Die Internetheinis spielen Gott

taz-Kolumne: Wir retten die Welt

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Von Hannes Koch

10. Apr. 2015 –

Empörung beim sonntäglichen Frühstück in unserer Küche. Ich lese im Spiegel, ein gewisser Ray Kurzweil, Chefingenieur von Google, sehe einen Moment der Singularität kommen. Mit Singularität meint er eine Situation, in der die Menschheit durch die Internet-Revolution in die Zukunft geschleudert wird. Der Fortschritt explodiert, plötzlich ist vieles möglich, was bis dahin illusionär erschien. Dann kann man 150 Jahre leben, weil global vernetzte Forscher endlich ein Medikament gegen Krebs gefunden haben. Meine Tochter erscheint als 3D-Hologramm im Wohnzimmer, wenn sie mit mir telefoniert. Die Internet-Entwickler haben so geniale Erfindungen gemacht, dass alle Dämme brechen.

 

Moment, denke ich, dieser Althippie hat ein paar Pillen zuviel eingeworfen. Leider wird mein Ei kalt, und der Kaffee auch. Ich brauche einen Augenblick, bis ich weiß, wo ich suchen muss. Die Schöpfungsgeschichte, 1. Buch Mose: „Es werde Licht. Und es ward Licht. Und Gott sah, dass das Licht gut war.“ Der Augenblick der Singularität, in dem alles begann. Man kann auch die wissenschaftliche Version dieser Story heranziehen, die Urknall-Theorie. Weil die Materie im All auseinanderstrebt, muss es irgendwann in grauer Vorzeit einen Startpunkt gegeben haben.

 

Jedenfalls scheinen sich die Internetheinis an dem Glauben zu berauschen, sie könnten die Welt so komplett, radikal und grundsätzlich verändern, dass quasi alles neu wird. Ich rege mich auf. Mein Sohn, 15, technikafin: „Stimmt doch“. Ich: „In der Wohnung von Oma und Opa war das Wählscheiben-Telefon an der Wand festgeschraubt, heute habe ich ein Handy in der Tasche. Na und?“ Ja, es ist eine Veränderung. Aber wie weitreichend? Was wichtig ist: Menschen lieben, führen Kriege, gründen Familien, bauen Nahrungsmittel an, sterben. Was ändert daran das Smartphone? Technische Erfindungen sind Kratzer auf der Oberfläche des Lebens.

 

Ich reagiere auch deshalb so empfindlich, weil ich weiß, dass ich Unrecht habe - teilweise. Im Mittelalter starb man mit 35 Jahren. Heute lebt man bis 80 - dank Medizin, Wissenschaft, Technik. Ein gigantischer Fortschritt, den ich gerne mitnehme. Warum ärgert mich dann Kurzweils Vision der abermaligen drastischen Verlängerung des Lebens? Wegen der unglaublichen Anmaßung, die der Begriff „Singularität“ enthält.

 

Kurzweil ist nicht der Einzige. Ein gewisser Peter Thiel - Gründer von Paypal, Investor bei Facebook – verkündet: Wirtschaftliche Monopole sind gut für uns – und kein Übel, wie wir Kleinkrämer immer denken. Im Gegenteil: Konzerne sollen die Welt beherrschen dürfen, weil sie den Menschen dann viel mehr Gutes tun können, als wenn sie durch lästigen Wettbewerb behindert werden. Das scheint mir das Kernziel der Internet-Visionäre zu sein: Sie wollen das Leben auf den Kopf stellen, ohne dass ihnen jemand reinredet. Schon gar nicht die Politik. Also Vorsicht: Bevor Konzerne wie Amazon, Apple, Facebook, Google und Uber uns wirklich in Schwierigkeiten bringen, sollten wir ihnen selbst einen Knall verpassen. Bevor es zu ihrem Urknall kommt.

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