„Die Diskussion in Deutschland ist eindimensional “

Wirtschaftsweiser Peter Bofinger lehnt Steuersenkungen ab

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Von Hannes Koch

09. Jun. 2008 –

Hannes Koch: Sie sind Wirtschaftsweiser. Sagen Sie: Geht es uns wirtschaftlich zur Zeit gut, mittel oder schlecht?

Peter Bofinger: Es geht den Deutschen sicher insgesamt besser als noch vor ein paar Jahren. Sehr viele Menschen haben wieder Arbeit. Das ist gut, aber es müsste sich auch in realen Einkommenszuwächsen für die breite Masse niedergeschlagen. Der private Verbrauch liegt heute nur knapp zwei Prozent höher als im Jahr 2000. Stellen Sie sich das mal vor: In den letzten acht Jahren sind die effektiv gezahlten Löhne real um rund 5 Prozent gesunken.

Koch: Die Früchte des Aufschwungs in Deutschland werden nicht gerecht verteilt?

Bofinger: Eindeutig nein.

Koch: Was sollte die Bundesregierung tun, um das zu ändern – die Steuern senken, wie es die CSU und Teile der Union verlangen?

Bofinger: Das ist die falsche Rollenverteilung. Die Kaufkraft zu steigern, ist vornehmlich eine Aufgabe der Unternehmen. Die Bundesregierung müsste die Firmen auffordern: „Zahlt einfach mal ordentliche Löhne!“

Koch: Was soll dieser Appell nützen?

Bofinger: Er würde die politische Stimmung verschieben. Mittelfristig hat so eine Ansage in jedem Fall eine Wirkung.

Koch: Warum soll die Regierung auf die Firmen warten, wenn sie auch selbst etwas tun und die Steuerlast reduzieren kann?

Bofinger: Die ganze finanzpolitische Debatte ist schrecklich eindimensional. Eigentlich müssten wir drei Ziele in Einklang bringen. Erstens darf die Abgabenbelastung für die Bevölkerung nicht zu hoch sein, zweitens sollte die öffentliche Verschuldung überschaubar bleiben und drittens müssten wir auch unsere Zukunftsaufgaben anpacken.

Koch: Wo würden Sie investieren, wenn Sie in der Regierung säßen?

Bofinger: Die Autobahnen sind in einem erbärmlichen Zustand, vielerorts ist das Schienennetz verrottet. Kein Wunder, seit Jahren geben wir viel zu wenig Geld für die öffentliche Infrastruktur aus. Das gilt auch für den Bildungsbereich. Die entscheidende Frage, die man den Bürgern stellen muss, ist doch: Wollt Ihr 30 Euro mehr im Monat auf dem Konto oder wollt ihr weniger Staus auf der Autobahn und gute Kindergärten, Schulen und Universitäten?

Koch: Klingt ein bisschen akademisch. Ist es realistisch, die drei Ziele gleichzeitig zu erreichen?

Bofinger: Nicht, wenn man, um die nächste Wahl zu gewinnen, den Leuten dauernd erzählt, sie würden vom Staat ausgebeutet. Was ich erschreckend finde: Wir haben 2007 und 2008 den Beitrag zur Arbeitslosenversicherung um 3,2 Punkte gesenkt. Das alleine ist eine Reduzierung um 25 Milliarden Euro, die Hälfte ging an die Unternehmen. Hinzu kommt die Reform der Unternehmensteuer mit einer weiteren Entlastung von 5 Milliarden. Und jetzt soll schon die nächste Runde der Steuersenkung anstehen, wo ist das Ende? Wenn der Staat aufhört zu existieren?

Koch: Mittelstand und Mittelschicht haben also keinen Anlass, sich zu beschweren?

Bofinger: Natürlich ist es ein Problem, dass man ab 4.300 Euro Monatseinkommen schon den höchsten Steuersatz bezahlt. Aber viel gravierender finde ich die Belastung der Leute, die ganz niedrige Löhne verdienen. Im Vergleich zu anderen OECD-Ländern zahlen die Beschäftigten in den unteren Lohngruppen bei uns besonders viel. Wenn man sich eine weitere Senkung der Steuern oder Sozialbeiträge leisten will, dann dort.

Koch: In Ihrem Dreiklang fehlt jetzt noch der Schuldenabbau. Was halten Sie vom Ziel der großen Koalition, den Bundeshaushalt bis 2011 auszugleichen und dann ohne neue Kredite auszukommen - ist jetzt der richtige Zeitpunkt dafür?

Bofinger: Da ist sie wieder, diese Eindimensionalität. Die Regierung hält sich krampfhaft an diesem Ziel fest. Sie könnte auch mal kreativ sein. Was spricht gegen ein geringes Defizit von einem Prozent des Bundeshaushaltes, wenn man die 23 Milliarden Euro, die damit zur Verfügung stünden, vernünftig investierte – in die Zukunft unserer Kinder, in die beste Bildung, die wir ihnen geben können?

Koch: Wir erleben einen Aufschwung, die nächste Krise kommt bestimmt. Wann, wenn nicht jetzt, soll man aufhören, Schulden zu machen?

Bofinger: In diese Richtung zu arbeiten, ist mittelfristig richtig. Aber nicht mit Scheuklappen.

 

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