Die Entmachtung des Bundestages
Ein Ausschuss des Parlaments soll die Bankenrettung überwachen. Den Abgeordneten fehlen dazu jedoch die Informationen
19. Mär. 2009 –
Jochen-Konrad Fromme ist ein besonnener Mann. Der CDU-Bundestagsabgeordnete aus dem ländlichen Wolfenbüttel neigt nicht zu wütender Rede. In diesem Falle aber sagt der Niedersachse: „Das erzürnt mich“. Der Grund für Frommes Ärger: Er fühlt sich in seinen Rechten als Parlamentarier eingeschränkt.
Fromme arbeitet in dem Ausschuss des Bundestages, der die Rettung der Banken angesichts der Finanzkrise verhandelt. Dort präsentierte das Bundesfinanzministerium vor kurzem einen Bericht der Bundesanstalt für Finanzdienstleistungsaufsicht (BaFin), in dem diese über die verlustreichen Geschäfte der angeschlagenen Bank Hypo Real Estate in Irland informierte. Monatelang hatte das Ministerium den Bericht unter Verschluss gehalten, nun bekamen ihn die Volksvertreter endlich zu sehen.
Doch dann die Enttäuschung: Zahlreiche Stellen waren geschwärzt. Und zwar so viele, dass Fromme empört erklärte: „Diesen Lückentext akzeptiere ich nicht“. Er lehnte es ab, sich mit dem Gutachten weiter zu beschäftigen: „Man hält uns eine halbe Wurst hin“. Ein Bild über die Geschäfte der HRE und ihrer irischen Tochter zu gewinnen, war dem Abgeordneten so nicht möglich.
Es sind außergewöhnliche Vorgänge, die sich in dem Ausschuss des Bundestages abspielen, der offiziell „Finanzmarktgremium“ heißt. Seit einem halben Jahr soll es die Verwendung der 480 Milliarden Euro überwachen, mit denen der Sonderfonds Finanzmarktstabilisierung (Soffin) die angeschlagenen Banken unterstützt. Allerdings kann von einer Überwachung durch das Parlament kaum eine Rede sein, da die Abgeordneten nicht erfahren, um was es eigentlich geht. „Eine übersteigerte Geheimhaltung“ des Finanzministeriums kritisiert CDU-Politiker Fromme.
Die beschnittenen Möglichkeiten der Abgeordneten stehen in merkwürdigem Gegensatz zum Verfassungsauftrag des Bundestages. Das Haushaltsrecht, die Beschlussfassung über den Bundeshaushalt, ist eines der wichtigsten Instrumente des Parlamentes. Im Falle der Bankenrettung ist dieses Recht jedoch nahezu aus Kraft gesetzt. Es geht um 480 Milliarden Euro, einer Summe der anderthalbfachen Größenordnung des Bundeshaushaltes – und trotzdem fehlen den Abgeordneten die notwendigsten Informationen.
Der geschwärzte Bericht über die Hypo Real Estate, die bislang 87 Milliarden Euro aus öffentlichen Kassen als Unterstützung zugesprochen bekam, ist nur ein Beispiel. Ein anderes Beispiel betrifft die VW-Bank: Das Institut wird zwei Milliarden Euro vom Soffin bekommen. Das mag berechtigt sein, oder auch nicht – die Abgeordneten wissen es nicht. „Wir haben keine stichhaltige Begründung erhalten“, sagt Alexander Bonde, der die Grünen im Gremium vertritt. Macht die VW-Bank Verluste, hat sie sich mit risikoreichen Papieren verspekuliert, leidet sie bloß unter der mangelnden Nachfrage der Autokäufer – wer weiß das schon? Geld fließt trotzdem.
