Die Chance, dem Monopol Adieu zu sagen
Internetkonzerne wie Facebook und Google beherrschen ihren Markt. Aber das Kartellamt, das jetzt 60 Jahre alt wird, kommt nicht gegen sie an. Oder doch?
12. Jan. 2018 –
Facebook ist nicht nur ein soziales Netzwerk, sondern auch ein - um den Begriff aus der alten Zeit zu verwenden - weltweites Telefonbuch. Von rund sieben Milliarden Menschen sind etwa zwei Milliarden darin verzeichnet. Die Chance, eine beliebige Person in Finnland oder Australien zu finden, beträgt etwa eins zu vier. Dicker ist kein anderes Telefonbuch weltweit. Das gibt Facebook eine Macht, wie sie kein zweites Unternehmen dieser Branche innehat. Ein Fall für das Bundeskartellamt, das gerade 60 Jahre alt geworden ist.
Klingt komisch in einem Satz – Facebook und Kartellamt – wie Elektroauto und Postkutsche. Tatsächlich stellt die Behörde in Bonn eine zivilisatorische Errungenschaft ersten Ranges dar. Am 1. Januar 1958 trat das Gesetz gegen Wettbewerbsbeschränkungen in Kraft. Es fällt damit in die Amtszeit des legendären CDU-Wirtschaftsministers Ludwig Erhard (1949 bis 1963). Dessen programmatisches Buch trägt den Titel „Wohlstand für alle“. Um dieses Ziel in der damals neuen sozialen Marktwirtschaft zu erreichen, müsse der Markt, so Erhard, für alle, oder mindestens fast alle, funktionieren. Kein Unternehmen darf so mächtig werden, dass es einen einigermaßen fairen Wettbewerb verhindert, etwa die Preise zu Lasten der Verbraucher in die Höhe treibt oder die Qualität der Produkte verschlechtert. Auch soll kein Konzern seine ökonomische in zu weitgehende politische Macht ummünzen und sich die Regierung wählen können – eine Lehre aus dem Nationalsozialismus. Eine deutsche Erfindung waren diese Prinzipien freilich nicht. In den USA zerlegte die Regierung bereits 1911 das Wirtschaftsimperium der Rockefellers, den Konzern Standard Oil, in Dutzende Teile.
Heute stellt sich nun die Frage: Sind Internetkonzerne wie Facebook, Google, Amazon, Apple, Microsoft oder Airbnb so mächtig, dass wieder einmal die Rockefeller-Lösung fällig ist? Einige Argumente sprechen dafür. Wenn eine Firma wie Facebook bereits zwei von sieben Milliarden Bewohnern des Globus mit ihrer Dienstleistung versorgt, haben Wettbewerber schlechte oder keine Chance. „Bei Facebook erscheint es naheliegend, dass das Unternehmen eine marktbeherrschende Stellung erreicht hat“, sagt Professor Daniel Zimmer, der ehemalige Chef der bundesdeutschen Monopolkommission. Schließlich stehe den Nutzern kein anderer Dienst mit auch nur annähernder Reichweite zur Verfügung.
Ähnlich Google: In Staaten wie den USA und der Bundesrepublik wickelt die Firma 90 Prozent aller Suchanfragen im Internet ab. Andere Suchmaschinen können gegen den Monopolisten nur Nischen besetzen.
Trotzdem greift das alte Kartellrecht nicht richtig. Obwohl es genau darauf zielt, Monopole zu verhindern. Setzte man den Auftrag jedoch rücksichtslos durch, würde das Geschäftsmodell von Facebook und Google zerstört. Die Kunden finden diese Firmen ja gerade deshalb attraktiv, weil sie so hohe Reichweiten haben. Die Qualität der zudem noch kostenlosen Dienstleistung beruht auf der monopolistischen Struktur. Facebook ermöglicht eine umfassende, grenzüberschreitende Kommunikation nur deshalb, weil sehr viele Leute mitmachen. Und die Such-Antworten, die Google ausspuckt, werden präziser, je mehr Menschen teilnehmen – die Programme lernen mit jeder Anfrage dazu.
Zerlegen hat also keinen Sinn – jedenfalls nicht im Kerngeschäft. Vielleicht allerdings könnte die amerikanische, europäische oder bundesdeutsche Kartellaufsicht die Konzerne zwingen, Tochterfirmen abzuspalten, die das Monopol vergrößern. Bei Facebook wären das die Messenger-Dienste Whatsapp und Instagramm, bei Google die Video-Plattform YouTube. Bisher jedoch drückten die Behörden beide Augen zu. Ob sich das ändert, steht in den Sternen.
Eine andere Variante probiert gerade das Bundeskartellamt. Nach der jüngsten Reform des Gesetzes gegen Wettbewerbsbeschränkungen werfen die Bonner Aufseher Facebook vor, zu viele Daten zu sammeln. Um Profile der Nutzer zu erstellen, sauge der Konzern auch Informationen aus „Drittquellen“ ab – Webseiten, von denen niemand wisse, dass Facebook sie auswerte. Was bei der amtlichen Attacke auf das soziale Netzwerk herauskommt, ist unklar. Das Verfahren hat gerade erst begonnen. Eine denkbare Variante: Facebook muss künftig die Zustimmung der Internet-Nutzer einholen, wenn die Firma externe Daten verwenden will. Das könnte den Ausbau des Monopols verlangsamen und die Wettbewerbschance von Konkurrenten verbessern.
In die gleiche Richtung wirkt vielleicht eine Gesetzesänderung, die ab kommenden Mai in Kraft tritt. „Die Datenschutz-Grundverordnung der EU ermöglicht es Facebook-Nutzern grundsätzlich, mit all ihren Daten zu einem anderen Anbieter umzuziehen“, erklärt Kartelljurist Zimmer. Man muss sich das vorstellen wie beim Wechsel des Telekom- oder Stromanbieters. Diese Unternehmen sind bereits verpflichtet, Kunden zur Konkurrenz ziehen zu lassen, falls sie es wünschen. Künftig kann man also auch mit seinem Facebook-Konto sowie allen dort gespeicherten und veröffentlichten Inhalten zu Firma XY gehen.
„Eine Frage ist dann allerdings“, gibt Zimmer zu bedenken, „ziehen die Freunde mit um?“ Denn wenn der ganze Facebook-Freundeskreis keine Lust auf Umzug hat, werden auch die wechselwilligen Nutzer dem Monopol die Treue halten. Aber das wird sich zeigen. Vermutlich verschafft die neue Regelung kleinen Firmen zumindest eine Chance. Vielleicht gibt es irgendwann nicht nur ein einziges weltweites Telefonbuch wie heute, sondern zusätzlich eine europäische Variante.