Der Ruf nach Tarifeinheit wird wieder lauter

Bei jedem Streik von Spartengewerkschaften flammt die Debatte um ihre Macht wieder auf

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Von Wolfgang Mulke

22. Feb. 2012 –

Wenn Lokführer, Ärzte, Piloten oder auch Beschäftigte auf dem Vorfeld des Frankfurter Flughafens für bessere Arbeitsbedingungen streiken, ist der Aufschrei von Politik und Arbeitgebern vorprogrammiert. Denn diese Berufsgruppen sind nicht in den großen Gewerkschaften wie der IG Metall oder Verdi organisiert, sondern haben sich in kleinen Organisationen zusammengeschlossen. Diese Spartengewerkschaften vertreten nur die Interessen eines Standes. Auf andere Arbeitnehmergruppen müssen sie keine Rücksicht nehmen. Das zeigt sich gerade am größten deutschen Luftkreuz. 200 der 20.000 Beschäftigten dort legten den Verkehr teilweise lahm.


Gerichte haben diese Machtposition 2010 erlaubt, in dem sie die so genannte Tarifeinheit aufhoben. In einem Betrieb muss nun nicht mehr zwangsläufig nur ein Tarifvertrag gelten. Theoretisch könnte jede Berufsgruppe damit ihr eigenes Süppchen kochen. Das haben einige Minigewerkschaften auch schon eindrucksvoll getan. Der Marburger Bund setzte zum Beispiel für die Krankenhausärzte 2006 zweistellige Gehaltszuschläge durch. Die Gewerkschaft der Lokführer(GdL) erstreikte sich ein Jahr später einen eigenständigen Tarifvertrag mit der Deutschen Bahn. Auch Piloten und Fluglotsen haben sich eigenständig vereinigt. Viel mehr Berufsgewerkschaften gibt es nicht. Von manchen hört die Öffentlichkeit so gut wie nie etwas, zum Beispiel von der Vertretungen der Orchestermusiker oder der Fußballprofis.


Die bekannten Vereinigungen zeichnet vor allem eines aus. Die Beschäftigten sind aufgrund ihrer besonderen Qualifikation schwer ersetzbar. Das verschafft ihnen eine starke Streikmacht. Ohne Ärzte funktioniert kein Krankenhaus. Ohne Fluglotsen bleiben alle Maschinen am Boden. Kritiker der Spartenvertretungen werfen den Streikenden gern Erpressung vor. „Die schlimmsten Befürchtungen sind eingetreten“, sagt auch der wirtschaftspolitische Sprecher der Union im Bundestag, Joachim Pfeiffer. Es müssten umgehend Lösungen gefunden werden, mit denen die Tarifeinheit wieder hergestellt wird.


Eine gesetzliche Regelung, die die Macht der Spartengewerkschaften begrenzt, wird schon seit zwei Jahren diskutiert. Bislang beließ es schwarzgelb jedoch bei der Drohung. „Das Thema wird weiterhin in den Ressorts beraten“, hält eine Sprecherin des Arbeitsministeriums den Ball flach. Das kann sich allerdings schnell ändern, wenn die Bundestagsfraktionen der Koalition Dampf machen. Pfeiffer schweben mehrere Alternativen vor. Denkbar wäre danach die Vorgabe, dass alle Tarifverträge in einem Unternehmen die gleiche Laufzeit vorweisen müssen. Das soll permanente Tarifverhandlungen verhindern. Auch kann die Tarifeinheit in infrastrukturrelevanten Betrieben zwangweise hergestellt werden. Im Gespräch ist auch, dass jeweils die Konditionen der Gewerkschaft gelten, die am meisten Mitglieder vorweisen kann. „Es muss gehandelt werden“, gibt Pfeiffer als Parole vor.


Dagegen sehen die Tarifexperten der gewerkschaftsnahen Böckler-Stiftung die Entwicklung der letzten Jahre gelassen. „Es besteht kein Bedarf an gesetzlichen Regelungen“, versichert Tarifforscher Heiner Dribbusch. Der aktuelle Arbeitskampf sei nach längerer Zeit der erste Streik einer Berufsgewerkschaft. Es sei durch sie weder zu ständigen Konflikten gekommen, noch habe sich ihre Zahl erhöht.


Doch ein Problem der fehlenden Tarifeinheit räumt auch Dribbusch ein. Wenn der Arbeitgeber, zum Beispiel öffentliche Kliniken, nur ein festes Personalkostenbudget verteilen kann, besteht die Gefahr der Entsolidarisierung innerhalb der Belegschaft. Dann holen die unverzichtbaren Leute viel für sich heraus. Andere Berufsgruppen, die keine Streikmacht haben, müssen sich mit weniger begnügen. Deshalb fände es der Wissenschaftler besser, wenn alle Gewerkschaften an einem Strang ziehen würden.








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