Die Belastung der Bürger steigt nicht

Neue Steuerschätzung: Wieder einmal wachsen die öffentlichen Einnahmen. Ist der Staat zu gierig?

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Von Hannes Koch

06. Nov. 2013 –

Über die neue Regierung zu verhandeln, ist in diesem Jahr viel einfacher als früher. Denn die Finanzminister verbuchen stetig steigende Einnahmen. Auch die neue Steuerschätzung am Donnerstag wird wohl wieder zusätzliche Mittel ausweisen – nach Berechnungen des Bundesfinanzministeriums gut sechs Milliarden Euro in 2013 und 2014.

 

Damit bekommt eine alte Debatte neue Aktualität. Mancher fragt sich: Schröpft uns der Staat, hat er nicht endlich mal genug Geld? Sollten die Steuern und Abgaben deshalb sinken? Währenddessen verhandeln Union und SPD in ihren Koalitionsgesprächen über Mehrausgaben beispielsweise für den Ausbau der Datenleitungen und zusätzliche soziale Leistungen wie eine höhere Mütterrente – Aufwendungen, für die die höheren Einnahmen der kommenden Jahre möglicherweise nicht ausreichen.

 

Anders als die steigenden Steuereinnahmen der vergangenen Jahre vermuten lassen, wird der deutsche Staat nicht immer gieriger. Denn während der zurückliegenden drei Jahrzehnte ist die Abgabenquote nicht gestiegen. Diese Größe gibt die Belastung der Bürger mit Steuern und Sozialbeiträgen im Verhältnis zum Bruttoinlandsprodukt an. 1980 lag sie bei 38,6 Prozent. Das heißt: Von 100 Euro Wirtschaftsleistung nahm der Staat 38,6 Euro mit Steuern und Sozialabgaben ein und verteilte sie um. 2012 betrug die Abgabenquote nach Angaben des Bundesfinanzministeriums 38,4 Prozent.

 

Zwischen 1980 und heute gab es keine großen Veränderungen. Mal ging es ein bisschen hoch, mal ein bisschen runter. Der höchste Werte der Abgaben lag bei 40,4 Prozent im Jahr 1999, der niedrigste 2010 mit 37,1 Prozent. Grob gesagt, nimmt sich der Staat immer gut ein Drittel, knapp zwei Drittel behalten die Bürger. Aber auch von dem Teil, den der Staat beansprucht, bezahlt er ja Dienstleistungen, die der Allgemeinheit zugute kommen.

 

Auch im internationalen Vergleich liegt Deutschland nicht schlecht. Natürlich gibt es Staaten, die ihren Bürger weniger abverlangen – beispielsweise Großbritannien, Spanien, die Schweiz und Griechenland. In Ländern wie Frankreich, Österreich, Italien und Schweden ist die Abgabenquote dagegen höher als hierzulande.

 

Aus diesem Befund können die Koalitionsunterhändler unterschiedliche Rückschlüsse ziehen.

 

Erstens: Sie bemühen sich, die Abgabenquote zu senken. Erreichen ließe sich dies, indem etwa die Union ihr altes Ziel durchsetzt, die Mittelschicht von den automatischen Steuererhöhungen, der sogenannten kalten Progression, zu entlasten. Teilweise würde die SPD da wohl mitgehen. Eine andere Variante wäre es, den Beitrag der Beschäftigten für die Rentenversicherung zu reduzieren. Dies schreibt das Gesetz wegen der augenblicklichen hohen Überschüsse in der Rentenversicherung auch vor. Möglicherweise wird die große Koalition aber beschließen, das Gesetz zu ändern, den Rentenbeitrag stabil zu halten und mit dem Geld eine großzügigere Sozialleistung, die höhere Mütterente, zu finanzieren.

 

Zweitens: Die Koalition versucht, mit den steigenden Einnahmen der kommenden Jahre auszukommen. Die einzelnen Verhandlungsgruppen von Union und SPD formulieren zwar bereits Ausgabenwünsche im zweistelligen Milliardenbereich, aber CSU-Chef Horst Seehofer und CDU-Vorsitzende Angela Merkel stellen alles unter „Finanzierungsvorbehalt“. Das heißt: Entschieden, was bezahlbar ist, wird nach der Steuerschätzung am Ende der Verhandlungen. Das Deutsche Institut für Wirtschaftsforschung (DIW) hat errechnet, dass die höheren Staatseinnahmen nicht nur reichen, um die Schulden zu reduzieren. „Kräftige Investitionen in die Infrastruktur und auch hohe Ausgaben im Bildungsbereich kann man ohne Steuererhöhungen stemmen“, sagt DIW-Ökonom Ferdinand Fichtner.

 

Drittens: Die SPD plädiert dafür, die Staatseinnahmen zusätzlich anzuheben. Sie will dies erreichen durch steigende Steuern auf hohe Einkommen, Gewinne und Vermögen. Schützenhilfe erhielt die Partei vom Institut für Makroökonomie (IMK). Dessen Chef Gustav Adolf Horn analysiert eine „strukturelle Unterfinanzierung des Staates“. Jährlich fehlten in Deutschland rund 30 Milliarden Euro Investitionen in Schulen, Verkehrswege und Datenleitungen. Dieser Mangel sei ein Ergebnis der Steuersenkungen der vergangenen Jahrzehnte. Die gegenwärtigen Staatseinnahmen reichten nicht aus, um ihn zu beheben, so Horn. Die Union will Steuererhöhungen dagegen vermeiden.

 

Info-Kasten

Steuerschätzung

Am Donnerstag veröffentlichen die Steuerschätzer ihre neuen Zahlen. Der FAZ zufolge geht das Bundesfinanzministerium davon aus, dass die Steuereinnahmen zwischen 2013 und 2017 um 16 Milliarden Euro höher ausfallen, als bei der vergangenen Berechnung im Mai prognostiziert. Der Bund würde unter dem Strich einen kleinen Teil des zusätzlichen Geldes erhalten, das meiste ginge an die Gemeinden und die Länder. Bisher kalkuliert das Finanzministerium mit gesamten Steuereinnahmen von 615 Milliarden Euro für 2013. Diese werden der bisherigen Prognose zufolge bis 2017 auf 705 Milliarden Euro zunehmen.

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