Der Wirtschaft fehlt soziale Kontrolle

Telekom-Abhöraffäre: Wirtschaftsethiker fordern, dass Unternehmen Wohlverhalten nicht nur propagieren, sondern es intern ständig auf´s Neue durchsetzen.

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Von Hannes Koch

29. Mai. 2008 –

Wirtschaftsethiker Karl Homann kann die Bespitzelungsaffäre bei der Telekom AG nicht sonderlich erstaunen. Sie bestätigt ihn geradezu in seiner Analyse: „Wir haben keine Ethik für Organisationen“, sagt der Professor für Philosophie und Ökonomik an der Universität München. Weil ein wirksamer Kodex zivilisierten Verhaltens in vielen Konzernen nicht durchgesetzt werde, komme es immer wieder zu Skandalen und Gesetzesverstößen, so Homann.

 

Die neueste Affäre betrifft die Deutsche Telekom AG. 2005 und 2006, möglicherweise aber auch länger, hat das Unternehmen Verbindungsdaten von Telefongesprächen vermutlich illegal ausgewertet. Unter der Ägidie des damaligen Vorstands Kai-Uwe Ricke und des früheren Aufsichtsratschefs Klaus Zumwinkel ist danach gesucht worden, ob Aufsichtsräte der Arbeitnehmerseite interne Informationen an Journalisten ausplauderten.

Die Affäre bei der Telekom ist einer von vielen Skandalen, die deutsche Unternehmen in jüngster Zeit erschüttert haben. Bordellreisen auf Firmenkosten bei VW, Milliarden-Korruption bei Siemens, Bespitzelung von Beschäftigten bei Lidl – diese Verfehlungen stehen im seltsamen Gegensatz zu den wohlklingenden Imagebroschüren und Nachhaltigkeitsberichten, ohne die heute kaum noch ein Konzern auskommt. Auch die Telekom AG hat einen Ethikcode beschlossen und beteuert ausdrücklich, die Gesetze einzuhalten.

Wirtschaftsethiker Homann erklärt die Differenz zwischen Anspruch und Wirklichkeit so: Die großen Unternehmen würden sich viel zu wenig darum kümmern, ihre guten, theoretischen Vorsätze im täglichen Geschäftsleben umzusetzen. Es fehlten wirksame, unternehmensinterne Institutionen, die zivilisiertes Verhalten garantierten, so Homann.

Einen Anfang hat die Telekom vor Jahren immerhin gemacht: Ein so genanntes Compliance Comittee wacht über die Einhaltung der Gesetze und der firmeneigenen Ethikbestimmungen. Telekom-Mitarbeiter können anonyme Hinweise geben, die die Beschwerde-Einrichtung auswertet. In der aktuellen Abhöraffäre hat dieses firmeneigene Schutzsystem aber offensichtlich versagt. Um die Mechanismen zu verbessern, hat die Telekom jetzt die Kölner Rechtsanwaltskanzlei Oppenhoff & Partner beauftragt. Gerade Unternehmen müssten sozialverträgliches Verhalten immer wieder neu erlernen, weiß Wirtschaftsethiker Homann: „Die Rate des Vergessens in großen Organisationen ist hoch“. Ganz besonders dann, wenn die Anweisung für den Gesetzesbruch von ganz oben kommt, wie 2005 offenbar bei der Telekom. Der interne Beschwerdeprozess kann sich auch deshalb als unwirksam erweisen, weil Untergebene davor zurückschrecken, gegen ihre Chefs zu ermitteln.

Gerade aber das Verhalten der Konzernspitzen ist oft das Problem. Vieles erscheint Managern heutzutage möglich und notwendig, was noch vor 20 Jahren undenkbar war. Zieht ein Unternehmen wie die Telekom auf den globalen Markt hinaus, steht es dort nicht nur unter hohem finanziellen Druck, sondern entfremdet sie sich von den Gesetzen und Wertvorstellungen seines Heimatlandes. „Transnationalen Firmen fehlt die direkte soziale Kontrolle“, sagt Ingo Schoenheit, der das Institut für Markt-Umwelt-Gesellschaft (Imug) in Hannover leitet. Er sieht trotzdem gute Möglichkeiten, transnationale Konzerne zu domestizieren: „Die kritische, mobile Zivilgesellschaft muss die Unternehmen beobachten und sanktionieren“. Genau davor hat die Telekom jetzt auch Angst: Im Bonner Vorstandshochhaus befürchtet man, dass noch mehr Kunden zur Konkurrenz wechseln. Wer will schon mit einem Unternehmen telefonieren, das seine Kunden bespitzelt?


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