Die Köpfe, die keine sind

Eine rechtspopulistische Strömung in Deutschland kann nicht aufsteigen, weil das Führungspersonal fehlt. Weder Sarrazin, noch Koch, Merz oder Clement kommen in Frage

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Von Hannes Koch

06. Sep. 2010 –

Thilo Sarrazin eignet sich nicht als Kopf einer rechtspopulistischen Partei. Das sagt Politologe Tim Spier von der Universität Düsseldorf. Auch andere Personen wie Ex-Moderatorin Eva Herman, CDU-Politiker Roland Koch, der ehemalige Wirtschaftsminister Wolfgang Clement oder CDU-Steuerexperte Friedrich Merz kämen nicht in Frage. „Für eine rechtspopulistische Organisation fehlt heute die Führungsfigur“, so Spier.


Einer neuen Umfrage des Instituts Emnid zufolge würden 18 Prozent der Wählerinnen Thilo Sarrazin wählen, wenn er eine eigene Partei gründete. Warum entsteht eine solche Formation dann nicht? Die Antwort liegt teilweise in den persönlichen Eigenschaften der vermeintlichen Protagonisten. Der 65jährige Sarrazin beispielsweise sei zu alt und seriös, um den wilden, dynamischen Führer einer rechtspopulistischen Organisation spielen zu können und zu wollen, meint Politologe Spier.


Dass die anderen Personen ebensowenig passen, liegt unter anderem an der mangelnden Kombinierbarkeit ihrer Ideen mit der gängigen Ideologie von Rechtspopulisten. Roland Koch, Friedrich Merz oder Ex-SPD-Minister Wolfgang Clement vertreten einen liberalen, sparsamen Wirtschaftskurs und wollen Sozialleistungen einschränken.


Das ist das Gegenteil der Vorlieben von Rechtspopulisten, wie man sie in Österreich, der Schweiz, Frankreich oder Holland findet. Dort sind zwei Programmpunkte inzwischen sehr wichtig: Neben der Ablehnung des Islam dominiert heute der Wunsch nach einer völkischen Version des Wohlfahrtsstaates. „Unter den Anhängern der Rechtspopulisten sind viele Erwerbslose, Geringqualifizierte und Geringverdiener, die befürchten, den Anschluss an die moderne Wirtschaft zu verlieren“, so Spier. Deshalb würden diese Parteigänger mehr staatliche Sozialprogramme zu ihren eigenen Gunsten fordern. „Rechtspopulismus und liberale Wirtschaftspolitik passen nicht mehr zusammen“, sagt auch Hajo Funke, Politologe der Freien Universität Berlin.


Ein weiterer Grund für die bislang schlechten Aussichten einer rechten Partei liegt in der deutschen Geschichte. Das Tabu des Nationalsozialismus wirkt noch immer. Politische Gedanken, denen man eine Nähe zum Rassenwahn anmerkt, finden in den allermeisten Medien, den Parteien und der sonstigen Öffentlichkeit keine Unterstützung. Im Gegenteil: Wer sie äußert, läuft Gefahr, aus der bürgerlichen Gemeinschaft exkommuniziert zu werden. Das wissen die potenziellen Führungspersonen. Sarrazin musste erkennen, dass er mit den Hinweisen auf ein vermeintliches „jüdisches Gen“ die Grenze überschritten hatte, was ihn nun Ruf und Stellung kosten dürfte.


Würde eine rechte Partei neben der Union versuchen, diese Falle zu umgehen und sich als „saubere“, wertkonservative Partei zu gründen, wäre sie möglicherweise zu schwach. Das deutsche Parteiensystem ist relativ stabil“, sagt Politologe Funke. Parteien wie die Union aber auch die Linke würden fremdenfeindliche Strömungen einerseits öffentlich kritisieren, sie aber andererseits auch integrieren. Noch funktioniert diese Bindungswirkung. Mit zunehmendem zeitlichen Abstand von der Nazizeit und der Schrumpfung der Volksparteien dürfte der Effekt allerdings abnehmen.


Thilo Sarrazin: Ist zu alt und kein politischer Führer.

Eva Herman: Der Fernsehmutti fehlt das politische Format.

Friedrich Merz: Will weniger Steuern, nicht mehr Sozialausgaben.

Wolfgang Clement: Zu liberal, zu wenig Charisma.


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