"Die Bürger werden veräppelt"

Im Interview: Gerhard Schick

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Von Wolfgang Mulke

22. Jun. 2012 –

Trotz der Einigung über den Fiskalpakt sind sich Regierung und Opposition in der Frage nach der richtigen Strategie im Kampf gegen die Krise uneins. Nach Ansicht des finanzpolitischen Sprechers der Grünen, Gerhard Schick, kommt Deutschland um eine gemeinschaftliche Schuldenhaftung für andere Länder nicht herum. Der 40-jährige Baden-Württemberger gehört dem Bundestag seit 2005 an.


Der finanzpolitische Sprecher der Grünen


Frage: Die Grünen fordern die Gemeinschaftshaftung durch Euro-Anleihen, die so genannten Euro-Bonds. Haftet Deutschland nicht längst schon für die anderen Euro-Länder mit?


Gerhard Schick: Da werden die Bürger tatsächlich von der Bundesregierung veräppelt. Natürlich gibt es längst eine gemeinsame Haftung, vor allem über die Europäischen Zentralbank (EZB), hinter der auch der deutsche Steuerzahler steht. Dort werden eine Billion Euro an zusätzlichen Mitteln bereitgestellt. Und die Risiken bei der EZB wachsen, weil die Sicherheiten, die sie akzeptiert, immer schlechter werden.


Frage: Verstehen Sie den Ärger der Bürger, denen immer gesagt wird, keine Gemeinschaftshaftung, keine Leistung ohne Gegenleistung und die dann feststellen müssen, das sie doch mit ins Risiko genommen werden oder Leistungen doch ohne Gegenleistung gewährt werden?


Schick: Dafür habe ich großes Verständnis, denn uns Abgeordneten geht es nicht anders. Die Bundesregierung verschweigt die wahren Risiken, so lange es nur geht. Deshalb brauchen wir einen Kurswechsel. Es muss auch endlich die soziale Bilanz der Spardiktate angesprochen werden. Die Bundesregierung muss endlich sagen, wer die Kosten für die Finanzkrise tragen soll. Denn Kosten wird es zweifelsohne geben.


Frage: Sie werden am nächsten Freitag dem Rettungsschirm ESM im Bundestag mit beschließen. Wie hoch ist das daraus resultierende finanzielle Risiko für die deutschen Steuerzahler?


Schick: Das Risiko speist sich aus verschiedenen Quellen, nicht nur aus dem ESM, für den Deutschland mit maximal 190 Milliarden Euro haftet. Wir sollten aber nicht nur die vordergründigen finanziellen Risiken sehen. Es gibt andere, die schwerer wiegen. Deutschlands Wohlstand hängt davon ab, dass die Produkte hiesiger Unternehmen anderswo im Euroraum gekauft werden. Außerdem haben Deutsche etwa über ihre Lebensversicherungen in den letzten Jahrzehnten sehr viel Geld in anderen Euro-Ländern investiert. Diese Grundlagen unseres Wohlstands sind in Gefahr, wenn die Wirtschaftskrise sich in Europa weiter unkontrolliert ausbreitet.


Frage: Deshalb wollen die Grünen einen Schuldentilgungspakt, bei dem Deutschland für Italiens oder Spaniens Staatsanleihen mithaftet?


Schick: Der Schuldentilgungspakt wäre wie eine Versicherung der Staaten gegen den Druck der Finanzmärkte. Wenn Sie sich privat versichern, bezahlen Sie mit ihrer Prämie ja auch die Absicherung anderer Versicherter mit. Das ist nicht dasselbe, wie die Schulden anderer Staaten zu übernehmen.


Frage: Was soll der Pakt bewirken?


Schick: Italien und Spanien sind in einem Teufelskreis gelandet. Sie müssen für ihre Staatsanleihen immer höhere Zinsen bezahlen. Dadurch steigt ihre Verschuldung weiter an. Ein Schuldentilgungsfonds soll vor diesem Druck der Finanzmärkte schützen, damit beide Länder ihre Schulden selbst bezahlen können. Sonst droht uns, sie retten zu müssen. Deshalb ist die Blockade der Bundesregierung an dieser Stelle so gefährlich für Deutschland.


Frage: Sind ESM oder ein Schuldentilgungsfonds mit dem Grundgesetz vereinbar, wenn damit anderswo über die Verwendung deutscher Steuergelder entschieden wird, ohne dass der Bundestag mitreden darf?


Schick: Der Tilgungsfonds wäre europarechtskonform. Das hat unsere Fraktion juristisch prüfen lassen. Und auch beim ESM und anderen Instrumenten haben wir von Anfang an darauf gedrängt, dass kein demokratiefreier Raum entsteht. Deswegen setzen wir uns bei den jetzigen Verhandlungen für eine stärkere parlamentarische Kontrolle durch das Europäische Parlament und den Bundestag ein.


Frage: Reichen die Vereinbarungen zwischen Regierung und Opposition zum Fiskalpakt aus, nun zusätzlich zu Sparprogrammen ein Wachstumsprogramm zu starten?


Schick: Grundsätzlich sind Schuldenbremsen eine gute Sache. Aber wenn die Wirtschaft einbricht, bewirken solche Regeln das Gegenteil: die Schulden steigen. Und wenn die Staaten zum Beispiel wegen Steuerhinterziehung strukturell ein Einnahmeproblem haben, dann kann der Fiskalpakt dazu führen, dass die Leistungsfähigkeit eines Landes geschwächt wird, weil nicht mehr in Bildung investiert wird oder die Infrastruktur verkommt. So geschwächt, kann ein Land die Schulden nie zurückzahlen. Ein wirklicher Schuldenabbau gelingt deshalb nur dann, wenn der Fiskalpakt verbunden ist mit Investitionen zur Stabilisierung der Wirtschaft und mit einer Stärkung der Einnahmen. Mit der Transaktionssteuer für Börsengeschäfte etwa können Investitionen finanziert werden.

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