Die Börsen trotzen der Krise
Inflationsängste, niedrige Zinsen und zu viel Geld sorgen für ein gutes Aktienjahr
27. Feb. 2012 –
Bei jeder Krise gibt es auch Gewinner. Im Deutschland gehören fraglos die Immobilienmakler dazu. Sie kommen mit der Vermittlung von Mietwohnungen oder Eigenheimen kaum mehr hinterher. „Die Nachfrage nach Wohnimmobilien wird 2012 ungebremst wachsen“, glaubt der Chef des Immobilienverbands Deutschlands (IVD) Jens Ulrich Kießling. Die Preise sind in den letzten Jahren überdurchschnittlich stark angestiegen. Für eine Eigentumswohnung mussten Käufer 2011 nach Berechnungen der Deutschen Bank vier Prozent mehr ausgeben als im Jahr zuvor. Der Anstieg lag damit deutlich über der Inflationsrate von 2,3 Prozent.
„Betongold beruhigt“, stellt die Bank als einen wichtigen Grund für den Boom bei Grund und Boden fest. Inflationssorgen und niedrige Zinsen haben auch die Makler bei einer Umfrage als wichtigste Motive ihrer Kunden erkannt. Der Trend macht sich insbesondere in den Großstädten bemerkbar. In Berlin befinden sich die Preise in manchen Bezirken im Galopp. Ein Spekulationsblase sieht die Deutsche Bank dennoch nicht. Im internationalen Vergleich seien die Hauspreise weiterhin attraktiv. Bis 2015 rechnet das Institut mit jährlichen Steigerungen um drei Prozent.
Auch auf anderen Märkten schießen die Preise in die Höhe. Der Goldpreis bewegt sich in Richtung der Marke von 1.800 Dollar, die Ölpreise haben die Schwelle von 100 Dollar pro Fass deutlich überschritten und die Börsianer wittern Morgenluft. Seit Sommer letzten Jahres ist der Leitindex Dax von knapp 5.000 Punkten auf nun rund 6.800 Punkte gestiegen. Schuldenkrise und Konjunkturflaute spielen für die Geldanleger offenkundig kaum eine Rolle.
„Wir haben eine Art Finanzinflation“, glaubt der Analyst der Privatbank Metzler, Guido Hoymann. Dieses Phänomen entsteht durch die großzügige Versorgung der Banken mit Krediten der Notenbanken. An diesem Mittwoch können sich europäische Geldhäuser zum Beispiel wieder zu einem Zinssatz von einem Prozent bei der Europäischen Zentralbank (EZB) so viel Geld leihen wie sie wollen. Das Kapital wird zum Teil in Staatsanleihen gesteckt oder wieder bei der EZB angelegt. Aber auch an den Finanzmärkten bringen die Institute Geld unter, weil es dort mehr Zinsen bringt als bei der EZB. Auf diese Weise kommt eine Nachfrage nach sicheren und guten Geldanlagen zustande, zumal die Anleger weltweit nach sicheren Häfen für ihre Investments suchen und auch andere Notenbanken mit gewaltigen Summen ihre Finanzindustrie stabilisieren wollen. So steigen die Preise für Geldanlagen, ohne dass dahinter ein wirtschaftlicher Boom steckt.
Bilden sich nun Spekulationsblasen oder kehrt die Angst schon beim nächsten Beben der Finanzkrise wieder zurück? Die Experten sind angesichts der teilweise dramatischen Kurseinbrüche in den letzten Jahren erstaunlich zuversichtlich. „Wir werden in diesem Jahr wieder mit Rückschlägen rechnen müssen,“ glaubt der Chefökonom der Fondsgesellschaft DWS, Johannes Müller, „aber insgesamt rechnen wir mit einem guten Aktienjahr.“ Auch Hoymann ist grundsätzlich optimistisch gestimmt, wenngleich er nach dem kräftigen Plus der letzten Monate ein risikobewussteres Verhalten der Anleger erwartet.
Die Fachleute sehen gute Gründe für stabile Märkte. „Die Wirtschaftskrise ist moderater ausgefallen als erwartet“, sagt Müller. Der Kursverfall des letzten Jahres ist also zu stark ausgefallen. Analyst Hoymann verweist auf das Verhältnis zwischen den Kursen und den Unternehmensgewinnen. Da liegt der Dax zum Beispiel noch unter dem Durchschnittswert der letzten zehn Jahre. So passt zusammen, was eigentlich nicht zusammengehört: eine Krise mit steigenden Kursen.