Die Finanzkrise hat dazu beigetragen, dass die parlamentarische Kontrolle der Exekutive an einer entscheidenden Stelle ausgehebelt wurde. Dafür sind auch die Abgeordneten verantwortlich, die sich jetzt beschweren. Die Fraktionen von CDU,CSU und SPD stimmten dem Entwurf auf Vorschlag der Bundesregierung im Oktober zu. „Das Parlament hat sich selbst entmündigt“, sagt Roland Claus (Linke), der mit seiner Fraktion, den Grünen und der FDP gegen das Gesetz votierte. Festgelegt ist darin, dass der Ausschuss geheim tagt, damit vertrauliche Informationen über die antragstellenden Banken nicht zur Konkurrenz geraten und durch Katastrophen-Botschaften die Finanzkrise nicht weiter angeheizt wird. Auch war immer klar, dass der Ausschuss nicht über die Milliardenhilfen entscheiden darf – das macht ausschließlich die Soffin in Zusammenarbeit mit dem Bundesfinanzministerium. Die Abgeordneten sollten nur informiert werden.
Doch selbst diese Information funktioniert nicht. „Einmal wurde ein Glossar, ein lexikonartiges Schlagwortverzeichnis, als geheim eingestuft“, berichtet Fromme amüsiert. Dieses nichtssagende, in den Augen des Ministeriums aber offenbar ungeheuer wichtige Schriftstück, lag dann in der Geheimschutzstelle des Bundestages. Das ist ein abgeschlossener Gebäudeflügel mit Klingel und Kamera-Überwachung im siebten Stockwerk des Bundestagsgebäudes, zu dem nur die sicherheitsüberprüften Abgeordneten und ihre Mitarbeiter Zugang haben. Auf diese Art sollten ein Tresor, sowie striktes Notiz- und Kopierverbot schon während des Kalten Krieges verhindern, dass militärische Geheimnisse an die Sowjetunion verraten werden.
Beim Bundesfinanzministerium will man nicht verstehen, warum sich manche Abgeordnete so aufregen. „Wir weisen die Pauschalvorwürfe zurück“, sagt Jeanette Schwamberger, Sprecherin von Finanzminister Peer Steinbrück (SPD), „wir halten keine Informationen zurück“. Man bemühe sich um „so viel Transparenz wie nötig“, so Schwamberger. Schwärzungen des Berichts über die HRE beträfen ausschließlich „sensible Daten, die für Dritte nicht einsehbar sein dürfen“.
Jochen-Konrad Fromme mag dieses Argument nicht gelten lassen. Textstellen, Zahlen und Namen unkenntlich zu machen, sei unötig. Auch wenn sie ihnen bekannt seien, dürften Abgeordnete diese Informationen wegen der Pflicht zur Geheimhaltung nicht preisgeben, so Fromme.
Die SPD unterstützt dagegen die Position des Ministeriums – als einzige Partei im Ausschuss. Während die fünf Abgeordneten der Union, FDP, Linken und Grünen die mangelnde Kooperation der Exekutive kritisieren, halten sich die drei Sozialdemokraten zurück. Sie lassen durchblicken, dass vor allem die Union eigentlich kein Problem mit der Geheimhaltung, sondern der neuen Macht von SPD-Finanzminister Steinbrück und seiner staatsinterventionistischen Wirtschaftspolitik habe. „Im Soffin-Gremium werden die Fragen der Abgeordneten ausreichend beantwortet“, erklärt Hans-Ulrich Krüger, finanzpolitischer Sprecher der SPD.
Dies muss sich noch erweisen – etwa bei den schmerzhaften Entscheidungen, die demnächst anstehen. Es geht auch darum, wieviele faule Wertpapiere die Hypo Real Estate in eine „schlechte Bank“ auslagern darf, die der Staat garantiert. Sollte dies rund 60 Prozent der HRE-Bilanzsumme oder 240 Milliarden Euro betreffen, dürften die Verluste für den Staat die bislang geplanten Größenordnungen um einiges übersteigen. Das wäre eine Information, die die Abgeordneten brennend interessieren dürfte.