Die Bahn wird bescheiden

Noch Jahre nach dem misslungenen Börsengang sucht der Konzern sich selbst

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Von Wolfgang Mulke

01. Nov. 2012 –

Mit ungewöhnlichen Ideen sollen die Kopenhagener zum Umstieg vom Auto in den Bus gelockt werden. Zeitweilig wurden einzelne Plätze im Bus zum Beispiel als „Liebessitze“ gekennzeichnet. „Darauf kann man sich setzen, wenn man eine Partnerin oder einen Partner sucht“, erläutert Thomas Øster vom Betreiber Arriva. Ein anderes Mal durften sich die Fahrgäste lächelnd fotografieren lassen. Die Bilder flimmerten dann über die Infomonitore der Fahrzeuge. Die Kampagne hat Erfolg. Die Zahl der Fahrgäste hat sich in diesem Jahr um über zehn Prozent erhöht.

 


Hinter Arriva steckt die Deutsche Bahn (DB), die das britische Unternehmen 2010 übernommen hat. Die Engländer betreiben das internationale Geschäft der DB. Es sind nun nicht mehr die globalen Wachstumsszenarien, mit denen die Bahn noch vor einigen Jahren prahlte. Es sind eher kleine Geschichten. In Dänemark, Schweden und England betreibt der Konzern Busse, Bahnen oder Wassertaxis. In Großbritannien steigt Arriva in das Geschäft mit Krankentransporten ein. In zwölf Ländern ist die DB mittlerweile vertreten und hat dort fast 40.000 Beschäftigte. Damit sind die Deutschen hinter der französischen SNCF das führende Verkehrsunternehmen in Europa. 3,8 Milliarden Euro beträgt der Auslandsumsatz derzeit. Das ist knapp ein Viertel des Gesamtumsatzes im Personenverkehr. In den kommenden fünf Jahren will Arriva die Erlöse fast verdoppeln.


Die Brötchen sind kleiner geworden, seit der Börsengang der Bahn 2006 geplatzt ist. Die Privatisierung ist nach Einschätzung der meisten Fachleute für lange Zeit vom Tisch. Stattdessen kämpft die Bahn an vielen Fronten einen meist stillen Kampf gegen alltägliche Schwächen. Deren Liste ist lang. Es fehlen Züge, neues Material wird zu spät ausgeliefert. Der Streit um den Stuttgarter Bahnhof zehrt an den Nerven und der Berliner Senat kürzte gerade die Zahlungen um zehn Millionen Euro, weil die S-Bahn nicht pünktlich fährt. Nicht nur bei wartenden Kunden, auch im eigenen Haus ist die Stimmung teilweise schlecht. Mangels Perspektive arbeitet ein Teil des mittleren Managements dem Vernehmen nach nur noch nach Vorschrift.


Bahnchef Rüdiger Grube arbeitet die Probleme lieber im Hintergrund ab. Allein das Personalproblem ist gewaltig. Bis zum Ende des Jahrzehnts müssen rund 80.000 der nahezu 300.000 Bahner ersetzt werden, weil sie die Altersgrenze erreichen. „In Zukunft werden wir Arbeit flexibler, familienfreundlicher und altergerechter gestalten müssen“, sagt Personalvorstand Ulrich Weber. Grubes Vorgabe ist ehrgeizig. 2020 soll die Bahn zu den zehn besten Arbeitgebern Deutschlands gehören. Im Unternehmen ist die Botschaft aber noch längst nicht überall angekommen.


Die zweite Großbaustelle ist die wirtschaftliche Weiterentwicklung. In vielen Märkten sind die Wachstumschancen begrenzt. Der wachsende Wettbewerb im Nahverkehr setzt überall die Margen des wichtigsten Gewinnbringers unter Druck. Bis Ende des Jahrzehnts will Grube dennoch immer profitabler werden. Dazu soll auch Arriva einen erheblichen Beitrag leisten, denn in Deutschland sind die Expansionsmöglichkeiten eher gering. Der dritte Baustein der Konzernstrategie ist der Umweltschutz. Hier will Grube zum Vorreiter werden. Dahinter steckt die Überzeugung, dass Unternehmen ökologisch handeln müssen, wenn sie von der Öffentlichkeit akzeptiert werden wollen. Außerdem gilt die Bahn als vergleichsweise umweltfreundliches Verkehrsmittel. Mit diesem Image können Kunden gewonnen oder gehalten werden.






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