„Der Mensch ist immer noch Lückenbüßer der Technik“

Gute Arbeit ist selten

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Von Wolfgang Mulke

19. Jan. 2017 –

 

In den letzten Jahrzehnten ist das Arbeitsleben härter geworden. Warum das so ist und worauf Arbeitnehmer besonderen Wert legen, erläutert der Bremer Arbeitswissenschaftler Wolfgang Hien im Gespräch mit unserem Korrespondenten Wolfgang Mulke. Hien, Jahrgang 1949, lehrte bis 2006 an der Uni Bremen und ist seither als freier Berater tätig.

 

Frage: In der Arbeitswelt nehmen Maschinen den Menschen die schweren Tätigkeiten mehr und mehr ab. Ist das Berufsleben damit humaner geworden?

 

Wolfgang Hien: Ich habe vor gut 50 Jahren eine Lehre bei BASF angefangen. Gewisse Probleme haben sich seither nicht verändert. Es gibt nach wie vor Hierarchien, Führungskräfte ohne Führungsqualitäten und widersprüchliche Anforderungen, zum Beispiel möglichst schnell und möglichst gute Qualität zu produzieren. Auch sind die körperlichen Belastungen nicht verschwunden. Schauen Sie sich Paketdienste an, wo die Leute schwere Kisten schleppen müssen, oder das Pflegepersonal. Roboter übernehmen nur Teilbereiche des Berufslebens. Der Mensch ist hier nach wie vor Lückenbüßer der Technik. Und die von schwerer Arbeit Betroffenen sind noch ungünstiger dran als damals.

 

Frage: Das müssen Sie erklären.

 

Hien: Alle meine Forschungsprojekte, in Werften, Pflegeeinrichtungen, bei VW oder IT-Büros haben ergeben, dass die Arbeit stark verdichtet worden ist. Früher gab es Freiräume und Nischen. Wenn es einem mal nicht so gut ging, konnten die Kollegen die Arbeit mit verrichten. Das gibt es heute nicht mehr. Von jedem wird immer 100 Prozent Leistung gefordert. Man muss immer hellwach sein. Ein Drittel der Menschen ist dazu aber nicht in der Lage. Sie sind langsamer oder haben mit mentalen Problemen zu kämpfen. Das heißt, die Arbeitswelt hat sich von einem menschlichen Maß verabschiedet. Gefragt ist nur noch der eindimensionale „High-Performer“, wie es neudeutsch heißt. Die anderen haben massive Probleme bis hin zum Mobbing. Da die hohen Anforderungen mit einem verstärkten Personalabbau einhergehen, verschwindet auch die Alltagssolidarität unter den Kollegen.

 

Frage: Was zeichnet einen guten Arbeitsplatz aus?

 

Hien: Es gibt drei Kernelemente für gute Arbeit: Einen angemessenen Entscheidungsspielraum für den Arbeitnehmer, Entscheidungsfreiräume mit den entsprechenden Ressourcen wie Maschinen oder Mitarbeiter sowie ein hohes Maß an sozialer Unterstützung. Das sind die Hauptkriterien einer guten Arbeit. Wenn dies nicht gegeben ist, kann der Job krank machen. Das wissen manche Führungskräfte, doch verhindern Vorgaben der oberen Etagen oft die Berücksichtigung dieser Bedürfnisse.

 

Frage: Spielen Wertschätzung, Geld und Karrierechancen eine geringere Rolle bei der Bewertung des Arbeitsplatzes?

 

Hien: Anerkennung ist wichtig, gerade die Anerkennung durch ein gutes Einkommen. Da ist jedoch viel Verlogenheit im Spiel. Die Politik redet gerne von der Aufwertung der Pflege. Tatsächlich werden die Gelder dafür gekürzt und Personal eingespart. Das ist Gift für die Stimmung. Auch in vielen anderen Bereichen fehlt die Wertschätzung. Der Begriff der Leistungsträger geht mir auf den Geist. Der Vorstandsvorsitzende von VW verdient unverhältnismäßig viel Geld, auch wenn er Fehler macht. Die Arbeit am Band erfordert dagegen eine hohe Leistung. Der Unterschied in der Bewertung ist unerträglich groß.

 

Frage: Immer mehr Unternehmen rühmen sich einer neuen Familienfreundlichkeit und einer individuell flexiblen Gestaltung der Arbeitszeit. Ist da ein Sinneswandel im Gange oder dient das Homeoffice für Eltern nur als Feigenblatt auf einer inhumane Arbeitswelt?

 

Hien: Wenn ein großer Autokonzern eine Betriebs-Kita einrichtet, dann will er damit für junge Ingenieurinnen attraktiv werden. Für die Frauen am Band gibt es hingegen keine Betreuungsangebote. Das ist verlogen. Gefördert wird nur dort, wo es eine ökonomische Notwendigkeit ist. Die am Band wissen, dass sie dabei vergessen werden. Das kommt nicht gut an. Viele Personalchefs verhindern auch einen Diskurs über die Vereinbarkeit von Beruf und Familie. Flexibilität bedeutet für sie meist, dass sich die Arbeitnehmer den Arbeitsbedingungen anpassen müssen, nicht umgekehrt.

 

Frage: Haben die Gewerkschaften den Einfluss auf die Gestaltung der Arbeitswelt verloren?

 

Hien: Die Gewerkschaften hinterfragen die schönen Worte der Arbeitgeber nicht kritisch genug und gehen auch keine Konflikte darüber ein. Sie halten sich an den Basiskonsens der Nachkriegszeit, der einen Ausgleich zwischen Produktivitätszuwächsen und Humanität vorsah. Doch die Arbeitgeber haben diesen Konsens oft genug gebrochen. Die Gewerkschaften müssten mehr daran setzen, dass man auch nach dem 50. Lebensjahr noch ein würdevolles Arbeitsleben führen kann.

 

Frage: Gibt es für Jobsuchende eine Strategie bei der Suche nach einem guten Arbeitsplatz?

 

Hien: Sie sollten auf die Wortwahl der Arbeitgeber achten und konsequent nachfragen, was zum Beispiel die in der Anzeige geforderte „hohe Leistungsbereitschaft“ praktisch beinhaltet. Oder fragen, ob die Pflege des Kindes im Krankheitsfall möglich ist, auch wenn man deshalb eine Woche zuhause bleiben muss. Aber die Arbeitnehmer müssen auch ihre Erwartungen an sich selbst auf ein menschliches Maß reduzieren. Es schafft allenfalls einer von einer Million Menschen, sich vom Tellerwäscher zum Millionär hochzuarbeiten. Diese Illusion aber impfen große Unternehmen auf ihren Flyern an der Uni unseren Studenten ein. Die jungen Leute sind dann schockiert, wenn sie die Realität erleben. Das normale Leben ist eben nicht auf Rosen gebettet. Sich für menschenwürdige Arbeitsbedingen einzusetzen, ganz konkret am Arbeitsplatz, zusammen mit den Kollegen und Kolleginnen, bleibt auch künftig unverzichtbar.

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