatz von 4,6 Milliarden Euro steht eine enorme Marktmacht. Das Unternehmen kann deshalb bei seinen Lieferanten günstige Preise durchsetzen. Firmen, die sich der rigorosen Preisdrückerei widersetzen, werden aus der Liste der Hersteller gestrichen.


Das ist die normale Brutalität des Geschäftslebens. Aber Roßmann ist auch deshalb so erfolgreich, weil er die anerkannten Grenzen zivilisierten Verhaltens selten überschreitet. Roßmann spielt nach den Regeln einer Marktwirtschaft mit gewissen sozialen Leitplanken. Das trägt ihm das Zutrauen der Verbraucher und die Motivation seiner Beschäftigten ein.


Von der Gewerkschaft sind keine Klagen zu hören. Im Gegensatz zu vielen anderen Dienstleistungsfirmen bezahlt Rossmann nach Tarif, wenngleich auch in diesem Unternehmen das niedrigste Gehalt für eine Verkäuferin bei 8,47 Euro pro Stunde liegt. Eine solche Beschäftigte erhält nach einem Monat harter Arbeit 1.000 Euro netto, was in einem reichen Land wie Deutschland für wenig mehr als die Befriedigung der Grundbedürfnisse reicht.


Die Eigenkapitalrendite bei Rossmann beträgt dementsprechend etwa 30 Prozent vor und 20 Prozent nach Steuern. Wer die Notwendigkeit einer derart stattlichen Verzinsung des eingesetzten Kapitals in Frage zu stellen wagt, muss sich auf lautstark vorgetragene Gegenargumente des Hausherrn gefasst machen. Eins davon: Seine Umsatzrendite betrage nur etwa drei Prozent. Das stimmt – so kann man es sehen.


Auch die Debatte über die sozialen und ökologischen Standards in der Produktionskette missfällt Dirk Roßmann. Wieviel verdienen die Arbeiterinnen, die in China die Computer zusammenschrauben, die man bei Rossmann kaufen kann – 80 Euro im Monat, 120 Euro? Wie lange müssen sie täglich arbeiten – zwölf Stunden oder mehr? Um solche Feinheiten will Roßman sich erst gar nicht kümmern.


"Ich habe nicht die Macht, die Politik in China zu verändern. Sie überschätzen den Einfluss eines Drogisten aus Großburgwedel", sagt Roßmann – blind gegenüber dem Umstand, dass es längst zum Standard anderer großer Unternehmen gehört, die sozialen und ökologischen Bedingungen in der Produktionskette wenigstens ansatzweise zu kontrollieren. Rossmanns Sprecher weist derweil darauf hin, dass das Unternehmen durchaus einen Verhaltenskodex anwende: Die Lieferanten in aller Welt müssten unterschreiben, dass sie ihren Beschäftigten bestimmte Mindeststandards garantierten.


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