Die ewige Arbeit

Firmenportrait Herrenknecht: Der alte Mann und der Stein: Martin Herrenknecht ist der wichtigste Tunnelbauer der Welt

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Von Hannes Koch

31. Jul. 2009 –

Bäume fällen, nach Erz graben, den Acker pflügen. Menschliche Arbeit im ursprünglichen Sinne ist harter und schmutziger Kampf mit der Natur. Brechen, Biegen, Formen von Materie, um schwitzend und ächtzend Häuser und Boote zu bauen, Werkzeuge zu schmieden und Getreide wachsen zu lassen. Von diesen elementaren Tätigkeiten scheint unser modernes Leben in Büros, Flugzeugen und Clubs Jahrmillionen entfernt. Dass das brutale Ringen mit Berg und Stein trotzdem die Basis von sehr vielem ist, weiß Martin Herrenknecht.


Der 66jährige Unternehmer mit dem weissgrauen Haarkranz und der breiten, gedrungenen Statur baut gigantische Bohrmaschinen. Aus den Werkhallen im Ort Schwanau in der südwestdeutschen Rheinebene stammen die Kolosse, die den Straßentunnel unter der Elbe in Hamburg, Verkehrsröhren in Kuala Lumpur und Metro-Schächte in Shanghai erschlossen haben. Seit 2002 fressen sich Herrenknecht-Maschinen durch das Gotthard-Massiv der Schweizer Alpen. Insgesamt 57 Kilometer Fels – das meiste ist bereits geschafft.


„Weicheier kannst Du da nicht ranlassen“, sagt Herrenknecht. „Weicheier“ - dieses Wort benutzt der Chef gerne und oft. Es ist eine Botschaft: Herrenknecht kommt überall durch. „Es ist faszinierend, Maschinen zu bauen, die jede Widrigkeit überwinden“, sagt der Mann mit den hellen, schmalen Augen. Früher, als Tunnel noch vornehmlich mit Sprengstoff, Spitzhacke und Presslufthammer gebaut wurden, rechnete man mit jeweils einem Toten pro gegrabenem Kilometer. Dynamit, Steinschlag, Unfälle aller Art. Aber auch heute ist die Arbeit tief unter der Erde gefährlich. „Jeden Tag kann etwas passieren“, so Herrenknecht. Zu den Arbeitern, die dort unten schuften, fühlt er sich hingezogen: „Das sind zupackende, ehrliche Typen. Auf die kannst du dich verlassen“.


Der größte Bohrer, den Herrenknecht bisher baute, hat einen Durchmesser von mehr als 15 Metern. Das entspricht der Höhe eines Wohnhauses mit vier Stockwerken. Dieses Ungetüm rotiert. Vorne sitzt eine riesige Platte, „Schild“ genannt. Sie ist bewehrt mit stählernen Zähnen und Klauen. In die Zwischenräume haben die Herrenknecht-Monteure eine Art Panzerung geschweißt, damit der Schild unter dem Druck nicht zerbricht. Das Ganze sieht aus wie die fürchterliche Waffe einer außerirdischen Art, die gekommen ist, um die Erde zu vernichten. Dieses Monster frisst sich in den Berg. Kein Stein hält ihm stand.


In der Fachsprache der Ingenieure heißen diese Giganten „Tunnelvortriebsmaschinen“. Es gibt sie in unterschiedlichen Größen. „Über die kleinen schreibt niemand“, sagt Achim Kühn, der Pressesprecher des Unternehmens. Sie bohren Tunnel für Gas-, Wasser-, Elektro- und Kommunikationsleitungen – oft ferngesteuert und unspektakulär. Die großen Apparate dagegen schaffen Röhren, die Platz bieten für zwei nebeneinanderliegende U-Bahn-Gleise, Trassen für Hochgeschwindigkeitszüge und Autobahnen.


