Design und Moral

Firmenportrait Wilkhahn: Die Firma Wilkhahn stellt hochwertige Büromöbel und Konferenzausstattungen her. Auch im Umgang mit den Beschäftigten will man Spitze sein, sagt Eigentümer Jochen Hahne

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Von Hannes Koch

31. Jul. 2009 –

Bei Wilkhahn dreht sich vieles um Design. Vor allem um Stil und Funktionalität von teuren Büromöbeln und Konferenztischen – aber auch um die Formung des Bildes der Firma in der Öffentlichkeit. Kürzlich erst gab das Unternehmen aus der Nähe von Hannover in Norddeutschland bekannt, sich weltweit für Sozialstandards in der Möbelbranche zu engagieren.


Die wenigsten Unternehmer sind zu so etwas bereit. Und noch weniger setzen sich mit einer Person wie Berthold Huber, dem Vorsitzenden der deutschen Industriewerkschaft Metall, an einen Tisch, um einen entsprechenden Vertrag zu unterschreiben. Wilkhahn-Chef Jochen Hahne (50) tut es und begründet: „Gerade angesichts der aktuellen Finanz- und Wirtschaftskrise muss man international klar definierte Wertorientierungen und Spielregeln etablieren“.


Der Eigentümer des Familienbetriebes wohnte früher in Wohngemeinschaften, demonstrierte gegen Atomkraftwerke und verzichtet heute, wenn es geht, auf die Krawatte. Hätte bei der letzten Landtagswahl im Bundesland Niedersachsen die SPD und nicht die CDU von Bundeskanzlerin Angela Merkel gewonnen, wäre Hahne sozialdemokratischer Wirtschaftsminister geworden.


Deshalb macht es ihm keine Probleme, eine Vereinbarung mit der Gewerkschaft zu unterschreiben, die den Beschäftigten in allen Wilkhahn-Niederlassungen und ihren Zulieferfirmen weltweit freie Lohnverhandlungen, Mindesturlaub und Mindestbezahlung garantiert.


Das klingt gut, beinhaltet aber auch einen Trick. Die Vereinbarung kostet das Unternehmen zunächst gar nichts. Denn 450 von 600 Wilkhahn-Beschäftigten arbeiten im lauschigen und wohlhabenden Deutschland, wo Politik und Gewerkschaften schlechte Arbeitsverhältnisse oft zu verhindern wissen. Die übrigen 150 Mitarbeiter produzieren Möbel in Spanien und Australien, oder vertreten das Unternehmen in schicken Büros in den Metropolen dieser Welt. Die miesen Jobs, die die Gewerkschaft abschaffen will, gibt es bei Wilkhahn nicht.


So ist der wohlklingende Vertrag bloß ein Symbol – allerdings ein sinnvolles. Bislang sind nur 60 transnationale Konzerne bereit, überall freie Gewerkschaftsaktivitäten zu garantieren, Kinderarbeit auszuschließen und dies auch überprüfen zu lassen. Vorreiter wie Wilkhahn setzen die Mehrheit unter Druck, ihrerseits Sozialstandards als verbindlich anzuerkennen. Der Firma selbst hilft die Vereinbarung natürlich auch: Moralischer Mehrwert fördert ebenso das Image des Exquisiten und Wertvollen wie herausragendes Design.


Was Aussehen, Material und Technik der Tische, Stühle und Schränke betrifft, will Wilkhahn immer ganz vorne sein. Die Firma ist stolz darauf, die Design-Eleganz der in den 1930er Jahren gegründeten Bauhaus-Schule mit den Bedürfnissen der Gegenwart zu kombinieren. Wilkhahn leistet es sich, namhafte Designer zur Mitarbeit einzuladen. Für zahlreiche Produkte hat die Firma Auszeichnungen erhalten. Im Sinne der Verbindung von Nutzwert und Nachhaltigkeit bietet man den Kunden an, vor Jahrzehnten gekaufte Stühle reparieren, aufarbeiten und modernisieren zu lassen.


