Die den Großen das Geschäft wegnehmen
Mit Hilfe eines Volksbegehrens wollen Bürger das Berliner Stromnetz dem Vattenfall-Konzern abkaufen
07. Jun. 2013 –
Michael Sladek ist im Zentrum angekommen. Und damit auch ein wirtschaftlicher und gesellschaftlicher Machtkampf. Mit der Genossenschaft BürgerEnergie Berlin will der graubärtige Unternehmer aus dem Schwarzwald das Berliner Stromnetz übernehmen. Der jetzige Eigentümer, der Energiekonzern Vattenfall, ist nicht erfreut, der Berliner Senat ebensowenig.
Grundsätzlich ist die Energiewende in Deutschland offizielle Politik. Wer aber wird künftig von ihr profitieren, wer die Gewinne machen? Die großen, alten Unternehmen verteidigen ihren Marktanteil gegen neue Firmen, Genossenschaften, Bürger und Kommunen. Ein wichtiges Datum in dieser Auseinandersetzung ist der kommende Montag (10.6.). Dann wird sich entscheiden, ob das Berliner Volksbegehren zur Übernahme des Stromnetzes durch die Hauptstadt Erfolg hat.
Mitten drin in diesem Kampf steckt Michael Sladek. Der korpulente Arzt aus dem Örtchen Schönau unweit der Schweizer Grenze ist einer der erfolgreichsten Protagonisten der alternativen Energiepolitik in Deutschland. Nach der Atomkatastrophe von Tschernobyl 1986 marschierten seine Frau Ursula und er los. Seitdem haben sie die Elektrizitätswerke Schönau gegründet, die mittlerweile fast 150.000 Haushalte bundesweit mit Ökostrom beliefern, sich an der Stromversorgung der Schwarzwaldstadt Titisee beteiligt und Anteile am Stromvertrieb der baden-württembergischen Landeshauptstadt Stuttgart übernommen.
Sladek (Jg. 1946) ist eine echte Gefahr für Unternehmen wie Vattenfall, die die Deutschen bislang vor allem aus zentralen Kohle- und Atomkraftwerken mit Elektrizität versorgen. „Wir nehmen den Großen einen Teil des Geschäfts weg“, sagt Sladek. Jede Kilowattstunde Strom, die Ökoenergiefirmen und Bürgergenossenschaften produzieren oder verkaufen, ist eine Kilowattstunde weniger auf der Einnahmerechnung der alten Unternehmen.
Die nächste Etappe dieses Kampfes, in dem es um Milliarden Euro geht, wird nun um das Stromnetz der Hauptstadt geführt. Wahrscheinlich werden die Organisatoren des Volksbegehrens am Montag die nötigen 173.000 Unterschriften aus der Bevölkerung beim Berliner Senat abgeben können. Dann kommen zwei Möglichkeiten in Betracht: Entweder folgt die Landsregierung dem Gesetzentwurf des Volksbegehrens, gründet eine stadteigene Stromfirma und kauft Vattenfall die Berliner Stromleitungen ab. Falls nicht, wollen die Umweltverbände und Bürgerinitiativen mit einem Volksentscheid am Tage der Bundestagswahl genau das erzwingen.
So oder so spielt Michael Sladek, Aufsichtsrat der BürgerEnergie-Genossenschaft, eine zentrale Rolle. Er und seine Mitstreiter, darunter auch die alternative GLS-Bank aus Nordrhein-Westfalen, wollen die Leitungen nicht alleine betreiben, sondern zusammen mit der neuen städtischen Stromfirma. Deshalb bewirbt sich die Genossenschaft um die entsprechende Konzession, die der Berliner Senat 2015 neu vergeben muss. Die Luft für Vattenfall wird dünner.
Aber ist es nicht vermessen von den Ökounternehmern aus dem Schwarzwald und ihren wohlmeinenden Sonnenenergie-Freunden aus Berlin-Kreuzberg, dass sie sich einbilden, die Stromversorgung einer 3,3-Millionen-Einwohner-Stadt bewerkstelligen zu können? Werden sie sich wirtschaftlich nicht gnadenlos übernehmen? Schließlich will Vattenfall mindestens 400 Millionen Euro sehen, wenn der Konzern das Berliner Netz verkaufen sollte – wahrscheinlich mehr. Sladeks Genossenschaft müsste Eigenkapital in einer Größenordnung von 200 Millionen Euro aufbringen. Bisher haben die Bürger nach eigenen Angaben 5,4 Millionen eingesammelt – lächerlich wenig, könnte man sagen.
Aber Michael Sladek bereitet dieses Missverhältnis keine Sorge, zumindest nicht offiziell. Eine Summe von bis zu 50 Millionen Euro könnten die Elektrizitätswerke Schönau von privaten Kapitalanlegern „ohne Probleme“ beschaffen. Zudem gebe es die Möglichkeit, dass die GLS-Bank einen Fonds auflege. „Dann geht das schnell. Wir scheitern nicht an der Finanzierung“, sagt Sladek. Potenzielle Bürger-Investoren hätten großes Interesse, weil es sich bei einem Stromnetz ja nicht um Spekulation, sondern um ein „sinnvolles Investment“ mit stabilen Gewinnaussichten handele.
Ob das alles klappt, steht trotzdem in den Sternen. Der Berliner Senat ist skeptisch, vor allem die CDU. Oberbürgermeister Klaus Wowereit (SPD) und seine Regierung könnten den Verkauf des Netzes verhindern. Auch die Bundesnetzagentur betrachtet mit gewissem Argwohn den breiter werdenden Trend, dass Städte und Bürger die Stromversorgung in eigene Hände nehmen. Die Bundesbehörde, die dem Bundeswirtschaftsministerium untersteht, achtet unter anderem darauf, dass Experimente die Versorgungssicherheit der Bevölkerung nicht gefährden. Und nicht zuletzt der Chef des Bundeskartellamtes, Andreas Mundt, hat sich unlängst kritisch geäußert. Bei Netzen in kommunaler Hand bestehe ein „sehr hohes Missbrauchspotenzial“. Die städtischen Firmen würden den Privathaushalten mitunter deutlich mehr Geld abknöpfen, als gerechtfertigt.
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Strom der Städte
Während in den 1980er und 1990er viele Städte ihre Stromversorgung verkauften, unter anderem um die Haushalte aufzubessern, gibt es nun einen gewissen Trend in umgekehrte Richtung. Zwischen 2007 und Mitte 2012 seien 60 neue kommunale Energiefirmen gegründet worden, sagt der Deutsche Städte- und Gemeindebund. Außerdem hätten die Städte über 170 Netzkonzessionen mittels kommunaler Unternehmen zurückgeholt (von etwa 5.400 ausgelaufenen Verträgen). Während 2010 neun Prozent der Stadtwerke in Deutschland ihren eigenen Strom herstellten, produzierten jetzt 12 Prozent selbst Elektrizität. Aktuelle Versuche zur Rekommunalisierung des Stromnetzes oder zur Übernahme durch eine Genossenschaft laufen auch in Hamburg und Oldenburg.