Die Grundlage der nächsten Krise

Beim diesjährigen Weltwirtschaftsforum in Davos fragt die globale Unternehmens- und Politikelite, ob sich schon wieder eine neue Blase an den Finanzmärkten bildet, und was dagegen zu tun ist

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Von Hannes Koch

26. Jan. 2010 –

Seit US-Ökonom Nouriel Roubini die Finanzkrise relativ genau vorhergesagt hat, ist er ein gefragter Experte. Die 80 Mitarbeiter seines privaten Forschungsinstitut beliefern die Welt täglich mit ökonomischen Nachrichten. Nicht selten ist ein Knaller darunter, der tage- oder wochenlange Debatten auslöst. Das heiße Thema in diesen Tagen ist das „heiße Geld“. Gefährliches Spekulationskapital in Höhe von 60 Milliarden Dollar sei alleine im 2. Quartal 2009 nach China geflossen. Solche konkreten Zahlen sind sonst Mangelware. Roubinis Warnung: „Eines Tages wird die neue Spekulationsblase platzen und die größte koordinierte Kapitalentwertung aller Zeiten auslösen“.


Obwohl diese Ansage martialisch und übertrieben formuliert ist, trifft sie den Nerv der augenblicklichen Debatte – auch beim Weltwirtschaftsforum (WEF) in Davos. Wenn sich Tausende Manager sowie Dutzende Regierungs- und Staatschefs ab kommenden Mittwoch (27.1.) zum alljährlichen Spitzentreffen der Wirtschafts- und Politikelite versammeln, gibt es im Kongresszentrum des Schweizer Skiorts Davos jede Menge Veranstaltungen zur Krise. Schon der Titel des WEF 2010 „Rethink, Redesign, Rebuild“ zeigt, dass die Erschütterungen der vergangenen zwei Jahre in vielen Vorstandsetagen das Bedürfnis ausgelöst haben, die ökonomische Weltordnung zu überdenken und neue Antworten zu suchen. Richard Samans, einer der Mitorganisatoren des WEF, bringt es auf diesen Punkt: „Wir stellen einen Wandel im Denken fest. Viele meinen, wir seien mit den wirtschaftlichen und politischen Risiken zu selbstgefällig umgegangen“.


So erscheint es folgerichtig, dass man in Davos nicht nur über den zurückliegenden Zusammenbruch an den Finanzmärkten spricht. „Die nächste globale Krise“, heißt beispielsweise ein Workshop, an dem Harvard-Ökonom Kenneth Rogoff teilnimmt. „Die globalen Ungleichgewichte nehmen wieder zu“, sagt Rogoff, „und es wird zu wenig dagegen getan“. Rogoff treiben ähnliche, wenn auch nicht so dramatische Sorgen wie Roubini, der die Auftaktdiskussion des WEF am Mittwoch Vormittag bestreitet.


„Ungleichgewicht“: Dieses Ökonomen-Wort klingt harmlos, beschreibt aber eine hochgefährliche Entwicklung. Aktuell verstehen Wirtschaftsforscher darunter diesen Mechanismus: Die USA betreiben eine Politik des billigen Geldes, um die Banken zu retten und die Wirtschaft vor dem Absturz zu bewahren. Die Verschuldung des Staates ist gigantisch, die Zinsen liegen nahe Null. Diesen Umstand nutzen viele Investoren aus, indem sie Dollar etwa gegen chinesische Remimbi tauschen. Weil die Zinsen in China viel höher sind, verspricht der „Carry Trade“, die Milliarden-Verlagerung von Niedrigzins- in Hochzinsländer, schöne Gewinne. Problematisch daran ist, dass sich die schnellen Kapitalimporte ebenso schnell in Kapitalexporte verwandeln können, die eine Finanzwüste hinterlassen.


„Carry Trade ist eine üble Erscheinung“, sagt Ökonomie-Professor Peter Bofinger, der als Sachverständiger auch die Bundesregierung berät. „Schon jetzt bildet sich in China eine Immobilienblase“. Trotz der dortigen Beschränkungen für Kapitalimporte treibt das große Geldangebot die Preise für Grundstücke und Hochhäuser hoch. Die Gefahr: Wenn der Dollar doch wieder an Wert gewinnen oder die USA die Zinsen erhöhen sollten, könnten die Investoren schnell die Lust am chinesischen Immobilienmarkt verlieren, ihr Geld abziehen und so einen ähnlichen Weltfinanzcrash auslösen wie während der Asienkrise 1997.


In diesem Zusammenhang spielen Roubinis Warnungen vor dem „Carry Trade“ und seinen möglichen katastrophalen Folgen eine große Rolle. Mancher mag sie für überzogen halten, doch selbst beim Bundesamt für Finanzdienstleistungaufsicht (BaFin) heißt es: „Roubinis Befürchtungen klingen plausibel“. Denn nicht nur China verzeichnet einen starken Zustrom heißen Geldes. Dieses Phänomen registrieren unter anderem auch Indien, Südkorea, Indonesien, Taiwan und Brasilien. Ein in Hong Kong arbeitender Ökonom der Bank Credit Suisse bezifferte die Summe zinsgetriebener, hochspekulativer Investitionen unlängst auf 1,4 bis zwei Billionen Dollar (1.400 bis 2.000 Milliarden) weltweit.


