Der Wunsch nach mehr Freizeit

Teilzeitjobs sind umstritten und gelten als Karrierebremse / Die meisten Beschäftigten sehen es anders

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25. Sep. 2009 –

Immer mehr  Arbeitnehmer in Deutschland haben Teilzeitjobs.
Vor allem für Frauen sind die kürzeren Arbeitszeiten attraktiv. Familie
und Beruf lassen sich so leichter unter einen Hut bringen. Neben der
klassischen Halbtagsstelle haben mittlerweile auch amerikanische
Jobmodelle Einzug gehalten.

2008 war nach Berechnungen des Institut für Arbeitsmarkt- und
Berufsforschung (IAB) jeder dritte Arbeitnehmer in Deutschland weniger als
40 Stunden im Büro oder im Geschäft. Oft wird der zeitlich flexible Einsatz
zu Lasten der Beschäftigten eingeführt, etwa um im Supermarkt die Kassen
entsprechend der Kundenströme zu besetzen. Auch werden vor allem in
schlecht bezahlten Jobs Teilzeitarbeiten angeboten. Auch deshalb ist es
eine Frauendomäne. „90 Prozent der Teilzeitbeschäftigten sind weiblich“,
erklärt Werner Eichhorst, stellvertretender Direktor für
Arbeitsmarktpolitik am Institut zur Zukunft der Arbeit (IZA). Nur in den
Niederlanden ist die reduzierte Arbeitszeit noch weiter verbreitet.

Aber auch in qualifizierten Berufen sind die inzwischen vielfältigen
Arbeitszeitmodelle auf dem Vormarsch, diesmal zum beiderseitigen Nutzen.
Die Betriebe ein Interesse. „Für die Unternehmen ist Teilzeit das Modell,
um qualifizierte junge Frauen im Erwerbsleben zu halten“ sagt Eichhorst.
Für die Angestellten steht die Vereinbarkeit von Privatleben und Job im
Vordergrund.

Vor allem öffentliche Verwaltung, der Dienstleistungssektor und das
Kredit- und Versicherungsgewerbe setzen auf flexible und kürzere
Arbeitszeiten – also Branchen die einen hohen Frauenanteil aufweisen. In
Männer dominierten Wirtschaftszweigen wie dem Bau- oder Verarbeitenden
Gewerbe, finden Teilzeitangebote hingegen kaum einen Platz.

Für die Wirtschaft ist Teilzeitarbeit aus mehreren Gründen interessant.
„Die Unternehmen bieten die Jobs an, weil sie flexible Arbeitskräfte
benötigen und weil Teilzeitarbeiter in der Regel produktiver sind als ihre
Kollegen mit Vollbeschäftigung“, erläutert IZA-Experte Eichhorst. Darüber
hinaus würden Teilzeitjobber auch eine Verdichtung der Arbeitsabläufe in
kauf nehmen – sprich, weniger Pausen machen – und in der Regel auch etwas
länger arbeiten als vereinbart.

Beschäftigte reduzierten ihre Arbeitszeit vor allem aus familiären
Gründen. Laut Mikrozensus des Statistischen Bundesamts sind mehr als die
Hälfte der Teilzeitjobber die weniger als 21 Stunden pro Woche arbeiten
deshalb nicht Vollzeit berufstätig, weil sie Kinder betreuen, Angehörige
pflegen oder anderen familiären Pflichten nachkommen. Dieses Argument gilt
vor allem für Westdeutschland. Nach Angaben des Instituts der Deutschen
Wirtschaft (IW) Köln verzichten 57 Prozent der Teilzeitbeschäftigten auf
ein volles Gehalt der Familie zuliebe. In Ostdeutschland sind es lediglich
14 Prozent.

Teilzeitarbeit gilt auch als Karrierebremse. Denn nicht jeder
Arbeitnehmer, der weniger Stunden arbeitet, tut dies aus freien Stücken.
Häufig findet sich einfach keine adäquate Vollzeitstelle oder kein
Kita-Platz für den Nachwuchs. Vor allem Mütter in den westlichen
Bundesländern bleibt häufig keine andere Wahl als kürzer arbeiten zu gehen,
weil Krippen-, Kindergarten- und Ganztagsschulangebote rar sind: Nur eins
von zehn Kindern unter drei Jahren besucht hier eine
Kindertageseinrichtung. Im Osten sind es fast viermal so viele.

Dass Teilzeit keine optimale Lösung ist, weil es eben oftmals
Aufstiegsmöglichkeiten verhindert, räumt man auch beim IZA ein. „Dennoch
scheint eine relative Zufriedenheit unter den Arbeitnehmern zu bestehen“,
sagt Arbeitsmarktpolitikexperte Eichhorst. 80 Prozent der Frauen hätten
sich bewusst für reduzierte Arbeitszeiten entschieden. In Frankreich
hingegen, würden nur zwei Drittel der Frauen freiwillig in einem
Teilzeitjob arbeiten.

Nach dem Teilzeit- und Befristungsgesetz muss der Arbeitgeber dem Wunsch
nach Teilzeitarbeit nachkommen, es sei denn, er kann eine Teilzeitstelle
aus betriebsorganisatorischen Gründen nicht anbieten. Neben dem klassischen
Teilzeitmodell, bei dem an den fünf Tagen der Woche einfach kürzer
gearbeitet wird, warten Unternehmen mittlerweile mit einer Vielzahl von
Möglichkeiten auf, die es ihren Mitarbeitern erlauben, kürzer und flexibler
zu arbeiten.

Beim Jobsharing zum Beispiel, teilen sich zwei Arbeitnehmer
eigenverantwortlich eine Stelle. Teilzeit Invest nennt sich eine andere
Variante. Hier ist der Arbeitnehmer zwar Vollzeit tätig, bekommt aber
Teilzeit bezahlt. Die Differenz wird als Zeit- oder Geldguthaben auf einem
Langzeitkonto angespart. So sind mehrmonatige Urlaubsphasen, Sabbaticals
(Auszeitjahre) oder sogar den vorgezogene Ruhestand möglich. Das Gehalt
wird dann einfach weitergezahlt. Durchgesetzt haben sich die modernen
Arbeitsformen jedoch noch nicht: „Die meisten Arbeitnehmer arbeiten
halbtags“, berichtet IZA-Mann Eichhorst.

Sogar der Krise trotzt die Teilzeitarbeit: Während es im zweiten Quartal
diesen Jahres 0,5 Prozent weniger Vollzeitbeschäftigte gab als im Jahr
zuvor, erlebte die Teilzeitarbeit im gleichen Zeitraum einen Wachstumsschub
von 1,2 Prozent. Das hat das IAB errechnet. Der Grund für den Aufschwung:
In den von der Wirtschaftskrise stark betroffenen Branchen der Industrie
ist Teilzeitarbeit wenig verbreitet.

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