Aber es gibt auch Flops der Produktentwicklung. Jochen Hahnes inzwischen verstorbener Vater Fritz beschrieb seinen Stil einmal mit der schönen Formulierung „management by accident“. Unvergessen sind zum Beispiel die Strandkörbe aus Polyester - aufwändig entworfen, toll anzusehen, von der Presse gefeiert. Aufgestellt wurden sie an der Ostsee. Leider allerdings trieben sie eines Morgens draußen auf dem Meer – die Sturmflut hatte sie hinausbefördert. Man hatte übersehen, dass die neumodischen Strandmöbel schwimmfähig sein könnten – im Gegensatz zu den traditionellen Strandkörben aus Holzgeflecht.


Nicht zu den Sackgassen der Produktentwicklung gehören dagegen die Sitzreihen, mit denen Wilkhahn die Wartezonen ganzer Flughäfen ausrüstet – etwa in Dubai, Hongkong oder München. Ebensowenig die Einrichtungen für Konferenzsäle, die nicht nur Stühle und Tische, sondern auch Ton- und Kommunikationstechnik beinhalten. Als Deutschland 2007 die Ratspräsidentschaft der Europäischen Union innehatte, wurde eine Konferenzausstattung von Wilkhahn für 74 Politiker an 49 Orten aufgebaut und nach Ende der Sitzung zum nächsten Gipfeltreffen weitertransportiert.


Augenblicklich freilich sind die wirtschaftlichen Aussichten der Firma, die sich als ein globaler Marktführer der Branche sieht, nicht zum Besten. Die Finanz- und Wirtschaftskrise trübt die Perspektive von Wilkhahn - wie auch vieler anderer Unternehmen. Nachdem der Betrieb im Boomjahr 2007 noch ein Umsatzplus gegenüber dem Vorjahr von gut 20 Prozent realisierte und 94 Millionen Euro erreichte, sank der Umsatz 2008 auf rund 88 Millionen. Und auch für 2009 rechnet Wilkhahn mit einem Rückgang von rund fünf Prozent.


Typisch für die im Unternehmen herrschende partnerschaftliche Atmosphäre freilich ist, dass die Unternehmensleitung und der Betriebsrat, die Vertretung der Beschäftigten, gemeinsam versuchen, die Opfer der Mitarbeiter in Grenzen zu halten. Um Einsparungen zu erwirtschaften, reduzierte man die Arbeitszeit auf 32 Stunden pro Woche und kürzte die Jahresgehälter entsprechend um etwa acht Prozent. Gekündigt wurde aber bislang niemand. „Wir wollen unsere motivierten und bestens ausgebildeten Beschäftigten so lange wie möglich halten, weil wir sie im nächsten Aufschwung dringend wieder brauchen“, sagt Wilkhahn-Sprecher Burkhard Remmers.


Für einen relativen Luxus der Vergangenheit allerdings ist gegenwärtig überhaupt kein Geld vorhanden. Sein Sinn für soziale Gerechtigkeit führte Jochen Hahnes Vater einst dazu, den Gewinn der Firma jedes Jahr zwischen den Eigentümern und der Belegschaft aufzuteilen: Beide Seiten bekamen 50 Prozent. Die Hälfte der Mitarbeiter floss jeweils in einen Bonus-Lohn und Kapitalanteile am Unternehmen. Diese Anteile würden viele Wilkhahn-Rentner heute gerne verkaufen, um ihre Altersversorgung aufzubessern. Der Nachteil: Der Firma fehlt das Geld, ihre ehemaligen Beschäftigten auszuzahlen. Wie im Falle des Vertrages mit der Gewerkschaft gilt auch hier: Soziale Verantwortung zu demonstrieren ist schön. Nähme man sie ernst, würde sie allerdings auch Geld kosten.

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