Der Rollenspieler
Ein Bundesbankpräsident Weidmann: Er warnt vor der Auswüchsen der Euro-Rettung, gestaltet sie aber mit
27. Apr. 2012 –
Es war ein Brief, der erhebliche Turbulenzen verursachte. Die Europäische Zentralbank unterstütze die Notenbanken verschuldeter Euro-Staaten inzwischen mit mehr als 800 Milliarden Euro, schrieb Bundesbankchef Jens Weidmann Ende Februar an EZB-Chef Mario Draghi. Der Deutsche äußerte Sorge angesichts dieser gigantischen Verpflichtungen. Entgegen den Gepflogenheiten der Vertraulichkeit konnte man den Inhalt dieses Schreibens wenige Tage später in der deutschen Presse lesen. Weidmann ließ erklären, er habe mit der Veröffentlichung nichts zu tun.
Dieser Vorgang mag einiges verraten über das Amtsverständnis und die Amtsführung von Bundesbank-Präsident Jens Weidmann. Seit einem Jahr im Amt, verficht er die jahrzehntealte, traditionelle Position der Bundesbank – harter Kampf gegen die Inflation, für öffentliche Sparsamkeit. Doch Weidmann weiss auch, dass er diese Politik im Euro-System, dessen Teil die Bundesbank ist, nicht immer unverfälscht durchsetzen kann und Kompromisse machen muss. Um diese aber zu erreichen, spielt er mitunter über Bande und spannt die Öffentlichkeit ein. Weidmann ist ein Bundesbankpräsident, der politischer handelt als seine Vorgänger.
Und doch steht der 44Jährige mit den jugendlich langen Koteletten auf dem betonharten Fundament der Bundesbank. Auch er füllt die Rolle aus, die ein Bundesbank-Präsident seit Jahrzehnten spielen muss. Früher war die Geldwertstabilität der D-Mark das oberste Ziel, heute ist es die des Euro. Um die Inflation niederzuhalten, lehnt es Weidmann grundsätzlich ab, dass die Notenbank, die das Geld herausgibt, Schulden von Regierungen übernimmt. Geldpolitik und Fiskalpolitik sollen möglichst streng voneinander getrennt bleiben. In diesem Sinne wendet sich der Bundesbankchef gegen die „Monetarisierung der Staatsschuld“.
Zu seinen Prinzipien gehört es ebenso, die Bundesregierung zu mahnen, auf solide Staatsfinanzen zu achten. Dass er von 2006 bis April 2011 als Abteilungsleiter im Bundeskanzleramt Angela Merkels die deutsche Finanzpolitik wesentlich mitbestimmte, hindert ihn nicht, regierungskritische Positionen nun öffentlich zu vertreten. Insofern haben sich die Prophezeiungen derjenigen nicht bewahrheitet, die Weidmann als einen politisch abhängigen Bundesbankchef sahen.
Schließlich warnt er davor, dass die Euro-Staaten unter den gegenwärtigen Umständen zu große finanzielle Verantwortung für einander übernehmen. Jedes Land – Griechenland und Irland ebenso wie Deutschland – sei im Prinzip selbst für einen ausgeglichenen Staatshaushalt verantwortlich und müsse mit dem Druck der Investoren, die bei hoher Staatsverschuldung hohe Zinsen verlangen, auch alleine zurechtkommen.
Diese geld- und finanzpolitischen Überzeugungen hat Weidmann während seines beruflichen Werdeganges erarbeitet und gefestigt. Er promovierte unter anderem bei Axel Weber, seinem Vorgänger im Amt als Bundesbankchef, als dieser noch Ökonomie-Professor war. Später arbeitete Weidmann für den Internationalen Währungsfonds und entwickelte als Generalsekretär des Sachverständigenrats der Fünf Weisen die Kernpunkte der Hartz-Reform von Bundeskanzler Gerhard Schröder.
Weidmann gibt oft den öffentlich wahrnehmbaren Gegenspieler von EZB-Präsident Mario Draghi. So warnte der Bundesbankpräsident vor weiteren Aufkäufen von Staatsanleihen verschuldeter Euro-Länder durch die EZB. Indem die Zentralbank Schuldscheine kauft, drückt sie die Zinsen, hält die betreffenden Regierungen liquide, leiht ihnen faktisch aber auch Geld. Genau diese Staatsfinanzierung durch die Notenbank lehnt Weidmann eigentlich ab.
Trotzdem trägt der Bundesbankpräsident eine solche Politik als Mitglied des EZB-Rats mit. Was bleibt ihm auch übrig? Die Bundesbank hütet nicht mehr wie früher alleine die deutsche Währung. Als Teil des Euro-System tragen die Institution und ihr Präsident eine Gesamtverantwortung, die Weidmann pragmatisch umsetzt. Er sagt: „Natürlich wäre es falsch, in dieser außergewöhnlichen Krise stur auf Prinzipien herumzureiten“.
So hat auch Weidmann eine internationale Konstruktion mitgeschaffen, die mittlerweile eine Größenordnung von 1.500 Milliarden Euro für die gegenseitige finanzielle Absicherung der Euro-Staaten bereithält. Offiziell betont Weidmann die No-Bailout-Klausel des Vertrages über die Arbeitsweise der Europäischen Union, praktisch erscheint diese Regel sehr flexibel.
Und trotz allem ist der Bundesbankpräsident ein Lieblingsfeind vieler linker, linksliberaler und keynesianisch orientierter Ökonomen. Vom Wirtschaftsweisen Peter Bofinger über Investoren-Legende George Soros bis zu Nobelpreisträgern wie Paul Krugman und Joseph Stiglitz reicht die Reihe der Kritiker. Ihr Tenor: Deutscher Egoismus, deutsche Inflationsangst und deutsche Sparsamkeit verhinderten die Lösung der Euro-Krise. Erstens solle Deutschland gemeinsamer Verschuldung mittels Euro-Bonds zustimmen, damit die kaum tragbaren Zinsen der Perepherieländer sinken und zweitens seien schuldenfinanzierte Wachstumsprogramme statt Kaputtsparen notwendig.
Haben Weidmann, Merkel und Finanzminister Schäuble Recht oder ihre Kritiker? Griechenland und Spanien hilft die gegenwärtige Therapie offenbar nicht. Diese Länder erhalten zwar dicke Euro-Rettungskredite, aber die damit verbundenen Sparmaßnahmen unterminieren die wirtschaftliche und soziale Erholung. Weidmanns Hartz-IV-Strategie sagt: Wenn die Arbeit erst billig genug ist und die Leute jeden Job annehmen, geht es wieder aufwärts. In Deutschland habe das ja geklappt, würde der Bundesbankpräsident hinzufügen.