Das bislang komplizierteste Vorhaben ist die Bohrung durch die Bergkette des Gotthard. An manchen Stellen drücken 500 Meter hohe Berge auf Bohrmaschine und Tunnel. Eine 440 Meter lange Fabrik auf Stelzen und Schienen drängt sich durch den Fels. Vorn zermalmt der rotierende Bohrkopf Granit und Gneis zu handgroßen Brocken, direkt dahinter sichert die Maschine die rohe Tunnelwand mit Stahlankern, bringt Metallmatten und Verstrebungen an, spritzt Beton. Ist der Koloss vorgerückt, liegt hinter ihm der grob ausgebaute Tunnel, in den die Bahn- oder Straßentechniker alles Weitere einfügen können.


2017 soll die „neue Eisenbahn-Alpentransversale“ eröffnet werden. Sie wird nicht nur die Fahrtzeit zwischen Zürich im Norden und Bellinzona im Süden von 2,5 Stunden auf etwas mehr als 1,5 verkürzen, sondern soll die Schweiz auch teilweise auch vor den stinkenden Container-Lastern bewahren, die sich heute in nicht abreißender Kolonne durch die Dörfer quälen.


Herrenknechts Apparate kosten Dutzende Millionen Euro. Zur Zeit hofft die Firma, deren Anteile sich komplett im Besitz der Familie befinden, auf einen Auftrag aus Russland im Wert von 70 bis 100 Millionen Euro. Um Moskau herum soll der vierte Autobahnring gegraben werden. Das Unternehmen, dass 2.500 Leute beschäftigt, bezeichnet sich als Weltmarktführer. 2008 stieg der Umsatz auf rund eine Milliarde Euro. Dabei scheint sich die Angst des Inhabers vor der Finanzkrise in Grenzen zu halten. Zwar werde es augenblicklich schwerer, neue Aufträge zu aquirieren, sagt Herrenknecht. Zu Stornierungen von laufenden Projekten sei es bisher aber nicht gekommen.


Eigentlich lebt Martin Herrenknecht für seine Firma. Doch irgendwann merkte er: Immer nur Steine klopfen, ist auch langweilig. Das Unternehmen wurde ihm zu eng. In seinem Kopf setzte sich eine Idee fest: Von der Bearbeitung der Materie wollte er aufsteigen in höhere Sphären. In der CDU von Bundeskanzlerin Angela Merkel versuchte er, einen Wahlkreis für den Bundestag zu erobern.


Herrenknecht meint, dass einiges schiefläuft in Deutschland. Ihn stört die „Technikfeindlichkeit der 1968er“, der politischen Generation des ehemaligen grünen Außenministers Joschka Fischer. Dass der Magnetzug „Transrapid“, das Ergebnis deutscher Ingenieurskunst, im eigenen Land nicht fahren darf, sondern nur in China, frustriert Herrenknecht, den studierten Maschinenbauer, zutiefst.


Im Bundesparlament hätte er sich dafür eingesetzt, die Forscher zu unterstützen, die Ingenieure, die Erfinder und ihre Firmen. Er meint, dass Deutschland mehr in seine Jugend investieren müsse, mehr Geld ausgeben solle für bessere Schulen und Universitäten. Herrenknecht geht selbst mit gutem Beispiel voran, fördert eine Schule seiner Heimatstadt mit regelmäßigen Beträgen und finanziert Lehrstühle an Universitäten.


Mit der Politik aber hat es nicht geklappt. Selbst Lothar Späth, ehemaliger Ministerpräsident von Baden-Württemberg und Aufsichtsrat der Tunnelfirma, schätzt Martin Herrenknecht zwar als Unternehmer, aber nicht als Politiker. „Ich werde alles dafür tun, dass Du nicht in den Bundestag einziehst“, soll Späth Herrenknecht einst klargemacht haben. So ging Herrenknecht in der Parteiversammlung leer aus, die Mehrheit blieb ihm versagt.


Zurück von der Reise in die Politik, wird Herrenknecht seine Firma wie gewohnt größer machen und sie schließlich an seinen Sohn Martin-Devid weitergeben. An harter Arbeit herrscht grundsätzlich kein Mangel. Solange die Weltbevölkerung wächst und immer mehr Menschen in Städten leben, wird der Bedarf zunehmen, in den Untergrund auszuweichen.

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