Die Familienpolitik folgt dem Prinzip Gießkanne

Serie "Familie und Wirtschaft" Teil 3

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Von Wolfgang Mulke

20. Dez. 2012 –

Eine große Kinderzahl oder alleine erziehen sind Lebensumstände, die ein weit überdurchschnittliches Armutsrisiko mit sich bringen. Das legt den Verdacht nahe, dass der Staat zu wenig für Familien tut. Doch die Realität sieht ganz anders aus. Kaum ein Staat gibt im Jahr so viel Geld für die Familienförderung aus wie Deutschland. „Mit Familienleistungen von 5.100 Euro pro Jahr je Kind liegt Deutschland weltweit auf dem vierten Platz“, sagt der frühere Vorsitzende der Wirtschaftsweisen, Wolfgang Wiegard. 152 familienpolitische Maßnahmen kosten jährlich 123 Milliarden Euro. Zugleich ist aber auch kaum ein Staat so erfolglos bei dem Versuch, die Geburtenrate anzuheben. Sie verharrt bei einem Wert von weniger als 1,4 Kinder pro Frau.

 

Die große Zahl an Hilfen erstaunt den Laien. Was verbirgt sich dahinter? Der größte Posten ist das Kindergeld mit fast 39 Milliarden Euro. Die Aufstellung des Bundesfamilienministeriums listet etliche Posten auf, die kaum jemand bedenkt. Die Palette reicht von der beitragsfreien Mitversicherung der Familienmitglieder in der gesetzlichen Krankenkasse über Rentenleistungen für die Kindererziehung bis Wohnraum- oder Bildungsförderung. Sie enthält aber auch dicke Brocken, die nicht zwangsläufig mit der Kindererziehung zu tun haben wie das 20 Milliarden Euro teure Ehegattensplitting, von dem auch Paare ohne Kinder profitieren.

 

„Mit weniger Steuergeld lässt sich mehr erreichen“, ist Volkswirt Wiegard überzeugt. Er kritisiert widersprüchliche Instrumente wie das Betreuungsgeld bei gleichzeitigem Ausbau der Betreuungsplätze für Kleinkinder. Auf der einen Seite gibt der Staat viel Geld aus, damit alle Kleinkinder mit Kita-Plätzen versorgt werden können. Auf der anderen Seite spendieren die Steuerzahler bald  all jenen ein Betreuungsgeld, die ihre Kinder zuhause erziehen. „Es ist kontraproduktiv und reine Geldverschwendung“, kritisiert der Professor. Auch das Müttern und Väter bis zu 14 Monate lang gewährte Elterngeld ist im Sinne der Geburtenförderung zwiespältig. Einerseits erleichtert es jungen Menschen die Entscheidung für Kinder. Da sich die Höhe der Zahlung aber am letzten Einkommen orientiert, schieben Paare den Zeitpunkt der Geburt des ersten Kindes möglichst hinaus, bis sie gut verdienen. Dadurch bleibt weniger Zeit für weitere Kinder.

 

Dabei sind sich die meisten Experten über das Erfolgsrezept für mehr Familien in der Gesellschaft einig. Ein Blick nach Frankreich zeigt, wie es gehen kann. Während Deutschland vor allem auf  Verteilung setzt, also direkt Hilfen für Eltern und Kinder, schaffen die Franzosen auf eine gute Betreuungsinfrastruktur und eine hohe Erwerbsbeteiligung von Frauen. Dazu fördert Frankreich Familien mit mehreren Kindern stärker als Paare mit nur einem Kind.

 

„Die deutsche Familienpolitik ist stark fragmentiert und wenig koordiniert“, beobachtet Wiegard. Zuständig sind mal der Bund, mal die Länder oder die Kommunen. Allein auf Bundesebene liegt die Zuständigkeit für familienpolitische Leistungen bei acht Ministerien. Der Experte sieht Chancen dafür, das vorhandene Geld viel effizienter auszugeben, wenn statt auf Geldleistungen mehr auf den Ausbau der Infrastruktur für Familien gesetzt wird.

 

Eine Gelegenheit zum Umdenken könnte es bald geben. Im kommenden Jahr werden die führenden Forschungsinstitute eine Untersuchung aller familienpolitischen Leistungen auf ihre Wirksamkeit hin abschließen. Danach könnte der Instrumentenkasten neu bestückt werden. Ob der politische Wille dazu reicht, zweifelt Wiegard jedoch an: „Da steht schon die Befürchtung im Raum, dass wissenschaftliche Ergebnisse weniger zählen als tradierte parteipolitische Glaubenssätze.“

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