Der Staat lernt Verzicht

38 Milliarden Euro fehlen den öffentlichen Haushalten bis 2013. FDP hält trotzdem an Steuersenkung fest. SPD-Finanzexperte Poß fordert dagegen einen höheren Spitzensteuersatz von 49 Prozent

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Von Hannes Koch

06. Mai. 2010 –

Wegen der Banken- und Wirtschaftskrise erhält der Staat in kommenden Jahren deutlich weniger Steuereinnahmen. Im Vergleich zur Steuerschätzung vom Mai vergangenen Jahres fließen bis 2013 rund 38 Milliarden Euro weniger auf die Konten von Bund, Ländern und Gemeinden. Diese Prognose veröffentlichte der Arbeitskreis Steuerschätzung am Donnerstag.


Die neue Schätzung kurz vor der NRW-Landtagswahl hatte in den Debatten der vergangenen Monate eine besondere Bedeutung erhalten. Auch Bundeskanzlerin Angela Merkel betrachtete sie als einen Indikator dafür, wann und wie die von der FDP geforderte Steuersenkung möglich ist. Daran, dass die Steuersätze sinken sollen, hielt FDP-Generalsekretär Christian Lindner trotz der ernüchternden Zahlen auch gestern fest. „Der Staat nimmt zwar weniger Steuern ein als erhofft - aber mehr als jemals zuvor“, sagte Lindner.


Diese Aussage stimmt nur sehr eingeschränkt. Die Zahlen sehen so aus: 2010 erhalten die Finanzämter insgesamt 510 Milliarden Euro – soviel, wie schon bei der vergangenen Schätzung erwartet. 2011 und 2012 aber fallen die Steuereinnahmen um jeweils zwölf Milliarden geringer aus, 2013 um 14 Milliarden Euro. Was diese Jahre betrifft, ist die Aussage Lindners falsch. Erst 2014 – nach der nächsten Bundestagswahl - könnten Bund, Länder und Gemeinden wieder etwas mehr Geld verbuchen als 2008, dem letzten Jahr des zurückliegenden Booms. Für 2014 rechnen die Steuerschätzer insgesamt mit Staatseinnahmen von 581 Milliarden Euro (2008: 561 Milliarden).


In den Jahren 2011 bis 2013 machen alle Verlust – sowohl der Bund, als auch die Länder und Kommunen. Dass weniger Einnahmen fließen, ist unter anderem auf Steuersenkung der schwarzgelben Regierung im so genannten Wachstumsgesetz zurückzuführen.


Nun verringern die schlechten Zahlen die Chancen für die FDP-Steuersenkung. Die niedrigeren Steuersätze, die vor allem den wohlhabenden und reichen Bevölkerungsschichten zugute kämen, würden nach Berechnungen der Liberalen bis zu 16 Milliarden Euro pro Jahr kosten. Dieses Geld müsste Bundesfinanzminister Wolfgang Schäuble durch geringere Ausgaben oder höhere Einnahmen an anderer Stelle erwirtschaften. Denn mehr Schulden machen darf Schäuble nicht. Im Gegenteil: Wegen der Schuldenbremse des Grundgesetzes muss die diesjährige Neuverschuldung von rund 80 Milliarden Euro ab 2011 Jahr für Jahr um rund zehn Milliarden geringer ausfallen. Insgesamt müsste Schäuble damit allein im kommenden Jahr 26 Milliarden Euro irgendwo im Bundeshaushalt lockermachen.


Eine solche Summe aus dem Etat von 325 Milliarden Euro herauszuschneiden, ist nicht unmöglich, aber ein riesiger Kraftakt – besonders in Krisenzeiten. Die FDP hat zwar ein paar Finanzierungsvorschläge gemacht, aber bislang ist die Koalition mehr oder weniger ratlos, woher sie das Geld nehmen sollte.


Schäuble sagte am Donnerstag, dass der Spielraum für Steuersenkungen grundsätzlich vorhanden sei. Wer Ausgaben befürworte, müsse aber in jedem Falle auch für die Gegenfinanzierung sorgen, damit der Abbau der Schulden gelinge. „Die Solidität der Finanzpolitik ist existenziell“, so Schäuble. Vor diesem Hintergrund hat die FDP bereits ein Zugeständnis an die CDU gemacht: 2011 will man entscheiden, welche Steuersenkung 2012 kommt. Das Schwergewicht soll dabei zunächst auf der Vereinfachung des Steuerrechts liegen. Das heißt: Die Steuersenkung wird viel geringer ausfallen, als die FDP heute noch verlangt.


Währenddessen fordert die SPD, angesichts der gigantischen Staatsschulden die Steuern nicht weiter zu senken, sondern stattdessen zu erhöhen. „Der Spitzensteuersatz sollte von heute 45 auf 49 Prozent steigen“, sagte SPD-Fraktionsvize Joachim Poß. Außerdem sei zu überlegen, die Selbstständigen in die Gewerbesteuer einzubeziehen – allerdings unter Anrechnung auf die Einkommensteuer, damit sich die Zusatzbelastung in Grenzen halte. „Dies würde die Finanzsituation der Kommunen deutlich verbessern“, so Poß. Auch die Chemie-Gewerkschaft plädiert für einen Spitzensteuersatz von 49 Prozent. Zudem sollte die Steuer auf Kapitalerträge von 25 auf 35 Prozent steigen, sagt die IG BCE.

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