Die Frage lautet nun: Was könnte man gegen das Aufblähen der neuen Blase unternehmen? Übereinstimmend sagen viele Ökonomen, dass die Regierungen der mächtigsten Wirtschaftsnationen (G20-Gruppe) und der internationale Währungsfonds (IWF) das Problem der Ungleichgewichte zwar erkannt hätten, jedoch bisher nicht ausreichend aktiv geworden seien. „Der Währungsfonds braucht Zähne“, sagt etwa Roubini. Und Rogoff fügt hinzu: „Der IWF übernimmt nicht genug zur Regulierung der Finanzmärkte“. Diese Analyse erstaunt umso mehr, als das ganze Jahr 2009 geprägt war durch Bekundungen der G20, den Finanzmärkten nach der großen Krise einen neuen, stabilen Rahmen geben zu wollen.


Dabei liegen die möglichen Gegenmaßnahmen auf der Hand. Einige Länder praktizieren sie auch – freilich ohne großen Rückhalt des IWF, der in zu scharfen Kontrollen des Kapitalverkehrs immer noch sozialistisches Teufelszeug sieht, das den freien Märkten schadet. Die brasilianische Regierung allerdings stört sich daran nicht. Das Land ergriff Ende 2009 erste Schritte zur Eindämmung des Imports spekulativer Gelder. Investoren müssen in Brasilien nun eine abschreckende Steuer auf den Kauf von Wertpapieren entrichten. Und auch Taiwan hat Begrenzungen eingeführt. Andere Länder wie Indien und Indonesien dürften folgen. „Kapitalverkehrskontrollen sind ein vernünftiges Instrument, um spekulative Kapitalimporte zu bremsen“, sagt Rogoff.


Einen Schritt weiter geht Peter Bofinger. „Die Notenbanken sollten eine koordinierte Wechselkurspolitik betreiben“, sagt der Sachverständige. Beim so genannten „managed floating“ würden sich die Kurse des Dollar, Euro, Yen und Remimbi weder gänzlich marktgesteuert bewegen, noch durch staatliche Festlegung fixiert, wie aktuell im Falle der chinesischen Währung und ihrem Verhältnis zum Dollar. Bofinger meint, durch eine regelmäßige gemeinsam getragene Anpassungen ließen sich die globalen Ungleichgewichte verringern, wodurch auch der Carry Trade seine Grundlage verlöre. „Es ist das größte Defizit der Krisenpolitik, dass man diese Chance bisher nicht ergriffen hat“, so Bofinger, „dafür ist der IWF 1944 im übrigen gegründet worden“.


Als Vorbild für die erwünschte Zusammenarbeit der großen Wirtschaftsräume dient im Prinzip der Euro. Indem man die gemeinsame Währung einführte, wurden die Wechselkurse und ihre Schwankungen abgeschafft. Derartiges ist global nicht ansatzweise durchsetzbar. Man darf aber gespannt sein, was etwa Zhu Min, Vize-Governeur der chinesischen Notenbank, zur Idee einer gemeinsamen Wechselkurspolitik sagt, wenn er in Davos spricht. Und auch die Veranstaltung mit dem Titel „Die Umgestaltung des internationalen Geldsystems“ dürfte interessant werden.



Das Weltwirtschaftsforum

„Rethink, Redesign, Rebuild“ (Überdenken, Umgestalten, Erneuern) lautet die Überschrift des diesjährigen World Economic Forums (WEF) im Skiort Davos. 1971 gegründet, empfängt der Kongress dieses Jahr 2.500 Teilnehmer, darunter rund 900 Spitzenmanager von Unternehmen und Vertreter von 30 Regierungen. Mit dabei sind etwa EU-Präsident José Manuel Barroso, der mexikanische Präsident Felipe Calderón, Brasiliens Präsident Luiz Inácio Lula da Silva, Lee Myung-Bak, Präsident von Südkorea und Benjamin Netanyahu, der israelische Ministerpräsident. Aus Deutschland kommen nach Angaben der Veranstalter Außenminister Guido Westerwelle und Wirtschaftsminister Rainer Brüderle. Den repräsentativen Vorsitz der Veranstaltung hat unter anderem Deutsche-Bank-Chef Josef Ackermann übernommen. Klaus Schwab, der Gründer und Chef des WEF, erhebt den Anspruch, mit seiner Veranstaltung „den Zustand der Welt zu verbessern“. Die Gäste schätzen den Kongress, weil er eine Mischung bietet aus Business-Terminen, politischem Bildungsurlaub und Skilaufen. Das WEF wird getragen von einer Stiftung, der die 1.000 größten Konzerne der Welt angehören.

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