„Der Mindestlohn darf nicht steigen“
Ökonom Clemens Fuest begründet, warum eine Revision der griechischen Reformen und ein Schuldenschnitt falsch wären
29. Jan. 2015 –
Hannes Koch: Die neue griechische Regierung hat die Privatisierung des Hafens von Piräus gestoppt. Nachvollziehbar: Warum soll man Anlagen verkaufen, die Jahr für Jahr Gewinne zugunsten des Staates erwirtschaften können?
Clemens Fuest: Die umgekehrte Frage muss man stellen - warum erscheint es notwendig, dass der Staat Hafenanlagen betreibt? Öffentliche Betriebe zu privatisieren ist sinnvoll, wenn sie dann effizienter geführt werden. Ein solches Geschäft lohnt sich für den Staat, wenn der Verkaufserlös höher ausfällt als der Verlust der bisherigen Einnahmen.
Koch: Ein Beispiel aus Deutschland - der Hamburger Hafen ist profitabel und etwa zur Hälfte in Staatsbesitz. Warum drängt die EU darauf, eine ähnlich vorteilhafte Lösung in Athen zu unterbinden?
Fuest: Was in einem Land gut funktioniert, klappt in einem anderen nicht unbedingt. Und es besteht ein grundlegender Unterschied zwischen Deutschland und Griechenland. Berlin brauchte keine Bürgschaften anderer Länder, um seinem Bankrott zu entgehen. Für die Hilfe muss Athen bestimmte Bedingungen erfüllen.
Koch: Regierungschef Alexis Tsipras hat außerdem die geplante Privatisierung der staatlichen Elektrizitätsgesellschaft angehalten. Wie beurteilen Sie das?
Fuest: Genauso wie beim Hafen. Die griechische Regierung verletzt demonstrativ die Vereinbarungen mit der europäischen Troika.
Koch: Der griechische Mindestlohn 2012 wurde gekürzt. Nun soll er wieder steigen. Ist das angesichts des niedrigen Niveaus von 3,35 Euro pro Stunde nicht verständlich?
Fuest: Nein, die Produktivität der griechischen Arbeitnehmer ist so niedrig, dass der Mindestlohn sinken musste. Weil die Beschäftigten vergleichsweise wenig erwirtschafteten, war es nötig, die Arbeitskosten zu drücken. Diese Analyse ist noch immer richtig.
Koch: Was halten sie davon, dass Regierungschef Tsipras gekündigte Beamte wieder einstellen will?
Fuest: Das ist leider eine Tradition in Griechenland. Vor den Wahlen versprechen Politiker, Stellen im öffentlichen Dienst zu schaffen und dadurch die Einkommen ihrer Anhänger zu erhöhen. Das ist keine gute Praxis.
Koch: Griechenland muss über zehn Prozent seiner Staatseinnahmen für Schuldzinsen aufwenden. Rechtfertigt eine solche Belastung die Forderung nach einem Schuldenschnitt?
Fuest: Tatsächlich zahlen muss Griechenland gegenwärtig ja nicht. Aber mittelfristig werden die Zinsen natürlich fällig. Dann werden sie laut Vereinbarung jedoch nur etwas mehr als vier Prozent der Wirtschaftsleistung betragen. Das ist immer noch eine hohe Belastung, mehr als beispielsweise Deutschland tragen muss. Weitaus weniger freilich, als die Finanzierung über die internationalen Finanzmärkte kosten würde. Die Bedingungen des europäischen Hilfsprogramms sind günstig.
Koch: Wäre es sinnvoll, die Zinszahlungen und Rückzahlungsfristen zu strecken?
Fuest: Jetzt nicht, aber man sollte es nicht für alle Zukunft ausschließen. Die Reihenfolge ist wichtig: Erst muss Griechenland die vereinbarten Reformen durchführen, die Privatisierungen umsetzen, den Mindestlohn nicht erhöhen, keine gekündigten Beamten wieder einstellen. Dann kann man über Erleichterungen bei den Schulden reden.
Koch: Soll Europa hart bleiben und notfalls den Austritt Griechenlands aus dem Euro-Raum riskieren?
Fuest: Wenn die griechische Regierung so weiter macht, ist das unausweichlich.
Ökonom Clemens Fuest (Jg. 1968) leitet das Zentrum für Europäische Wirtschaftsforschung in Mannheim.